Die Gemälde von Gilles Rotzetter (*1978) sind figurativ, direkt, roh, heftig, nur eines sind sie nicht: schön. Den Künstler interessieren die unangenehmen Seiten der Dinge, die Brüche, Konfusionen und Irrungen und die wahnwitzige Idee der Schweiz, Atommacht zu werden.
Kunstmuseum Luzern | Gilles Rotzetter. Swiss Atom Love | Die Schweiz und ihre Atombombe
- Publiziert am 26. Mai 2017
Prostitution, Krieg und Gewalt
Mit pastoser Farbe und wildem Gestus malt Gilles Rotzetter Schrecken, Ängste und konkrete politische Themen wie Kolonisation, Prostitution, Krieg und Gewalt. Wie er diese in Bildgeschichten bannt, gleicht einer mythologischen Welterfassung. Der Künstler «mag Dinge, die es einem schwermachen, sie zu mögen», wie er erklärt. Seine Gemälde und Zeichnungen dürfen und sollen erschrecken, abstossen, anecken, schliesslich konfrontieren sie das Publikum mit einer ungeschönten Welt. Gilles Rotzetter zeigt keine unbeschwerte Leichtigkeit, begegnet aber den Schrecken der Welt mit einer Prise Galgenhumor.
Die Schweiz als Atommacht
Die kleine, neutrale Schweiz wollte einst eine Atommacht werden und 1945 war sie dafür nicht einmal schlecht aufgestellt. Unter der Leitung des renommierten Physikers Paul Scherrer und seiner Nachfolger beschäftigte sich eine Kommission 1946–1988 mit der zivilen und der militärischen Nutzung der Kernenergie. Was wir in der Geschichte sehen und von ihr wahrnehmen, ist bedingt durch zahlreiche Filter, mediale, politische, zeitgeschichtliche, soziale, persönliche. Gilles Rotzetter interessiert sich für die blinden Flecken und die vergessenen Stauräume der Geschichte. So widmet sich sein neuster Werkzyklus und die Ausstellung Swiss Atom Love diesem Stück vergessener Schweizer Geschichte.
Wie funktioniert Erinnerung?
Gilles Rotzetter hat über zwei Jahre in verschiedenen Archiven geforscht. Seine künstlerische Recherche mäandert durch die Geschichte der Schweizer Atombombe, schweift ab, greift Personen und Fakten auf, springt assoziativ weiter und kommt immer wieder auf die Fragen zurück: Was ist Geschichte? Wie funktioniert Erinnerung? Korrespondenzen, Archiv-Dokumente, Zeitungsartikel, Lexikaeinträge, Fotografien – auf dem Weg Gesammeltes, ebenso wie aufkommende Fragen, fliessen in Rotzetters Bildwelt ein. Für Gilles Rotzetter wird Paul Scherrer aufgrund seiner biografischen Unfassbarkeit und seiner Tätigkeit für den amerikanischen Geheimdienst zur geisterhaften Figur. Er malt das Bildnis des Physikers (PScherrer’s Night, 2016) mehr in die Farbmasse als mit Farbtönen, pastose Linien skizzieren ein dunkles Brustporträt im Profil. Der atomare Pilger (Atomic pilgrim, 2017) dagegen steigt in Rotzetters leuchtenden Farben den Berg hinauf. Die Figur wirkt, wie sie von der Last gebeugt Richtung Pass wandert, wie ein Schweizer Klischee. Der malerische Gestus ist kraftvoll und energiegeladen.