Das Interview mit Mohammad Rasoulof entstand im August 2024 am Filmfestival Locarno, wo THE SEED OF THE SACRED FIG seine Schweizer Premiere feierte. Die Weltpremiere erfolgte im Mai am Filmfestival Cannes. Im Gespräch mit Filmjournalist Geri Krebs erzählt der Regisseur, warum er wieder aus dem Gefängnis frei kann und warum er denkt, dass das iranische Regime weniger fest im Sattel sitzt, als es den Anschein macht.
Mohammad Rasoulof | THE SEED OF THE SACRED FIG
- Publiziert am 13. November 2024
Mit Mohammad Rasoulof sprach Geri Krebs
Der Titel Ihres Films bezeichnet einen seltenen Feigenbaum, dessen Samen auf Zweige eines anderen Baums fallen, dort keimen und am Ende nach Jahren schliesslich diesen anderen Baum erwürgen. Wie möchten Sie diese Metapher verstanden haben?
Mohammad Rasoulof: Ich pendle in meinen Filmen immer gerne zwischen Metaphorik und Realität. Sie dürfen die Metapher gerne so verstehen, dass die Töchter und die Frau dieses Untersuchungsrichters, die sich gegen ihn auflehnen, für diesen Samen stehen. Aber Sie könnten sie andererseits auch so sehen, dass es der Repressionsapparat ist, der das Volk erwürgt.
Was die Realität in Ihrem Film betrifft, so steht der Aufstand im Zentrum, der nach dem gewaltsamen Tod von Mahsa Amini im September 2022 ausbrach. Die junge Frau war verhaftet worden, weil sie ihr Kopftuch nicht richtig trug. Sie starb im Polizeigefängnis, worauf im ganzen Land unter dem Ruf «Frau, Leben, Freiheit» Hunderttausende auf die Strasse gingen und den Sturz des Regimes forderten. Sie selber waren in jener Zeit im Gefängnis. Wie sieht Ihre persönliche Chronologie dieser Zeit aus?
Ich kam in jenem Jahr 2022 im Juli ins Gefängnis und wurde dort während eines Monats unzählige Male verhört. In den Verhören ging es vor allem um meinen vorletzten Film, A MAN OF INTEGRITY. Und um einen Protestaufruf gegen Polizeigewalt, den ich zusammen mit anderen Filmschaffenden, darunter auch Jafar Panahi, (neben Rasoulof Irans wohl bekanntester lebender Filmregisseur, sein Film TAXI TEHERAN gewann 2015 in Berlin den Goldenen Bären, Anm. G.K.) unterzeichnet hatte. Nach diesem Monat verlegte man mich in einen anderen Gefängnistrakt. Kurz danach brachen die Massenproteste aus.
War das im Knast bekannt?
Von den Ausmassen dieser Proteste erfuhren wir drinnen im Knast natürlich erst nach und nach. Letztendlich waren die Proteste aber auch der Grund dafür, dass ich und einige andere, darunter auch Panahi, im Februar 2023 überraschend freikamen.
Wie ist das zu verstehen?
Es waren immer mehr Menschen eingeliefert worden, die an den – nicht abreissenden – Protesten verhaftet worden waren. Irgendwann gab es schlicht zu wenig Platz im Gefängnis, denn die Massenverhaftungen gingen ja weiter. Mir war bei der Freilassung aber schon klar, dass das nur ein vorübergehender Zustand war. Denn wegen meines letzten Films, THERE IS NO EVIL, gab es ebenfalls einen Strafantrag. Es drohte mir in diesem Zusammenhang eine lange Haftstrafe. Doch bis zum Prozess entliess man mich aus den genannten Gründen.
Sie integrieren in Ihren Film zahlreiche Handyaufnahmen der Proteste. Die Bilder sind in ihrer Brutalität nur schwer erträglich. Können Sie etwas dazu sagen?
Ja, gerne. Als ich aus dem Gefängnis kam und durch Freunde und die sozialen Medien unzählige dieser Filme sah, war ich geschockt von ihrer unglaublichen Gewalt. Ich hatte damals bereits einen Drehbuchentwurf für THE SEED OF THE SACRED FIG im Kopf und überlegte mir, ob ich einiges aus diesen Videos für den Film nachinszenieren sollte. Doch ich verwarf die Idee bald wieder, denn diese Szenen sind so stark. Man kann sie gar nicht nachinszenieren. Dazu kam der Umstand, dass ich den Film heimlich, ohne Drehgenehmigung, realisieren musste.
War das eine zusätzliche Herausforderung?
Nicht wirklich. In dieser Hinsicht hatte ich genügend Erfahrung. Auch mehrere meiner früheren Filme habe ich ohne Erlaubnis gedreht. Dass ich nun diesen Film überhaupt realisieren konnte, verdanke ich aber letztlich meiner unglaublich mutigen Crew. Die Crew war eigentlich viel zu klein und ausserdem hatten wir zu wenig Zeit. Aber ich wusste bereits, als ich aus dem Knast kam: Ich habe nur wenig Zeit, um diesen Film zu machen. Und ich musste dann sehr rasch aus dem Iran fliehen, als mir mein Anwalt eines Tages mitteilte, dass acht Jahre Gefängnis auf mich warteten.
In den Credits erscheinen die Namen der Schauspieler:innen – im Gegensatz etwa zu Ihrem Film MANUSCRIPTS DON’T BURN. Warum?
Die Mitwirkenden in THE SEED OF THE SACRED FIG wollten das ausdrücklich so. Ausserdem sind einige von ihnen im Iran ziemlich bekannt. So gesehen hätte ein Verzicht auf die Nennung ihrer Namen wenig Sinn gemacht. Aber ich weiss natürlich nur zu gut, welch hohen Preis sie dafür zahlen, im Film mitgewirkt zu haben. Zwar haben es einige geschafft, aus dem Iran wegzugehen wie ich, aber andere stehen unter Hausarrest oder werden auf andere Weise von den Behörden drangsaliert. Diejenigen, die noch frei sind, haben Berufsverbot.
Man hat den Eindruck, dass das iranische Regime im Gegensatz zu 2022/23 heute wieder fest im Sattel sitzt, dass mittels brutalster Repression wieder Friedhofsruhe herrscht. Täuscht dieser Eindruck?
Es stimmt, dass es seit Frühling 2023 im Iran kaum mehr grössere Massenproteste gegeben hat. Das Regime scheint die Lage vordergründig wieder unter Kontrolle zu haben. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht von neuen Exekutionen erfahre. Das ist die Realität. Aber trotz oder gerade wegen dieser extremen Repression ist das Regime so unbeliebt wie noch nie – und die Herrschenden wissen das.
Woran zeigt sich das?
Die Unbeliebtheit des Regimes zeigte sich deutlich bei den Präsidentschaftswahlen im Juli: Nur gerade vierzig Prozent der Wahlberechtigten gingen an die Urnen. Noch nie gab es in der Geschichte der islamischen Republik eine annähernd so grosse Zahl von Menschen, die sich verweigerten. Das sagt doch auch schon viel aus. Ausserdem bin ich überzeugt, dass die Revolte jederzeit wieder ausbrechen kann. Denn damals, vor September 2022, hätte sich auch niemand vorstellen können, dass es einmal einen so grossen und lang andauernden Flächenbrand geben könnte.
Mohammad Rasoulof, vielen Dank für dieses spannende Gespräch.