Zusatzvorstellungen, lange Warteschlangen, abgewiesene Besucher*innen waren das Resultat. Heute lässt sich der Film bequem von zu Hause aus streamen. Das sollte man unbedingt tun, falls man «Messies, ein schönes Chaos» noch nicht gesehen hat. Vermutlich einer der besten Dokumentarfilme, die in der Schweiz je auf die grosse Leinwand kamen.
Messies, ein schönes Chaos
Ulrich Grossenbachers Film über vier ganz verschiedene Messies war 2011 die grosse Sensation am Filmfestival Locarno
Statement von Ulrich Grossenbacher
Vor nicht ganz 30 Jahren kam ich zum ersten Mal mit einem Messie in Kontakt. Peter Moll war Fotograf, Autorennfahrer, Meditationslehrer, Pilot und Computerspezialist. Er bereiste die ganze Welt und brachte viele Dinge mit nach Hause, wo sich nach und nach eine riesige, exotische Sammlung anhäufte. Damals gehörte ein «Puff» zur Grundausstattung einer antibourgeoisen Haltung und fiel nicht weiter auf. Peter hatte mehrere Fernsehgeräte aufeinandergestapelt, die er gleichzeitig laufen liess, sozusagen eine Vorform des heutigen Zappens. Die Sonntage verbrachten wir morgens zusammen meditierend und nachmittags vor dem Fernseher bei Übertragungen von Formel-1-Rennen. Selten habe ich mich mit einem Freund glücklicher gefühlt. Leider verstarb Peter bereits sehr jung an einem Herzinfarkt, wie wenn sein schwaches Herz diese vielen Aktivitäten schlecht ertragen hätte. Peter wunderte sich manchmal über die Materialberge seines Bruders Thomas, dessen Anhäufungen die seine noch um ein Mehrfaches übertrafen. Über die Jahre entwickelte Thomas seine Sammlungen weiter, und vor einiger Zeit eröffnete er mir, dass er ein «Messie» sei. Als er erklärte, was darunter zu verstehen sei und wie «Messies» leben, war mir sofort klar, dass ich darüber einen Film machen möchte.
Der Film
Arthurs Stolz sind verrostende Traktoren – seine Passion hält die Gemeinde auf Trab. In Elmiras Wohnung türmen sich meterhohe Kassettenstapel – keine Kultursendung, die nicht aufgezeichnet würde. Karl bewohnt ein grosses Bauernhaus – einer der letzten begehbaren Räume ist die Küche. Thomas funktioniert Schrott in sinnige Apparate um, seine Werkstatt ist so übervoll wie das Reservoir seiner Ideen. Was bringt diese Menschen dazu, ihr Zuhause zuzumüllen?
arttv Wertung
Ulrich Grossenbacher ist ein grossartiger Film gelungen, der das Phänomen «Messie» für den Zuschauer greifbar macht. Scheinbar immer zum richtigen Zeitpunkt am rechten Ort, situiert sich sein Film im Spannungsfeld zwischen persönlichem Glück und gesellschaftlichem Leiden seiner vier Protagonisten. Bestechend ist dabei vor allem der einfühlsame Zugang, den der Filmemacher zu den Betroffenen findet. Auf diese Weise ist ein so ernsthaftes wie amüsantes Portrait mit eindrucksvollen Bildern und einer spannenden Dramaturgie gelungen.
Der Regisseur
Ulrich Grossenbacher, 1958 in Langenthal geboren, besuchte ab 1975 die Kunstgewerbeschule in Basel. Anschliessend arbeitete er als Künstler und Kunstrestaurator; ab 1994 belegte er Filmkurse an der Kunstgewerbeschule in Bern. Seither arbeitet Grossenbacher als freischaffender Kameramann und Regisseur. 2006 realisierte er seinen ersten Kinodokumentarfilm «Hippie Masala – für immer in Indien». 2009 Gründung der Fair&Ugly filmproduktion GmbH. Grossenbacher ist Mitglied der Schweizer Filmakademie. Ulrich Grossenbachers aktueller Film «Messies» wurde von der Jury der Semaine de la critique am Festival in Locarno 2011 als bester Dok-Film der Sektion ausgezeichnet.