Die argentinisch-schweizerische Regisseurin darüber, warum sie ihrer Schweizer Produktionsfirma unendlich dankbar ist und warum es fast zehn Jahre gedauert hat von der Filmidee – einer von einer Brücke in eiskaltes Wasser springenden Frau – bis zum fertigen Film. Filmjournalist Geri Krebs hat Milagros Mumenthaler am Filmfestivals von San Sebastián getroffen.
Milagros Mumenthaler | LAS CORRIENTES
- Publiziert am 26. September 2025
«Für mich ist die Schweiz nach wie vor ein Stück Heimat, auch wenn ich nun seit dreissig Jahren mehrheitlich in Argentinien lebe.»
Mit Milagros Mumenthaler sprach Geri Krebs
arttv.ch: Milagros Mumenthaler, LAS CORRIENTES ist Ihr erster Film, in dem die Schweiz auch visuell eine Rolle spielt, die ersten sechs Minuten spielen in Genf. Welche Beziehung haben Sie zu unserem Heimatland?
Milagros Mumenthaler: Die Grosseltern meines Vaters stammen aus Trachselwald/BE und sind einst nach Argentinien ausgewandert. Meine Mutter ist Argentinierin und mein Vater ist Doppelbürger. Dank seines Schweizer Passes konnte er zusammen mit meiner Mutter und mit mir 1977 aus Argentinien flüchten und in die Schweiz einreisen. Ich war damals drei Monate alt und meine Eltern waren im Visier der 1976 an die Macht gekommenen Militärdiktatur. Wir lebten zuerst in Trachselwald, später in Bern, Lausanne und schliesslich in Genf, wo ich den grössten Teil meiner Kindheit und meine ganze Jugend verbrachte. Mit 18 entschloss ich mich, in mein Geburtsland zurückzugehen und in Buenos Aires eine Filmausbildung zu absolvieren.
Wie sind ihre aktuellen Verbindungen zur Schweiz?
Nach wie vor sehr eng. Unter anderem leben hier mein Vater und meine jüngere Schwester Eugenia. Sie betreibt zusammen mit David Epiney die seit fünfzehn Jahre bestehende Filmproduktionsfirma Alina film. Eugenia hat alle meine Filme (mit-)produziert , aber auch die zahlreicher anderer Regisseur:innen, so etwa die Filme von Elena Lopez Riera, Andreas Fontana oder Denise Fernandes. Ich bin in der Regel einmal pro Jahr für längere Zeit in Genf. Für mich ist die Schweiz nach wie vor ein Stück Heimat, auch wenn ich nun seit dreissig Jahren mehrheitlich in Argentinien lebe.
Mit LAS CORRIENTES haben Sie ein schwer zu beschreibendes, faszinierendes Mysterienspiel geschaffen. Was stand an dessen Anfang?
Ich würde von mir behaupten, dass ich eine Person bin, die viel mehr in Bildern als in Geschichten denkt. Bei meinem neuen Film war es so, dass im Sommer 2016, kurz vor der Weltpremiere in Locarno von LA IDEA DE UN LAGO, plötzlich das Bild einer Frau in meiner Imagination auftauchte, die in einer Stadt von einer Brücke in einen winterkalten Fluss springt. Ich erzählte in Locarno meiner argentinischen und meiner schweizerischen Produzentin -also meine Schwester – von diesem Bild. Beide konnte ich gleich davon überzeugen: das wird mein nächster Film.
Sie haben sich seit Ihrem letzten Film viel Zeit gelassen…
Ja, das brauchte ich auch, denn ich hatte zwar diesen Ausgangspunkt mit der Frau und dem Fluss, aber sonst nichts. Aber mir war klar, dass sich alles um diese Frau herum entwickeln, sie ganz im Zentrum stehen musste. Ich schrieb mehrere Treatments und präsentierte später das fertige Drehbuch an Koproduktionstreffen in Argentinien und in der Schweiz und auch bei der virtuellen Berlinale von 2021. Für mich war klar, dass dieser Film ein sehr präzises bis ins letzte Detail ausgearbeitete Drehbuch brauchte, das keinen Raum für Improvisation zuliess.
Diese äusserste Rigorosität merkt man dem Film in jeder Einstellung an, denn er erzählt fast ausschliesslich in Bildern, die Dialoge sind ausserordentlich sparsam. Hatten Sie sich auch überlegt, allenfalls einen dialoglosen Film zu realisieren?
Nein, das stand für mich nie zur Debatte. Wahrscheinlich zielen Sie mit dieser Vermutung auf den Umstand an, dass die Hauptfigur Lina sich zwar kaum verbal ausdrückt, aber dafür in ihrem Inneren ununterbrochen zu brodeln scheint. Ich glaube nicht, dass man dieses innere Brodeln und diese Aufgewühltheit in dieser Intensität hätte vermitteln können, wenn es gar keine Dialoge gegeben würde..
Man hat bei dieser Frau wiederholt das Gefühl, ein ganz heftiger Ausbruch steht kurz bevors. Könnte man das auch als Metapher für die aktuelle Situation Argentiniens lesen?
Das können Sie durchaus – auch wenn ich das während des Drehs nicht so beabsichtigt hatte. Denn damals stand Argentinien noch nicht da, wo es heute steht. Die aktuelle Regierung hat kurzerhand die Filmförderung praktisch abgeschafft und das Kulturministerium aufgelöst. Die Situation ist so, dass ein Film wie LAS CORRIENTES, allein mit argentinischen Produktionsgeldern gar nicht mehr möglich wäre. Ich bin daher meiner Schweizer Koproduktionsfirma umso mehr zu Dank verpflichte, dass wir LAS CORRIENTES erfolgreich zu Ende bringen konnten.
