Filmemacher Felice Zenoni hat sich im Rahmen seines 2015 erschienenen Kino-Dokumenterfilms DANIOTH – DER TEUFELSMALER intensiv mit Heinrich Danioth auseinandergesetzt. Anlässlich des 70. Todestages des Schweizer Künstlers hat der Urner Regisseur in einem Fachartikel das Leben Danioths nochmals aufgearbeitet. Der Film über Heinrich Danioth kann auf der neu aufgeschalteten Website danioth-digital.ch zudem kostenlos gestreamt werden.
Vor 70 Jahren, am 3. November 1953 starb Heinrich Danioth, der wohl berühmteste Urner Künstler
- Publiziert am 4. November 2023
Ein Rückblick von Danioth-Kenner Felice Zenoni auf das Leben des Malers und Dichters mit einigen bis anhin unbekannten Einblicken.
«Malä und redä isch zwäierläi» von Felice Zenoni
Richard Kisslings 1885 eingeweihter Wilhelm Tell steht erst wenige Monate auf dem Sockel vor dem Altdorfer Türmli, da kommt schräg gegenüber als drittes von sechs Kindern Heinrich Danioth zur Welt. Es ist der 1. Mai 1896. Seine Eltern betreiben im Erdgeschoss am Rathausplatz ein Uhrengeschäft. Mit der Schule hat’s Heinrich nicht so, genauso wenig wie mit seinem autoritären Vater. Als Jugendlicher erkämpft er sich malend und schreibend kleine Freiräume. Sein Berufswunsch steht früh fest: Er will Kunstmaler werden, koste es, was es wolle. Seine Doppelbegabung als Maler und Schriftsteller blitzt bereits im Tagebuch des 17jährigen auf. Im präzisen Beobachter, mit dem Blick für Befindlichkeiten unter der Oberfläche, kündigt sich bereits der werdende Künstler an. «Ein bewegtes Bild ist so ein Markt, wie ich von meinem Fenster aus sehe. Das ganze Bild des Marktes gleicht einem Mosaik, dessen Farben von solcher Wärme sind, dass diese Wärme, dieses Flimmern bewegten Figuren und Punkte dargestellt sieht.» 1922 malt Danioth das stilistisch eindrucksvolle Frühwerk «Markt in Altdorf».
Heinrich Danioths Lern und Wanderjahre
Die Aargauer Schriftstellerin Sophie Hämmerli-Marti ist mit Familie Danioth befreundet. Sie schafft es, den strengen Vater zu überzeugen, Heinrich in Basel ein Kunstpraktikum zu erlauben. Auch seine erste Studienreise nach Rom im Jahr 1920 ermöglicht ihm die Mundartdichterin. Ihre schützende Hand ist richtungsweisend. «Am Samstag schreibe ich immer allen meinen Kindern und da gehörst du doch auch dazu, gelt? Wer weiss was Freundschaft ist, weiss auch, dass der Strom von Seele zu Seele immer fliesst und gar nicht so viel äusserer Zeichen bedarf», schreibt sie dem 19-Jährigen. Danioth ist seiner stillen Förderin zeitlebens dankbar und verehrt sie über ihren Tod im Jahr 1942 hinaus.
