Der Director’s Cut des legendären Schweizer Films von Christian Schocher ist genauso unterhaltsam, geistreich und interessant wie vor 30 Jahren. Eine Freude für jeden Cineasten – bleibt zu hoffen, dass das Publikum dieses kleine Meisterwerk dank dem kostenlosen Streaming auf Play Suisse öfter zu sehen bekommt.
Reisender Krieger
- Publiziert am 14. Januar 2010
«Reisender Krieger» ist ein unbekanntes Meisterwerk. Als der Film 1981 veröffentlicht wurde, stieg er innerhalb kurzer Zeit zum Liebling der Kritiker
Synopsis: Krieger ist Vertreter für das amerikanische Kosmetik-Unternehmen «Blue Eye». Mit dem Ziel, dessen Parfum-Produkte an Schönheitssalons zu verkaufen, reist er Woche für Woche durch die Schweiz. Während seine Frau unterdessen alleine in der Wohnung am Rande Zürichs sitzt, trifft Krieger an den unterschiedlichsten Orten auf mannigfaltige Persönlichkeiten und Gestalten, führt abwegige und kluge Gespräche, sitzt einsam herum, beobachtet – und lernt so sein Land kennen. Als einsamer Reisender streift er umher, immer begleitet von tiefen Augenringen und der Zigarette im Mund. Er ist der Held eines Roadmovies in schwarz-weiss, das an Aktualität nicht einbüssen konnte. Stars: Willy Ziegler, der den Krieger spielt, wurde 1979, als er gerade arbeitslos in Zürich lebte, von Schocher einfach zum Hauptdarsteller ernannt. Eine wunderbare Wahl – denn so echt, so glaubhaft, so authentisch hat nie wieder jemand den melancholischen Vertretertypus verkörpert. Regie & Crew: Christian Schocher kürzte sein 195 minütiges Epos, das damals schon aus 27 Stunden Material zusammen geschnitten wurde, auf bekömmlichere 150 Minuten. Das tut der Grossartigkeit keinen Abbruch: der Director’s Cut ist die perfekte Version, die sich Schocher immer gewünscht hat, unter dem damaligen Zeitdruck aber nicht realisieren konnte.
arttv-Wertung: Während der Film der Liebling der Filmkritik war, wurde er dem Publikum in den Kinos meist vorenthalten. Völlig zu unrecht, denn Schochers Film ist keineswegs ein unbekömmlicher Kunst-Film. Natürlich gibt es die für die 70er so typischen, unendlich lang erscheinenden Szenen, die starrenden Blicke aus dem Fenster oder die Rauchszenen, bei denen man die Existenz der Zigarette von Anfang bis Ende mitbekommt. Doch als Gegenwartsadaption der Odysee/Ulysses-Klassiker von Homer bzw. Joyce stellt «Reisender Krieger» vor allem die Banalität des Alltags dar, unerträglich und wunderbar zugleich. Es ist ein grandioses Portrait eines Landes und einer Zeit – und dabei filmisch in jeder Hinsicht innovativ. Die Form des Road Trips lag erst in ihren cineastischen Anfängen und an den Hyperrealismus ohne Kunstlicht, mit Handkamera, Originalschauplätzen und improvisierten Dialogen, den sich 15 Jahre später die Dogma-Bewegung zu eigen machen sollte, war noch lange nicht zu denken. Fazit: «Reisender Krieger» ist ein Klassiker, ein Meisterwerk, ein Kultfilm, wenn man so will.
Maximilian Haase