Chef d’œuvre brillamment interprété et multi-récompensé notamment à la dernière Mostra de Venise, «Saint Omer» représentera la France aux prochains Oscars.
Saint Omer
Alice Diop réalise son premier long métrage de fiction sur le procès d'une mère infanticide et les affres de la maternité.
Saint Omer | Synopsis
La jeune romancière Rama assiste au procès de Laurence Coly aux assises de Saint-Omer. Celle-ci est accusée d’avoir tué sa fille de quinze mois en l’abandonnant à la marée montante sur une plage. Mais au cours du procès, rien ne se passe comme Rama l’avait prévu et elle se questionne sur son propre rapport à la maternité. La parole de l’accusée et l’écoute des témoignages font ainsi vaciller ses certitudes et l’interrogent sur ses jugements.
Vainqueur du Lion d’argent à la dernière Mostra de Venise et inspiré d’une histoire vraie, «Saint-Omer» de la réalisatrice Alice Diop, est un film bouleversant qui explore la question universelle de la maternité et de nos liens avec celle-ci. Tout en étant à la fois un drame judiciaire tendu et un intrigant portrait psychologique, ce film est aussi une passionnante investigation sur la nature humaine et les raisons qui nous poussent à accomplir nos actions.
Saint Omer | Autres voix
«Cheffe d’orchestre captant la note juste de chaque soliste et de chaque fil formel et narratif, au service de son propos, Alice Diop atteint ici un très haut niveau de cinéma humaniste et politique.» – Bande à Part | «Faire un film extraordinaire sur la maternité en partant d’un infanticide. Faire un film sec, intègre, intelligent à partir d’un épouvantable fait divers. Voilà le petit miracle de
Rezension
Die in goldenes Licht und warme Farben getauchten Bilder von «Saint Omer» lassen uns sein tragisches Thema fast vergessen. Alice Diop, ursprünglich Dokumentarfilmerin, erzählt in ihrem ersten Spielfilm die wahre Geschichte des Gerichtsverfahrens gegen eine Kindsmörderin, bei dem die Regisseurin anwesend war. Fast Wort für Wort stellt sie akribisch die Aussagen der Anwält:innen, der Richterin und vor allem der kriminellen Mutter zusammen. Guslagie Malanda, die zentrale Figur dieser Rekonstruktion, liefert eine beeindruckende Leistung ab, indem sie die komplexe Frau Fabienne Kabou (im Film Laurence Coly genannt), die 2013 vor dem Strafgericht von Saint Omer angehört und verurteilt wurde, perfekt verkörpert.
Eine ambivalente Mutterfigur.
Mit ihrer beinahe sinnlichen Ausdrucksweise und den poetischen Sprachbildern ihres Plädoyers sprängt die Frau, die in fehlerfreiem Französisch erklärt, wie sie ihre 15 Monate alte Tochter an den Strand legte und die Flut sie wegspülen liess, die Leinwand. Die Stärke des Films liegt in dieser gewaltigen literarischen Sprache, die mit den Stereotypen bricht, die normalerweise mit der Darstellung schwarzer Frauen in der westlichen kollektiven Vorstellungswelt verbunden sind. Eine Frau senegalesischer Herkunft erzählt von ihrem Verbrechen, aber sie versucht auch, wie das damalige Publikum des Prozesses und die Zuschauer von «Saint Omer» heute zu verstehen, warum sie das Undenkbare getan hat. Der Film konzentriert sich tatsächlich auf ein Geheimnis, da es keine Antwort gibt, weder in der Realität noch in der Fiktion. Doch sind die Zuschauerinnen beinahe im Gerichtssaal anwesend, da die Nahaufnahmen lange bei jedem Einzelnen verweilen. Die Kamera lässt sich Zeit, jeden Ausdruck einzufangen. Wir versetzen uns fast in die Lage der Geschworenen und ändern mit ihnen unsere Meinung über diese teilnahmslose Frau, die abwechselnd intelligent, rührend, kalt und verrückt erscheint. Sie gibt Hexerei als Grund für ihre Tat an und erklärt ihre Zweifel im nächsten Moment einsichtig und in aller Klarheit.
Die fehlenden Erzählungen
Trotzdem greift Alice Diop dieses Ereignis nicht auf, um ein Urteil über die Angeklagte zu fällen. Indem sie Rama, einer jungen schwangeren Autorin, die sich für den Prozess interessiert, als weitere zentrale Figur einführt, trägt «Saint Omer» einen jahrtausendealten Diskurs fort. Wir erkennen darin eine Geschichte von Mutterschaft und der damit verbundenen Schrecken. Es geht um die komplexen Verbindungen zwischen Müttern, Töchtern und Enkelinnen in einer transzendentalen Bewegung, die die Regisseurin unausweichlich und erschütternd macht. Rama, die von Kayije Kagame mit viel Feingefühl gespielt wird, hat Angst, ihr Kind wie ihre Mutter zu erziehen und ihre Fehler zu wiederholen; die Erinnerungen an ihre Kindheit werden so auf den Prozess von Laurence Coly übertragen. Die grossartige Tirade von Laurence Colys Anwältin am Ende des Films zeigt dies, indem sie es eindrücklich illustriert: «Wir Frauen sind alle Chimären, wir tragen die Spuren unserer Mütter und unserer Töchter in uns, die ihrerseits unsere eigenen Spuren tragen werden. Es ist eine unendliche Kette.» Wenn Alice Diop so von den Erfahrungen und der Last der Abstammung jeder Frau spricht, wendet sie sich besonders an schwarze Frauen, an Exilantinnen und an diejenigen, die nicht gehört werden.
Fazit: Wie die Regisseurin selbst sagt, möchte sie der Welt all diese fehlenden Erzählungen anbieten, und das tut sie mit einem immensen Talent. «Saint Omer» wurde bei den Filmfestspielen von Venedig zweifach ausgezeichnet und erhielt bei der GIFF den Reflet d’Or im Wettbewerb für Spielfilme. Absolut sehenswert.