Madeleine Hirsiger und Ursula Bischof Scherer haben im Oberwallis sechs Frauen und fünf Männer zu ihrem früheren Leben befragt. Sie erzählen, wie sie aufgewachsen sind, welche Rolle der liebe Gott im Familienalltag spielte, wie hart die Winter waren, wie sie Arbeit fanden – und die Liebe. Entstanden ist ein vielstimmiges Zeitdokument, das berührt, zum Schmunzeln bringt und eine Welt festhält, die noch nah scheint, aber langsam aus dem kollektiven Gedächtnis zu verschwinden droht.
SO IS GSI
SO IS GSI | SYNOPSIS
In den Schweizer Alpentälern hat die Bevölkerung in den letzten 80 Jahren tiefgreifende Veränderungen erlebt: von kleinen Äckern, grossen Gemüsegärten, kinderreichen Familien, ein paar Tieren und harter Arbeit an steilen Hängen bis hin zum wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg, der den Alltag für viele spürbar erleichterte. Die sechs Frauen und fünf Männer, die für den Film interviewt wurden, stammen aus den Dörfern Ernen, Mühlebach, Steinhaus, Ausserbinn, Binn, Niederwald und Grengiols. Ergänzt wird der Film durch historische Fotografien. Die Zeichnungen stammen von Johann Mutter und Josef-Marie Imhof.
Fünf Fragen an Madeleine Hirsiger zu ihrem Dokumentarfilm SO IS GSI
Wie kam es zur Idee für den Dokumentarfilm – und für wen ist er gedacht?
Ich halte mich seit über 15 Jahren regelmässig im Bergdorf Ernen im Obergoms (VS) in meiner Ferienwohnung auf und habe mittlerweile viele ältere Leute kennengelernt. Mit meiner Nachbarin im Haus trinke ich täglich einen Kaffee. Auf meine Fragen nach ihrer Kindheit hat sie mir immer wieder beeindruckende Geschichten erzählt, die mein Interesse geweckt haben. Da gibt es doch noch andere Leute im Dorf, die etwas zu sagen haben, sagte ich mir. Erinnerungen sind auch ein Kulturgut, und ich wollte diese auf Film festhalten – als Oral History sozusagen, auch für spätere Generationen.
Wer sind die Protagonist:innen, und wie haben Sie sie gefunden?
Ich hatte Kontakte zu einigen älteren Frauen und Männern im Dorf, die ich angefragt hatte, ob sie mir aus ihrem früheren Leben erzählen würden. Wir reden da von den 1940/50-Jahren, während und nach dem 2. Weltkrieg. Es sprach sich dann im Dorf herum, und es meldeten sich auch jüngere Leute, die mir Tipps gaben: Der oder die wüssten auch noch einiges von früher zu erzählen. Diese Leute habe ich dann aufgesucht, nicht nur in Ernen, sondern auch in den umliegenden Dörfern. Ernen mit dem Einzugsgebiet hat eine ständige Bevölkerung von rund 500 Menschen. Die Menschen sprechen über ihre Kindheit, über die Arbeit auf den elterlichen kleinen landwirtschaftlichen Betrieben und darüber, wie sich ihr Leben entwickelt hat.
Gibt es eine Geschichte oder eine Person, die Sie besonders berührt hat?
Bemerkenswert war – und das gilt für alle Teilnehmenden –, dass sie ihre Erinnerung vor der Kamera hervorgeholt hatten. Es gab keine Vorgespräche, keine Fragen wurden ihnen vorher mitgeteilt. Sie setzten sich hin, dort, wo sie am liebsten sitzen, kein «könnten Sie noch schnell mit dem Kamm durchs Haar fahren» oder «hätten Sie noch ein anderes Hemd oder einen anderen Pullover». Es gab auch keine Wiederholungen. Es war alles eins zu eins. Und alle formulierten ihre Gedanken klar und aussagekräftig und oft auch mit einer Prise Humor. Das hat mich und meine Kollegin Ursula Bischof Scherer (wir haben den Film zusammen gemacht) unheimlich beeindruckt.
Auffallend ist, dass viele Protagonist:innen auch Zeit ausserhalb des Wallis verbracht haben. Was waren die Gründe dafür, und wie blicken Walliser:innen auf diese Zeiten?
Nach der obligatorischen Schule hatten die jungen Menschen wenig Möglichkeiten, einen Beruf zu erlernen. Die Dörfer waren klein, und selten war dort ein Handwerker, der einen Jungen in die Lehre hätte nehmen können. Für die Mädchen war es noch eintöniger. Sie fanden zum grössten Teil Arbeit in der Gastronomie, meistens im Service – und dafür gingen sie auch mal nach Zermatt, ins Unterwallis oder – wie meine Nachbarin – nach Zürich. Dort arbeitete sie in einer Familie mit vier Kindern, und ich bin sicher, dass sie nie einen Fuss in die Stadt gesetzt hatte. Zu scheu, zu ängstlich war sie gewesen. Die Stadt war ihr fremd. Die Jungen arbeiteten fast ausschliesslich auf dem Bau, auch ausserhalb des Wallis – um ein paar Franken zu verdienen. Später übernahmen sie dann z. B. den elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb. Oder sie kamen zurück, um eine Familie zu gründen. Sie waren ihren Walliser Wurzeln stets treu. Noch heute bezeichnet man einen Schweizer, der nicht Walliser ist, als Üsserschwizer. Das sagt ja schon viel über die heimatlichen Gefühle aus.
Sie haben jahrelang als Filmjournalistin die Branche begleitet. Wie war es für Sie, nun selbst einen Film umzusetzen? Was waren dabei die grössten Herausforderungen?
Aus Erfahrung weiss ich, wie mühsam und aufreibend die Produktion eines Filmes sein kann, gerade auch, was das Auftreiben der benötigten finanziellen Mittel betrifft. Nun wollten wir eigentlich gar keinen Film machen, sondern die Geschichten auf Band aufnehmen, um sie für die Nachwelt zu erhalten. Als Ursula Bischof Scherer und ich diese elf Menschen interviewt hatten, waren wir überwältigt und auch etwas ratlos, was wir nun tun sollten. Da haben wir uns für diese Dokumentation entschieden. Zum Glück konnten wir auf reiches Fotomaterial aus verschiedenen Archiven aus der Zeit zurückgreifen, und da wir allen Teilnehmenden ähnliche Fragen gestellt hatten, war es uns möglich, mit verschiedenen Kapiteln eine Struktur in den Ablauf zu bringen. Und dann wurde uns noch bewusst, dass es Untertitel brauchte… Finanziell wurden wir von der Gemeinde Ernen, dem Landschaftspark Binntal und dem Verein Zweitwohnungen unterstützt. Wir haben viel Zeit und Engagement investiert, aber es hat sich gelohnt. Wir wurden reichlich beschenkt.