Ein Treffen mit Solène Rigot, die in BERGERS eindrücklich die Schäferin Elise spielt. Die junge Schauspielerin schildert arttv.ch, wie sie als Stadtkind das Eintauchen in eine ländliche Welt und in die Schafzucht erlebt hat. Sie erzählt von der inneren Ruhe und dem Wohlbefinden, die das Leben in den Bergen und die Begegnung mit Schafherden bei ihr ausgelöst haben. Ein Interview voller vertraulicher und spannender Einsichten zu den Dreharbeiten zu BERGERS.
Solène Rigot | BERGERS
- Publiziert am 16. April 2025
«BERGERS erinnert uns daran, dass man seine innere Stimme nur dann findet, wenn man sich zuweilen vom Lärm der Welt entfernt.»
Was ist Transhumanz?
Das Wort Transhumanz bedeutet «auf die Gebirgsweide führen», gemeint ist eine Wanderweidewirtschaft, bei der Herden zu bestimmten Jahreszeiten zu anderen Weidegebieten getrieben werden. Sie findet in verschiedenen Regionen der Welt statt, vor allem im Mittelmeerraum. Die Transhumanz fördert die Biodiversität und steht für die enge Verbindung zwischen Mensch und Tier. 2019 wurde sie in die Liste des internationalen immateriellen UNESCO-Kulturerbes aufgenommen. (Wikipedia)
Solène Rigot ist im französischen Rosny-sous-Bois im Département Seine-Saint-Denis aufgewachsen. Als Kind erhielt sie Klavier- und Akkordeonunterricht. In der École Nationale des Arts du Cirque de Rosny-sous-Bois lernte sie Akrobatik, Jonglieren, Tanz und Einradfahren, letzteres auch auf dem Hochseil. Im Jahr 2010 war eine zufällig anwesende Casting-Direktorin von Rigots Kunstfertigkeit auf dem Seil derart beeindruckt, dass sie sie für die Rolle der Noémie in LA PERMISSION DE MINUIT von Delphine Gleize engagierte. Drei Jahre später spielte sie die Gilda in DIE GROSSE FREIHEIT von Jean Denizot und wurde für diese Nebenrolle mit dem Publikumspreis beim Festival Jean Carmet de Moulins ausgezeichnet. Beim FIFF Namur 2016 erhält sie, gemeinsam mit drei anderen Darstellerinnen, für ihr Spiel der Karine in ORPHELINE von Arnaud des Pallières den Bayard-Filmpreis als beste Schauspielerin. Rigot ist ausserdem Akkordeonspielerin der alternativen Pop-Rock-Band Mr. Crock. In BERGERS spielt sie Élise.
Solène Rigot und Félix-Antoine Duval in BERGERS
Interview
Solène Rigot, Sie sind in BERGERS in der Rolle der Schäferin Élise zu sehen. Wie haben Sie die Begegnung mit der Welt der Hirten erlebt?
Das Kennenlernen erfolgte etappenweise. Am Anfang drehten wir im Tal. Hier kam es zu einem ersten Kontakt mit echten Hirten, aber das war in einer Art kontrollierten Setting. Alles änderte sich, als wir für die letzten drei Drehwochen wirklich auf eine Alp gingen.
Was meinen Sie damit?
Wir mussten lernen, eine Herde zu führen, zu verstehen, wie sie funktioniert, ihren Rhythmus, ihre Logik. Und ganz ehrlich, das ist weit, aber wirklich weit entfernt von dem romantischen Bild, das man sich von friedlichen Schafen macht! Ich, die ich aus der Stadt komme, entdeckte etwas völlig Neues. Die Naturerfahrung bekam nochmals eine andere Dimension, als wir Julien trafen, den Schäfer, der sich um die Herde kümmerte. Er liess uns die Berge mit anderen Augen sehen. Sein Tag beginnt um 4 Uhr morgens und endet um 22 Uhr abends. In dieser Zeit passt er auf die Schafe auf und läuft viel. Er ist ständig in Alarmbereitschaft, aber bewahrt trotzdem Ruhe. Er sagte oft: «Bei Schafen musst du Ruhe bewahren, wenn du sie in die Berge führen willst, sonst laufen sie in alle Richtungen davon.» Und er ergänzte: «Schafe sind wie Wasser.»
Durch Julien kamen Sie zu ganz neuen Einsichten?
Genau! Als Tourist:in folgt man den Wegweisern, macht seine Wanderung, schaut sich die schöne Landschaft an, fotografiert. Aber durch Julian bekam ich eine ganz andere Beziehung zur Natur. Er lehrte uns, das Gras zu betrachten und zu sehen, ob es gut für die Tiere ist. Nach und nach beginnt man Dinge zu sehen, die man vorher nicht beachtet hat. Es ist, als würden sich unsere Augen für eine Welt öffnen, die für Normalsterbliche unsichtbar ist. Das ist ziemlich verrückt!
Erkennen Sie heute welches Gras für Schafe geeignet ist und welches nicht?
(Lacht) Oh nein! Aber was geblieben ist, ist die Natur zu entdecken, wie es uns Julien vermittelt hat. Es ist, als hätte er uns eine Tür zu seiner Welt geöffnet. Aber wir sind Schauspieler:innen geblieben, keine Fachleute und auch keine Bergsteiger:innen! Manchmal mussten wir den Berg geradewegs hinaufklettern – das war heftig! Für das gesamte Filmteam.
