Tove Jansson ist die Schöpferin der Mumins – der knuddeligen Trollfiguren aus dem Mumintal, die seit über 70 Jahren Kinder und Erwachsene auf der ganzen Welt verzaubern. Der nach der Künstlerin benannte Film erzählt von ihrer turbulenten Suche nach Identität, künstlerischer Freiheit und sexueller Selbstbestimmung. Und davon, wie die zunächst nur nebenbei gezeichneten Fabelwesen zu einem einmaligen Erfolgsphänomen wurden.
Tove
Das mitreissende Biopic erzählt vom aufregenden Leben der wohl bekanntesten Autorin und Zeichnerin Finnlands
Tove | Die Rezension
von Madeleine Hirsiger
Man weiss nach den ersten Bildern, mit wem man es zu tun hat: die junge Finnin Tove Janssen ist kein verlorenes Kind, das leicht depressiv durch das im 2. Weltkrieg zerstörten Helsinki herumirrt. Im Gegenteil: Wir erleben sie tanzend in einem Zimmer und ihre Ausstrahlung, ihre Stärke überträgt sich schnell aufs Publikum.
Wer kennt sie nicht, die Mumins, die Zeichenfiguren mit der breiten, dicken Nase, die Tove in den 40er-Jahren erfunden hat und die sie später zu einer wohlhabenden Frau gemacht haben. Es sind aber nicht die Trollwesen, die diesen wunderbaren Film ausmachen, sondern das aufregende, interessante und keineswegs gradlinig verlaufende Leben einer unabhängigen und doch nach Geborgenheit dürstenden jungen Frau. Man ist gerne bereit, Tove kennenzulernen.
Toves Vater, ein renommierter Bildhauer, den alle Welt in Finnland und darüber hinaus kennt – ein strenger, sehr konservativ lebender Mann – hat weder Bewunderung noch aufmunternde Worte für die Kunst seiner einzigen Tochter übrig. Und das ist immer wieder ein wunder Punkt in ihrem Leben: das Kleinreden ihrer ‹Kleinkunst› seitens des ‹grossen Künstlers›. Ihre Mutter spielt praktisch keine Rolle. Um zu gefallen, versucht sich Tove immer wieder an der Malerin, aber auch das will ihr nicht richtig gelingen.
Trost findet sie zwischendurch bei einem linken Politiker, der von ihrem unangepassten, freiheitsliebenden Leben angetan ist. Ja, er lässt sich zuletzt scheiden und macht Tove einen Heiratsantrag. Sie kann nicht. Ihr Durst nach Freiheit führt sie auch zu Vivica, einer sehr gut verheirateten Theaterregisseurin. Sie verliebt sich unwiederbringlich in die attraktive Frau, die aber, wie Tove schmerzlich feststellen muss, auch andere Beziehungen zu Frauen hat. Und das ist das eigentliche Drama in ihrem Leben: der Anspruch nach unkontrolliertem Freisein und das Bedürfnis nach Nähe, Zärtlichkeit und Geborgenheit.
«Tove» ist ein packender, in warmen Bildern gehaltener und gekonnt inszenierter Film über eine aussergewöhnliche Frau, die schliesslich mit ihren Mumins grosse Karriere machte – mit der umwerfenden Hauptdarstellerin Alma Pöysti und der Regisseurin Zaida Bergroth, die mit ihrem fünften Spielfilm zeigt, was sie draufhat. Ein sogenannter ‹Frauenfilm› – auch für Männer. Tove Jannsen ist 2001 im Alter von 87 Jahren gestorben.
Tove | Die Synopsis
Als die junge Künstlerin Tove Jansson 1945 in Helsinki die Mumins erfindet, steckt sie gerade mitten in einer Sinnkrise: Sie führt eine offene Beziehung mit dem linken Politiker Atos und ist wild verliebt in die aufregende Theaterregisseurin Vivica. Toves Vater, ein renommierter Bildhauer, blickt verächtlich auf ihre Arbeit. Und auch sie selbst würde lieber mit moderner Kunst reüssieren. Doch ausgerechnet ihre nebenbei gezeichneten Geschichten von den Trollwesen mit den Knollnasen werden von einer Zeitung in Serie gedruckt – und machen Tove in kurzer Zeit reich und berühmt. Doch ist das schon die Freiheit, nach der sie sich immer gesehnt hat?
