Er zählte einst zu den bedeutendsten Filmemachern des kubanischen Filminstituts (ICAIC) und fiel unter der revolutionären Doktrin Fidel Castros in Ungnade. In diesem vielschichtigen Dokumentarfilm nähert sich Regisseur Ernesto Daranas (CONDUCTA) dem Schaffen und Leben des ersten afrokubanischen Filmemachers und birgt dabei einen einmalig kostbaren Schatz.
LANDRIÁN
LANDRIÁN | Synopsis
Nicolás Guillén Landrián (1938–2003) war ein Original. Ein wilder Kerl, stupender Dokumentarfilmer und Maler, an dessen Namen und Werk sich in Kuba lange Zeit nur noch Insider erinnerten. Ernesto Daranas hat sich in die Tiefen des maroden kubanischen Filmarchivs begeben und gerettet, was gerettet werden konnte: 10 Kurzfilme, die Landriáns Werdegang vom kreativen Freigeist zum Auftragsfilmer im Dienste des Regimes illustrieren, konnten mit Unterstützung von trigon-film restauriert werden. In LANDRIÁN dokumentiert Daranas einerseits die Suche und Rettung des Filmmaterials im heutigen Kuba, nähert sich anderseits in einer raffinierten Collage gemeinsam mit Landriáns Weggefährten – seiner Witwe Gretel Alonso und Kameramann Livio Delgado – dem schier unglaublichen Leben und avantgardistischen Werk des aufmüpfigen Künstlers. Nebst dem lange verschollenen Filmschatz fördert die Dokumentation die dunkle Wahrheit über den Umgang mit unbequemen Genoss:innen durch die kubanische Revolution zutage. Ein doppelt eindrückliches Vermächtnis.
(Textgrundlage: Trigon Film)
Rezension
Von Doris Senn
Landrián who? möchte man fragen, was schon einiges über das Lebensdrama dieses unangepassten kubanischen Künstlers erzählt. Nicolás Guillén Landrián (1938–2003) war ein inspirierter Maler und wechselte dann zum Film, um in den 60ern sensationelle Kurzfilme auf 35 Millimeter zu drehen: über Menschen in seinem Viertel (EN UN BARRIO VIEJO), auf dem Land (der ebenso schlichte wie idyllische OCIEL DEL TOA) oder über Tanzbegeisterte, die sich vom Rhythmus wiegen, mitreissen, in Ekstase versetzen lassen (LOS DEL BAILE). Und dies in einer ganz eigenen Ästhetik und Erzählweise.
Fatale Zensur des kommunistischen Regimes
Landriáns Filme fingen auf avantgardistisch-experimentelle Weise den Alltag im nachrevolutionären Kuba ein. Im Zentrum Menschen und ihre Gesichter: von schwarz bis weiss, von jung bis alt, von arm bis reich – Frauen, Männer, Kinder. Oft mit nachdenklicher, skeptischer, vom Leben gezeichneter Miene, aber auch strahlend in Unschuld und Lebensfreude. In einem Film ist eine kleine Truppeneinheit zu sehen, die rückwärts marschiert, in einem andern wird der Kaffeeanbau, damals omnipräsent, propagiert – als zwiespältiges Manifest, in dem die Grafik zur eindringlich-hämmernden Stimme mutiert. Es gefiel nicht. Die Filme wurden weggeschlossen, Landrián ist Gefängnis gesteckt und später in die Psychiatrie.
Film-Avantgarde pur
In einer spektakulären Rettungsaktion hat der Regisseur Ernesto Daranas nun die zensurierten Filme im gelinde gesagt desolaten Archiv des kubanischen Filmarchivs (ICAIC) aufgespürt und restaurieren lassen: Das cineastische Herz schmerzt bei den Kamerafahrten durch die Gestelle voller Filmdosen, aus denen das Zelluloid quillt. Daranas, der schon mit seinem CONDUCTA (2014) über den kleinen Chala und seine alternde Lehrerin Carmela in brillantem Gefühlskino subtile Systemkritik am heutigen Kuba übte, erweist in LANDRIÁN dem avantgardistischen Filmemacher Hommage. In der dokumentarischen Filmbiografie kommen nebst Bildern von der Spurensuche vor allem Landriáns Witwe Gretel Alfonso und sein Kameramann Livio Delgado zu Wort. Spannend und augenöffnend zugleich.
Fazit: LANDRIÁN gibt Einblick in die Biografie des ebenso begabten wie verfemten Künstlers und gleichzeitig in den tristen Lauf, den die kubanische Revolution in den Folgejahrzehnten nahm, wobei Landrián alles andere als ein Einzelfall war. Gleichzeitig bringt Ernesto Daranas die mit internationaler Unterstützung restaurierten Kurzfilme des Avantgardisten zurück auf die Leinwand. Eine Entdeckung!