Ein Urner und eine Urnerin in Karlsruhe
Für eine weitere Weichenstellung sorgt der deutsche Expressionist August Babberger. Der Vertreter der Klassischen Moderne hat enge Verbindungen in die Schweiz, unter anderem zu Augusto Giacometti. Verheiratet ist er mit der Luzerner Künstlerin Anna Maria Tobler. Die Sommerzeit verbringt Babberger malend auf dem Klausenpass. Auf fast 2000 Meter über Meer entspinnt sich zwischen ihm, Heinrich Danioth und Erna Schillig, deren Familie das Passhotel betreibt, eine enge Freundschaft. (Zu Erna Schillig finden Sie ausführliche Informationen auf dem von arttv.ch lancierten Projekt ernaschillig.ch) In den beiden Urner Kunstschaffenden findet Babberger begeisterungsfähigeren Eleven für seinen frischen und modernen Malstil. 1925 holt er zuerst Danioth und später Erna Schillig nach Karlsruhe, wo sie an der Landeskunstschule das Privileg als seine Meisterschüler geniessen. Seit 1920 unterrichtet er dort als Professor für dekorative Malerei. Um 1930 werden Babberger und Schillig privat ein Paar. Der starke Einfluss Babbergers ist sowohl bei Danioth wie Schillig in den Werken aus jener Zeit überdeutlich. Nach und nach versucht Heinrich sich von seinem Lehrer zu lösen. In der Aussage: «Ich versuche durch eigene Kräfte den dämonischen Bann meines Karlsruher Lehrers zu brechen, suche mit allen Mitteln zu einem freien Schaffen zu kommen», spürt man, welch innerer Kampf und Chrampf diese «künstlerische Häutung» erfordert. Kunsthistoriker Beat Stutzer verortet den Ausweg aus dem Dilemma in einer gesteigerten Expressivität, die in Danioths Schaffen der mittleren Phase zu seinem Markenzeichen wird. August Babberger stirbt 1936 unerwartet. Heinrich gibt darauf ein berührendes Bekenntnis zu seinem Lehrer ab: «Der Schüler, um seine Ich-Werdung bemüht, mag sich differenzieren, er mag trotzen und rebellieren – aber einen solchen Lehrer, Erzieher und Meister vermag er nicht zu leugnen, er leugne denn das Gute in sich selbst.»
Danioths Wandgemälde
Nach seiner Rückkehr aus Deutschland tragen Danioths Werke im öffentlichen Raum zu seiner steigenden Bekanntheit bei. Erwähnenswert sind das 1936 bei der Entstehung hitzig diskutierte Wandbild am Bundesbriefmuseum in Schwyz, «Gotthard-Transit» an der Fassade der Firma Dätwyler (1940), «Föhnwacht» (1944) im Wartesaal Flüelen und natürlich der Teufel, den Danioth 1950 in der Schöllenenschlucht malt. Das weit über Uri hinaus populär gewordene Felswandbild wirkt heute wie ein frühes Icon und ist mit seinem Schöpfer symbiotisch verbunden.
«Im Ring»
Anfang der 1930er Jahre wird Danioth sesshaft. Wieder spielt dafür die Klausengegend eine tragende Rolle. Die 29jährige Hedi Weber arbeitet als Servicekraft im Hotel Posthaus Urigen unterhalb des Passes. Danioth verliebt sich in die Aargauerin und die beiden heiraten 1931. Ein Jahr später baut sich das Paar in Flüelen ein Wohn- und Atelierhaus. Der damals avantgardistische Betonbau am Urnersee ist weitgehend intakt geblieben. Danioth entfernt das Wandbild später, da es nicht seinem ästhetischen Ideal von zeitgemässem Wohnbau entspricht. In Flüelen kommen der Erstgeborene Albin Sohn (1936) und die Töchter Madeleine (1940) und Cilli (1941) zur Welt. Als einzige lebt heute noch Madeleine. Im Dokumentarfilm DANIOTH – DER TEUFELSMALER beschreiben die beiden Töchter ihre Kindheit als insgesamt glücklich, aber in Folge chronischer Geldknappheit im Künstlerhaushalt als auch von Spannungen zwischen den Eltern belastet.
Ehekrise
1949 inszeniert Heinrich Danioth in der alten Kirche Flüelen «Das grosse Welttheater» von Pedro Caldéron de la Barca. Er verliebt sich in die Mitwirkende Margrit Poche, eine österreichische Schauspielerin. Es kommt zur einstweiligen Trennung mit Hedi. Nach einer häuslichen Auszeit findet die Familie doch wieder zusammen. Seinem Freund Otto Kälin bekennt er: «Die Situation ist also gerettet und damit das Wohl der Kinder. Was für ein zermürbender Kampf um den Sieg der Vernunft das war.» Dem Künstler sind nach der Versöhnung nur noch drei Lebensjahre vergönnt.