Wie stand es vor der Dreharbeiten mit Ihrer körperlichen Fitness? Gab es eine spezielle Vorbereitung?
Nicht wirklich. Ich treibe in meinem Alltag ziemlich viel Sport, also war das okay. Und Félix-Antoine Duval, der die Figur des Matthias im Film spielt, ist auch supersportlich. Wir haben also ziemlich gut durchgehalten. Für das Technikteam war es schwieriger, da sie auch die gesamte Ausrüstung in die Höhe tragen mussten. Unsere eigentliche Vorbereitung war also nicht sportlicher Art, sondern konzentrierte sich auf unser Verhältnis zu den Tieren.
Das ist erkennbar!
Vielen Dank, wir haben uns im Vorfeld zum Film gut informiert. So habe ich auch eine Menge Texte gelesen und Filme angeschaut. Dabei ist mir ein Schweizer Dokumentarfilm über einen ziemlich ruppigen Schäfer besonders in Erinnerung geblieben. Dieser Film (Anmerkung der Redaktion: HIVER NOMADE von Manuel von Stürler) hat mir vor Augen geführt, wie hart dieser Beruf sein kann. In Arles haben wir später die Schäferin Véronique getroffen. Da haben wir gelernt, wie man mit einer Schafherde umgeht, etwa wie man ein Schaf einfängt. Mir wurde bewusst: Ein Schaf ist keine Katze! Das mag für diejenigen, die die ländliche Welt und die Berge kennen, selbstverständlich erscheinen, aber für mich, die aus der Stadt kommt, war es eine ziemliche Lernerfahrung.
Der Film zeigt einen starken Kontrast: Einige Hirten sind sehr hart im Umgang mit den Tieren, andere extrem sanft.
Genau! Und das bewundere ich an der Arbeit von Sophie, der Regisseurin. Sie versucht nicht, die Realität zu beschönigen. Sie zeigt diese Härte, ohne zu werten. Hinter diesen Verhaltensweisen verbergen sich oft sehr schwierige Lebenswege. Manchmal ist diese Härte keine bewusste Entscheidung, sondern die Folge eines Lebens ohne Alternativen. Für manche ist die Viehzucht keine Leidenschaft, sondern eine Notwendigkeit – der einzige mögliche Arbeitsplatz. Und trotz dieser Tatsache passen sich diese Menschen an, so gut sie können. Der Film beleuchtet diese Realität auf eine sehr menschliche Weise.
Die Ambivalenz zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft ist spürbar. Was raten Sie den Zuschauenden, die eine nachhaltige Landwirtschaft unterstützen möchten?
Ehrlich gesagt, fühle ich mich nicht berechtigt, Ratschläge zu erteilen. Aber man kann sich an Organisationen wenden, die auf diese Fragen spezialisiert sind. Es gibt viele, die hervorragende Arbeit leisten, etwa WWOOF. Das ist ein weltweites Netzwerk von Bio-Bauernhöfen. Es vermittelt jedoch eine etwas idealisierte Erfahrung.
Hatten Sie während der Dreharbeiten Gelegenheit, ungewöhnliche Erfahrungen zu machen?
Auf jeden Fall! Die Dreharbeiten bot mir einen wahren Strauss an neuen Einsichten. Wenn ich die Bilder des Films wieder sehe, bin ich zutiefst gerührt! Es sind kostbare Erinnerungen, die ich wie ein Kuscheltier sorgfältig aufbewahre. Ein ungewöhnliches Erlebnis war sicher die kleine Schafzucht, die Mathyas Lefebure, der Autor des Originalbuchs, in einem Park in Montreal aufgebaut hat! Sein Ziel war es, die Schäferei mitten in der Stadt erlebbar zu machen.
Lassen Sie uns abschliessend noch ein wenig über Musik sprechen. Sie nimmt einen wichtigen Platz in Ihrem Leben ein. Sie sind Musikerin und Akkordeonspielerin der alternativen Pop-Rock-Band Mr. Crock. Hat die Verbindung zur Natur, die Sie durch BERGERS erfahren haben, etwas Neues in Ihrer Beziehung zum Klang oder sogar zur Stille geweckt?
Ja, absolut! Das Geräusch einer Herde ist fast schon musikalisch! Es gab einen besonderen Moment während der Transhumanz: 2500 oder 3000 Schafe überquerten einen schmalen Pfad, jeweils zu zweit. Das dauerte etwa eine halbe Stunde, aber ich verlor jegliches Zeitgefühl. Der Klang der Hufe auf den Steinen, das Blöken, die Murmeltiere, die man in der Ferne hört, aber nie sieht. Und diese Stille im Hintergrund, diese immense Stille der Berge. Das ist hypnotisierend! Das ist eine besonders eindrückliche Klangerinnerung.
Solène Rigot, danke für die wunderbaren mentalen Bilder, die Sie mit uns teilen!
Ich danke Ihnen und ja, BERGERS erinnert uns daran, dass man seine innere Stimme nur dann findet, wenn man sich zuweilen vom Lärm der Welt entfernt.
Von Djamila Zünd