Philip Roth war einer der bekanntesten und wohl auch der berüchtigtsten amerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Seine zahlreichen Liebschaften, von denen seine Romane mit durchaus expliziten Beschreibungen zehrten, wurden nicht erst nach seinem Tod 2018 in New York bekannt. Regisseur Arnaud Desplechin verfilmt mit «Tromperie» nun eines der autobiografischsten Werke und bleibt Roth in puncto Anzüglichkeit nichts schuldig.
Tromperie
Ein ergreifender Spielfilm über Sex und Loyalität, Liebe und Betrug nach dem autobiografischen Roman von Philip Roth.
Tromperie | Synopsis
Philip ist ein berühmter amerikanischer Schriftsteller, der im Exil in London lebt. Seine Geliebte besucht ihn regelmässig in seinem Büro, einem Refugium für die beiden Liebenden. Hier lieben sie sich, sie streiten, sie versöhnen sich und reden stundenlang – über die Frauen, die sein Leben prägen, über Sex, Antisemitismus, Literatur und darüber, sich selbst treu zu bleiben …
Tromperie | Stimmen
«‹Tromperie› ist ein sehr selbstbewusster Film, der sich sowohl an [einen] archetypischen Autor-Bastard-Charakter anlehnt als auch ihn kritisiert, und der eine schöne Hommage an Roth, die unbedachte Liebe (um romantisch zu sein!) und vielleicht sogar an Desplechin selbst darstellt.» – David Katz, Cineuropa | «‹Tromperie› versucht sich als Milieustudie der Oberschicht, scheitert jedoch an seinem eigenen Unvermögen und dem eigenen Desinteresse an der Story und den Charakteren.» – Yannick Bracher, Outnow
Rezension
von Madeleine Hirsiger
Begehren, Sex, Verrat, Egozentrik, Selbsttäuschung – es geht um die Liebe und die Lüge. Arnaud Desplechins Drama «Tromperie» bietet einen reichhaltigen Strauss von Themen an, mit denen wir im Leben wohl alle mehr oder weniger in Berührung kommen. Es ist eine Romanverfilmung des vielfach ausgezeichneten amerikanischen Schriftstellers Philip Roth, der uns Einblicke in sein Seelenleben gibt. Der Roman ist autobiografisch: Sein Held heisst Philip, ist Schriftsteller, schreibt alles, was er in einer gewissen Zeitspanne mit Frauen erlebt, feinsäuberlich auf, um seine Erlebnisse im Buch «Deception» (1990) niederzuschreiben.
Gewissensfragen
Der französischen Regisseurs Arnaud Desplechin hat den Film in XII Kapitel aufgeteilt und beginnt 1987 in London. Hier trifft der Schriftsteller (Denis Podalydes) auf eine attraktive namenlose Frau (Léa Sedoux), die in einer Ehekrise steckt und mit Philip eine Nachmittagsbeziehung sexueller Art – aber nicht nur – pflegt. Keine Frage, ihren Mann zu verlassen. Auch Philip ist verheiratet. Man glaubt ihnen die gegenseitige Zuneigung, ja Liebe, und sie testen sich gegenseitig mit Fragen wie: Ist Lügen ok? Ist Grosszügigkeit ein Zeichen von Schwäche? Ist es wichtig für Dich, schwach zu sein? Gegenfrage: Ist es wichtig für Dich, stark zu sein? Liebst Du meine Art, wie ich gekleidet bin? Die letzte Frage, die zentralste, stellt die Geliebte: «Besteht irgendwo in einem Winkel deines Herzens noch die Illusion, dass die Ehe eine Liebesangelegenheit ist? Wenn Du ja sagst, könnte das Probleme geben.»
Durchwoben ist der Film mit Szenen anderen Frauen, mit denen Philip eine Beziehung hatte: Rosalie, die schwer an Krebs erkrankt ist, eine ehemalige begabte Studentin, die während des 2. Weltkrieges in Prag in der Uni-Bibliothek gearbeitet hatte und sowohl von den USA wie auch den Tschechen als Spionin geködert werden soll. Und dann immer wieder die Geliebte.
Der Prozess
Zum Show-down des in Affären verzettelten Schriftstellers kommt es in einem Prozess. Die Anklägerin setzt ihn unter Druck mit Fragen wie: «Können sie uns sagen, warum sie Frauen hassen? Warum diffamieren sie sie in ihren Büchern? Haben sie je etwas getan, das den Frauen nützlich war?» Vielleicht stehen diese Fragen für eine Selbstreflexion, für eine Art Wiedergutmachung seines Tuns gegenüber den Frauen, die er ja mindestens verbal ausgebeutet hatte.
Endgültig aus dem Ruder läuft die Geschichte, als seine Frau das Notizheft findet, in dem er ziemlich akkurat die Ausbeute seiner Beziehungen aufgeschrieben hatte – auch dialogmässig. Natürlich streitet er alles ab, versucht die Begebenheiten auf die fiktive Ebene zu heben, er sei doch schliesslich Schriftseller, und beschuldigt sie der masslosen Einbildungskraft. Das Lügen geht ihm glatt über die Lippen.
Der Film
Es ist ein sorgfältig gedrehter Film mit reichhaltigen Dialogen und zwei sublimen französischen Schauspielern (an deren Französisch man sich wahrlich erfreuen kann). Die Bildsprache ist in warmen Farben gehalten und es ist bemerkenswert, wie virtuos die Erzählstränge immer wieder verwoben werden. Wirklichkeit und Täuschung laufen ineinander über. Unterbrochen werden die Geschichten von der Tatsache, dass sich der Hauptdarsteller Philip stark durch seine jüdische Herkunft definiert und es zu intensiven Diskussionen zwischen ihm und seiner nichtjüdischen Geliebten kommt. Zäsuren in der Erzählung, die ihr eine weitere Dimension geben.
Fazit: Eine lustvolle Reise in das Beziehungschaos einer literarischen Grösse und eine wahre Freude für Frankophile. Doch manchmal hat man dann trotzdem das Gefühl, man sei in einer langen Folge der Erfolgsserie «Therapie»(ARTE) gelandet.