Mitte der 1970er-Jahre mischte eine junge Schweizer Künstlerin mit dem programmatischen Namen «Manon» die Zürcher Kunstszene auf, mit provokanten Auftritten als Femme fatale, eigenwilligen Performances und Installationen. Die Ausstellung, die anlässlich ihres achtzigsten Geburtstags bereits für 2020 geplant war, legt den Fokus nun auf das fotografische Œuvre, zeigt Manon-Klassiker neben weniger bekannten Arbeiten, vereint die frühen Serien und die fotografischen Tableaus der vergangenen Jahre.
Fotostiftung Schweiz | Manon
- Publiziert am 25. Januar 2022
Einst war sie «La dame au crâne rasé» – Eine Ausstellung in Winterthur zeigt das fotografische Werk der Schweizer Ausnahmekünstlerin
arttv Flash zur Ausstellung von Manon
Manon wäre nicht Manon, wenn sie in der Fotostiftung einfach ihre Fotos ausstellen würde. Das wäre für sie nicht in Frage gekommen. Vielmehr werden ihre Werke aufwändig inszeniert. Besonders beeindruckend jener schwarz-weiss gekachelte Raum. Hier wird eine ihrer Fotoserien mit einem Geh- und einem Blindenstock kombiniert. Die beiden Gegenstände deuten auf Manons nachlassende Kräfte hin. «Zu spät» hat Manon in der Ausstellung hingeschrieben. Aber zu spät für was? Manon hätte sich die Aufmerksamkeit, die die wunderbare Ausstellung im Kunsthaus Zofingen und die aktuelle, nicht minder grandiose, in der Fotostiftung, zu einem früheren Zeitpunkt ihres Lebens gewünscht. Diese Energie hätte sie noch viel weiter gebracht, in noch ganz andere Höhen katapultiert, meint sie. Bestimmt nicht zu spät ist es, das einmalige Werk dieser Ausnahmekünstlerin neu oder wieder zu entdecken.
Einst war sie «La dame au crâne rasé»
Ihr fotografisches Œuvre ist ein Reigen der Schönheit und der Vergänglichkeit, angeführt von «La dame au crâne rasé», der legendären Serie aus den Jahren 1977/78. Eine einzigartige Zusammenstellung von Prints aus dieser Serie befindet sich bereits seit 1982 in der Sammlung der Fotostiftung Schweiz. Jene Selbstinszenierung als Grossstadtengel, der mit kahlgeschorenem Schädel androgyn und sexy, verletzlich und dennoch unantastbar cool wirkt, ist die erste fotografische Werkgruppe der Künstlerin, die auch internationale Beachtung fand. Manon hinterfragt hier Konzepte von Weiblichkeit und verwendet die Fotografie einerseits als Spiegel ihrer Identitätssuche und andererseits als Möglichkeit, aus Einzelbildern eine lose Geschichte zu weben, die viel Raum für Interpretationen lässt. In den folgenden Fotoprojekten geht sie bei der Bildgestaltung noch konzeptioneller vor, die Auseinandersetzung mit Rollenmustern und Lebensentwürfen bleibt aber grundlegend.
Drei monografische Ausstellungen
Anlässlich des 80. Geburtstags der Künstlerin sollte ihr Schaffen 2020 mit einem Joint Venture dreier Ausstellungshäuser und einer gemeinsamen Publikation gefeiert werden. Das Buch MANON erschien im November 2019 zur Eröffnung der Ausstellung im Kunsthaus Zofingen (23.11.2019 – 23.02.2020), die noch vor der ersten Welle der Corona-Pandemie zu Ende ging. Die Soloschau im Centre culturel suisse in Paris musste verschoben werden und fand vom 26.04. bis 12.07.2021 statt. Die Fotostiftung kann nun im Frühjahr 2022 endlich nachziehen. Das Aneinanderanknüpfen der drei monografischen Ausstellungen bietet 14 Jahre nach der umfassenden Schau im Helmhaus Zürich wieder einen grösseren Überblick, der auch die neueren Arbeiten berücksichtigt. Während im Kunsthaus Zofingen und im Centre culturelle suisse eine auf die jeweilige Raumsituation eingehende Installation im Zentrum der Präsentation stand, übernimmt die Fotostiftung Schweiz die Würdigung von Manons fotografischem Werk als bedeutende Position in der Schweizer Fotogeschichte.
Das fotografische Œuvre
Gezeigt werden die frühen fotografischen Arbeiten im Dialog mit den Tableaus der vergangenen zwei Jahrzehnte, um jene grundlegenden Themen und Motive sichtbar zu machen, die sich wie rote Fäden durch Manons Bildwelt ziehen, und dabei ihren sich wandelnden Umgang mit dem Fotoapparat zu beleuchten. Von den bekannten Serien aus den 1970er-Jahren sind neben «La dame au crâne rasé» eine Auswahl aus «Die graue Wand oder 36 schlaflose Nächte» und die grossformatige Neuinterpretation von «Elektrokardiogramm 303/304» in der Ausstellung präsent. Diese Klassiker stehen neben den Arbeiten, die – nach einer längeren Schaffenspause – ab den frühen 1990er-Jahren entstanden sind: Mit «Künstler Eingang» (1990) und «Die Stickerinnen» (1990/2014) suchte Manon eine distanziertere Form der Selbstinszenierung, wobei sie wie schon in «Elektrokardiogramm» auf die Verwendung von gemalten Hintergründen zurückgriff. Die lustvolle Maskerade Einst war sie «Miss Rimini» (2003) der über 60-jährigen Frau leitet über zu Manons Beschäftigung mit dem Alter und der Vergänglichkeit, die sie auch in ihrem Langzeitprojekt «Hotel Dolores» (2008 – 2011) umtreibt. In der Kulisse der zerfallenen Badener Kurhotels taucht die Künstlerin nur hin und wieder auf, wie ein Phantom: Manon übt darin das Verschwinden, indem sie die Repräsentation ihrer Person auf das Interieur, Requisiten ihrer Installationen und Performances sowie Zitate ihrer frühen Fotografien überträgt. Mit dem «Selbstporträt in Gold» (2012) und «Lippen» (2014), die in der Ausstellung prominent platziert sind, spitzt sich ein Unbehagen zu, das auch zuvor schon spürbar ist: Schönheit kippt ins Artifizielle – der Körper wird zur unheimlichen Skulptur. Um dem installativen Charakter von Manons Werk ebenfalls Rechnung zu tragen, wird die Präsentation der fotografischen Arbeiten in der Ausstellung durch Objekte und Interventionen wie die Zeitansage aus «Die gesammelten Ängste» (2015) ergänzt und in gestaltete Räume eingebettet.
Text: Fotostiftung Schweiz