Schlingensief - In das Schweigen hineinschreien
Das erste umfassende Filmporträt über den provokanten Regisseur, der in diesem Jahr 60 Jahre alt geworden wäre.
Die Liste prominenter Zeitgenosse, die sich an Christoph Schlingensief reiben, ist endlos. Restlos amüsant ist: Roger Schawinski, schäumend vor Wut nach Schlingensiefs Hamlet-Inszenierung.
Zum Film
Über zwei Jahrzehnte hat Regisseur Christoph Schlingensief den kulturellen und politischen Diskurs in deutschsprachigen Raum mitgeprägt. Die renommierte Filmeditorin Bettina Böhler («Die innere Sicherheit», «Hannah Arendt») unternimmt erstmals den Versuch, den Ausnahmekünstler Schlingensief, der vor 10 Jahren im Alter von nur 49 Jahren starb, in seiner gesamten Bandbreite zu dokumentieren. Das intensive Porträt durchlebt die ganze Entwicklung Schlingensiefs vom quasi pubertierenden Filmemacher im Kunstblutrausch über den Bühnenrevoluzzer von Berlin und Bayreuth bis hin zum Bestsellerautor, der kurz vor seinem Tod die Einladung erhält, den Deutschen Pavillon in Venedig zu gestalten.
arttv Rezension
Über 80 Filme hat Bettina Böhler in den letzten vier Jahrzehnten montiert und dabei mit so unterschiedlichen Regisseuren wie Christian Petzold, Marcel Gisler oder Oscar Roehler zusammengearbeitet. Und sie war in den 1990ern bei zwei Filmen Christoph Schlingensiefs, «Das deutsche Kettensägenmassaker» und «Terror 2000», mit von der Partie. Das erleichterte der 1960 geborenen Cutterin den Zugang in das irre Universum und das riesige Archiv des 2010 viel zu früh verstorbenen Künstlers. Dabei weisen bereits die Titel der beiden satirischen Horrorfilme direkt in die Welt des genialen Performers, Theaterregisseurs, Essayisten, Experimentalfilmers, der als Enfant terrible eine saturierte Kulturwelt aufmischte wie kein anderer. Und der heute, in Zeiten immer grösserer Empfindlichkeiten, wohl noch mehr anecken würde als damals. Zwei Stunden dicht montierter Ausschnitte, aus Interviews, Filmen, Talkshows, Theateraufführungen, politischen Aktionen und Privataufnahmen präsentiert Bettina Böhler ganz ohne Kommentar, kommt dabei Schlingensief ganz nah – und am Ende bedauert man, dass dieser grandiose Höllenritt schon zu Ende ist.
Geri Krebs, arttv.ch