Interview mit Christian Labhart über seinen Film SUSPEKT und über einen Protagonisten, der letztlich unnahbar bleibt, aber dessen Kampf gegen die immer weiter um sich greifende Psychiatriesierung im Strafvollzug gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Aber auch warum Labhart nicht wollte, dass ein altere weisser Mann einen alten weissen Mann befragt und warum er hofft, dass Brian, der wohl bekannteste Häftling der Schweiz, den Film auch für ein jüngeres Publikum interessant macht.
Christian Labhart | SUSPEKT
- Publiziert am 21. Januar 2025
«Ich bewundere Bernard Ramberts Mut, widerständige Menschen zu verteidigen, heikle Fälle zu übernehmen, die sonst niemand übernommen hätte.»
Mit Christian Labhart sprach Geri Krebs
arttv.ch: Warum haben Sie einen Film über und mit Bernard Rambert gemacht, was fanden Sie interessant an ihm?
Christian Labhart: Ich hatte ihn schon lange auf dem Radar, hatte mitverfolgt, was er all die Jahre machte. Dabei empfand ich eine Bewunderung für seinen Mut, widerständige Menschen zu verteidigen, heikle Fälle zu übernehmen, die sonst niemand zu übernehmen bereit gewesen wäre. Und vor allem bin ich der Meinung, dass die Wichtigkeit seines Kampfes gegen die immer weiter um sich greifende Psychiatriesierung im Strafvollzug gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
War er gleich bereit, in das Filmprojekt einzusteigen, als Sie ihn anfragten?
Nein, überhaupt nicht. Als ich ihn das erste Mal kontaktierte, gab er mir eine klare Absage. Aber ich bin ein hartnäckiger Typ, ich probierte es einige Zeit später erneut, schickte ihm eine Mail und wies ihn bei jener Gelegenheit auf meinen Film PASSION hin, den ich zu jenem Zeitpunkt gerade im Rohschnitt fertiggestellt hatte. Er schaute sich den Film an und gab mir sogar einige wertvolle Rückmeldungen. Ich glaube, von da an wurde ihm bewusst, dass es mir keinesfalls darum ging, eine Homestory über ihn zu machen. Denn er ist alles andere als ein Narzisst, er will nicht seine Person in den Vordergrund stellen.
Dann war also PASSION letztlich der Grund, dass er mitmachte?
Vielleicht, denn PASSION enthält ja viel Zeitgeschichte der letzten fünfzig Jahre und ich glaube, damit konnte ich ihn abholen, Denn die Zeitgeschichte seit der 1968er Bewegung, von der er durch seine Arbeit als linker Anwalt ja auch ein Teil ist: das treibt ihn genauso um wie mich.
War schon klar, bevor die Dreharbeiten begannen, dass er nichts von seinem persönlichen Leben preisgeben würde?
Ja, das war die Abmachung. Es ist ja üblich, dass in Dokumentarfilmen oft aus Verlegenheit Alltagssequenzen (der Protagonist beim Kochen oder auf dem Hometrainer) eingebaut werden. Aber hier wusste ich zum Glück: das gibt es nicht, das kann ich bei Rambert vergessen.
Wie kamen Sie dann zu dieser Form im Film, dass es Julia Klebs ist, Redakteurin der linken Theoriezeitschrift «Widerspruch», die ihn befragt?
Wie gesagt, schon früh wurde mir klar, dass nur ein langes, gefilmtes Gespräch möglich sein
würde. Dabei stellte sich mir bald einmal die Frage, ob es interessant ist, wenn ein alter weisser Mann – ich mit Jahrgang 1953 – einen anderen alten weissen Mann – Rambert mit Jahrgang 1945 – befragt. So entstand zusammen mit den Produzenten die Idee, dass es stattdessen eine wesentlich jüngere Frau mit einem historischen Hintergrundwissen sein sollte. Ich selber kannte Julia Klebs flüchtig und sprach sie an, weil sie in Bezug auf historische und politische Zusammenhänge kompetent ist.
*Die ganze Gesprächssituation wirkt auf mich aber ziemlich inszeniert. Da drängt sich mir die Frage auf:
Wurde Julia Klebs von Ihnen bezüglich der Fragen instruiert?*
Nein, wo denken Sie hin! Sie hatte völlig freie Hand. Ich war bei dem Gespräch nur der Mann im Hintergrund, der den beiden Kameraleuten und den beiden Toningenieuren ab und zu Anweisungen gab. Wir drehten dann während sechs Tagen. Am Schluss hatten wir 30 Stunden Material. Den Schnitt machte dann ebenfalls eine junge Frau, Olivia Frey. Denn mir war wichtig, dass bei der Auswahl der Statements von Rambert eine Person mitbeteiligt war, die mit den aktuellen politischen Diskursen vertraut ist. Und nicht nur ich, der etwas nostalgisch auf diese letzten fünfzig Jahre Politgeschichte zurückblickt.
Was das Archivmaterial betrifft, so beginnt es mit dem «Fall Brian», jenem heute 29Jährigen, der schon als Kind wegen Gewaltdelikten wiederholt jahrelang eingesperrt war, darunter oft monatelang in Einzelhaft. Seit 2024 lebt er in Freiheit und strebt eine Boxerkarriere an. Zielen Sie mit der Fokussierung auf seine Person auf ein jüngeres Publikum, eines, dem der «Terroristenanwalt» Rambert der 1970er Jahre nichts sagt?
Ich hoffe natürlich, dass der Film unterschiedliche Generationen anzusprechen vermag. Jedenfalls geht es mir vor allem darum zu zeigen, dass Rambert ein Anwalt ist, der immer vom Grundsatz ausgeht: Jeder Mensch hat vor Gericht das Recht auf einen Verteidiger, egal welches Delikt man ihm anlastet. Und da gehört eben ein Brian Keller ebenso dazu wie Leute, die wegen terroristischer oder anderer schwerer Gewaltdelikte angeklagt waren wie etwa Petra Krause, Christian Möller, Marco Camenisch oder der «Ausbrecherkönig» Walter Stürm. Bei all diesen Fällen stand für Bernard Rambert neben dem juristischen Aspekt aber auch immer der Kampf gegen mörderische Haftbedingungen im Zentrum, denen diese Leute ausgesetzt waren. Ich glaube, das ist Ramberts grösstes Verdienst: Dass er da bis heute nicht locker lässt und sagt: So darf man keinen Menschen behandeln.
SUSPEKT erlebt seine Weltpremiere nun in Solothurn, jenem Festival, das 2019 Ihren vorletzten Film, den – bereits erwähnten – PASSION, abgelehnt hatte, was damals einen ziemlichen Wirbel verursachte. Wie ist es für Sie, jetzt nach Solothurn zurückzukehren?
Ich bin mit Solothurn längst versöhnt. Der Entscheid, PASSION seinerzeit abzulehnen, kam ja von der damaligen Direktorin der Filmtage. Das ist Geschichte. Für mich sind die Solothurner Filmtage ein idealer Ort, um hier die Weltpremiere von SUSPEKT zu feiern. Zwar bin ich ein wenig enttäuscht, dass der Film nicht in der Wettbewerbssektion «Prix de Soleure» läuft, einer Reihe mit Filmen, die – Zitat Solothurner Filmtage – «einen humanistischen oder gesellschaftskritischen Inhalt mit prägnanter filmischer Gestaltung vereint“. Und Rambert ist für mich einer, der in seiner Arbeit bis heute einen zutiefst humanistischen Ansatz verfolgt. Aber damit muss ich als Filmemacher leben, ich respektiere diesen Entscheid der Festivalleitung.