Dichterisches Werk
In der letzten Schaffensphase fokussiert Danioth vermehrt auf sein literarisches Schaffen. Seine Stärke, beissende Spottverse in Verbindung mit Karikatur spielt er gekonnt in seinen Beiträgen für die Zeitschrift «Nebelspalter» aus. Zwischen 1922 und 1942 steuert er weit über 100 satirische Zeichnungen und Texte bei. 1929 widmet ihm der Verlag eine Sondernummer. Seine beklemmenden Zeichnungen, die den Ausgang des Zweiten Weltkriegs früh vorwegnehmen, wirken aus heutiger Sicht gespenstisch-visionär. Tochter Madeleine erinnert sich, dass ihr Vater wegen seiner klaren Haltung gegen ultranationalistische, antidemokratische Herrschaftssysteme auf eine schwarze Liste geriet. Im Ernstfall hätte sich Danioth auf die Eggberge geflüchtet und dort versteckt gehalten. Auch für den Junggesellenverein «Nächstenliebe» zeichnet und textet er. So steuert er nimmermüde und meist ohne Honorar etwa hochstehende Texte und Zeichnungen für die Altdorfer Fasnachtszeitung «Narrenblatt» bei. Das Marionettentheater «Das Urner Krippenspiel÷ entsteht unter dem Eindruck der Kriegswirren 1944 und wird mit grossem Erfolg im Saal des Hotel Höfli in Altdorf uraufgeführt. (Anlässlich des Danioth-Jahres 2023 kommt das Stück im Dezember 2023 erneut zur Aufführung.) Danach schreibt Danioth ein Hörspiel. «Der sechste von den sieben Tagen – ein Schicksal in den Bergen» wird vom Schweizer Radio 1952 erstmals gesendet. Das Hörspiel nimmt Bezug auf den Winter 1951 mit zahlreichen Lawinentoten. Vielleicht ist es kein Zufall, dass sich Danioth ein gutes Jahr vor seinem eigenen Tod intensiv mit existenziellen Fragen beschäftigt.
Danioths Früher Tod
Mit 57 Jahren stirbt Heinrich Danioth am 3. November 1953 an der Folge eines Gehirntumors. Die damals 13jährige Madeleine Danioth erinnert sich an die Monate davor: «Er hat praktisch nur noch geschrieben. Mama erwähnte einmal in einem Telefonat, dass er viele Aufträge hätte, aber nicht mehr malen würde. Schlimm waren die Spitalbesuche. Wir kamen ins Zimmer und er wandte sich ab, schaute zur Wand. Er sprach wirres Zeugs. Man wusste nicht so recht, ob er uns erkannte. Das machte mich am traurigsten.» Und ihre jüngere Schwester Cilli ergänzt: «Er wurde sehr aggressiv. Mit einem Henkel schlug er nächtelang gegen die Wand. Man stellte das Bett in die Mitte des Zimmers. Mama sprach offen mit uns. Dädi habe noch drei Monate zu leben; vielleicht auch nur drei, vier Wochen. Eines Morgens nahm uns der Pfarrer nach der Schulmesse zur Seite und sagte, wir sollen nach Hause gehen. Am Radio wurde sein Tod bereits in den 7-Uhr Nachrichten vermeldet.»
Danioth 2023
Sein malerisches Werk ist gründlich erschlossen und bekannt. Vereinzelte Entdeckungen sind im schriftlichen Nachlass noch möglich. Darunter finden sich Trouvaillen wie zwei frühe Tagebücher oder ein unveröffentlichter Schulvortrag zur Kunst aus dem der Titel dieses Beitrags entlehnt ist. Für vertiefende Aufarbeitung und zum besseren Verständnis eignen sich auch Heinrich Danioths Briefe. Eine Vielzahl hat literarisches Niveau. Im schriftlichen Austausch mit Freunden erlebt man Danioth ungefiltert. Meist schwingt «daniothscher» Spott, Ironie und Sprachwitz mit. Die stets im A4-Querformat handgeschriebenen Briefe bieten aufschlussreiche Insider-Lektüre und liefern ein stimmiges Gesamtbild des Künstlers aus seiner eigenen Feder.