Tove | Die Stimmen
«Wie Bergroths vorheriger Film ‹Marias Paradies› (2019), ebenfalls ein nuanciertes, faktenbasiertes Epochendrama mit Fokus auf Frauenbeziehungen, entführt der noch ambitioniertere ‹Tove› das Publikum in die Welt seiner Figuren.» – Alissa Simon, Variety | «Das Ensemble ist exzellent, vor allem Alma Pöysti (Tove Jansson) in ihrer ersten Hauptrolle, die als temperamentvolle, leidenschaftliche und unkonventionelle Künstlerin betörend ist.» – Liz Beardsworth, Empire Online
Leben und Werk von Tove Janssons
Tove Jansson wird am 9. August 1914 in Helsinki geboren. Ihre Eltern sind beide künstlerisch aktiv, der Vater als Bildhauer, die Mutter als Grafikerin. Das Leben der jungen Familie bewegt sich zwischen Bourgeoisie und Boheme. Zwei zentrale Schauplätze von Toves Kindheit, die schwedische Insel Blidö und die finnische Insel Pellinge, werden später als Inspiration für die Welt ihrer Mumin-Geschichten dienen. Durch ihre Mutter wird Tove früh zum Zeichnen gebracht. Als 16-Jährige bricht sie die Schule ab. Später studiert sie zunächst Illustration und Werbezeichnung in Stockholm, dann Malerei in Helsinki. Durch Reisen nach Deutschland und Frankreich lernt Tove den Impressionismus kennen. Ihre Reise zum Vesuv in Italien wird Einfluss auf ihr Buch «Komet im Mumintal» haben.
Ab den 1930er Jahren ist Tove als Zeichnerin und Illustratorin aktiv. In politischen Karikaturen setzt sie sich kritisch mit dem Nationalsozialismus, dem Stalinismus und den Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges auseinander, was insbesondere in ihrem Heimatland kontrovers aufgenommen wird. Daneben widmet sie sich der Malerei. Es entstehen Porträts, Selbstporträts, Glasmalereien und Wandgemälde. Neben ihren eigenen Romanen illustriert sie unter anderem Ausgaben von J. R. R. Tolkiens «Der Hobbit» und Lewis Carrolls «Alice im Wunderland». 1945 veröffentlicht Tove das Buch «Mumins lange Reise» um eine Familie von nilpferdartigen Trollwesen. Es ist kein kommerzieller Erfolg, auch der Nachfolger-Roman «Komet im Mumintal» bringt 1946 noch nicht den Durchbruch. Toves drittes Mumins-Buch «Die Mumins. Eine drollige Gesellschaft» ist dann 1947 aber ein grosser Erfolg. Ab 1947 druckt die schwedischsprachige Wochenzeitung ‹Ny Tid› Toves Mumin-Comics als Serie. Später erschienen die Strips auch einmal die Woche in der britischen Zeitung ‹The Evening News›. Insgesamt werden die Mumin-Comics in 120 Zeitungen und 40 Ländern veröffentlicht.
Bis 1970 bringt Tove neun Mumin-Romane heraus. Hinzu kommen vier Mumin-Bilderbücher zwischen 1952 und 1980. Die Mumin- Romane, Bilderbücher und -Comics werden u.a. als Zeichentrick und Puppenspiel-Serien, als Hörspiele und als Theaterstücke adaptiert. Die Bücher werden in mehr als 30 Sprachen übersetzt und machen Tove zu einer der bekanntesten skandinavischen Schriftsteller*innen. In einigen Figuren der Mumin-Welt lassen sich reale Vorbilder erkennen, so etwa der Schriftsteller und Politiker Atos Wirtanen, mit dem Jansson zwischen 1944 und 1951 liiert war, und die Theaterregisseurin Vivica Bandler, mit der Jansson 1946/47 eine Liebesbeziehung führte. Ihre spätere Lebensgefährtin, die Grafikerin Tuulikki Pietilä, lässt sich in der Figur Tooticki deutlich ausmachen. Auf ihren autobiografischen Roman «Die Tochter des Bildhauers» lässt Tove ab den 1970er Jahren weitere elf Romane sowie diverse Kurzgeschichten für Erwachsene mit menschlichen Figuren folgen. Sie stirbt am 27. Juni 2001 nach längerer Krankheit in Helsinki.
Tove | Der Hintergrund
Die Filme «Maria’s Paradies», «Miami», «The Good Son» und «Last Cowboy Standing» der Regisseurin Zaida Bergroth (*1977) wurden auf zahlreichen Festivals, u.a. dem Toronto International Film Festival, gezeigt und erhielten Auszeichnungen u.a. auf dem Busan International Film Festival und dem Chicago International Film Festival. «Tove» ist Bergroths fünfter Spielfilm als Regisseurin.