Rosa von Praunheim (1942–2025) hat das deutsche Kino politisiert, personalisiert und radikal geöffnet. Seine Filme erzählen von Ausgrenzung und Begehren, von Schmerz und Selbstermächtigung, von Verletzlichkeit und Widerstand – aber auch von stolzen Menschen, die sichtbar werden wollten. Praunheim rückte Queerness nicht an den Rand, sondern ins Zentrum gesellschaftlicher Realität.
Rosa von Praunheim – Das Leben als Material
- Publiziert am 18. Dezember 2025
Fünf Filme, die sein Werk prägen
Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt (1971)
Dieser Film markiert einen Einschnitt in der deutschen Film- und Gesellschaftsgeschichte. Mit schmerzhafter Klarheit legt Rosa von Praunheim strukturelle Diskriminierung offen und zeigt, dass Unterdrückung nicht individuell, sondern systemisch ist. Der Film löste heftige Kontroversen aus und gilt bis heute als Initialzündung der modernen Schwulenbewegung im deutschsprachigen Raum.
Unsere Leichen leben noch (1981)
Ein bitterer, melancholischer Film über schwules Leben zwischen Anpassung und innerer Leere. Praunheim zeigt Menschen, die sich eingerichtet haben – und daran zerbrechen. Der Film markiert den Übergang vom agitatorischen zum existenziellen Erzählen und gehört zu seinen schmerzhaftesten Arbeiten.
Silvester Countdown (1997)
Kurz vor der Jahrtausendwende blickt Rosa von Praunheim auf Freundschaften, Beziehungen, Hoffnungen und Ängste. HIV und AIDS sind präsent, ohne je plakativ zu werden. Ein leiser, sehr persönlicher Film über Zeit, Nähe und Vergänglichkeit.
Rosas Höllenfahrt (2004)
Eine schonungslose Selbstbefragung. Rosa von Praunheim blickt auf sein eigenes Leben zurück, auf Widersprüche, Verletzungen und Kämpfe. Der Film zeigt einen Künstler, der sich selbst nicht ausnimmt – und gerade darin glaubwürdig bleibt. Autobiografie als offenes Denken.
Härte (2015)
Mit Härte wendet sich Rosa von Praunheim einem lange verdrängten Thema zu: sexualisierte Gewalt an Jungen. Der Film erzählt von Trauma, Sprachlosigkeit und dem Versuch, weiterzuleben. Ruhig, präzise, ohne jede Sensationslust. Ein spätes, reifes Werk von grosser Klarheit.

Ein Leben gegen die Unsichtbarkeit
Ein Nachruf von arttv Chefredaktor Felix Schenker
Geboren 1942 als Holger Bernert, erfand sich Rosa von Praunheim früh selbst – als Schutz, als Haltung, als künstlerisches Programm. Seinen Künstlernamen leitete er vom Berliner Stadtteil Praunheim ab, in dem er damals lebte. In einer Zeit, in der Homosexualität kriminalisiert, pathologisiert und verschwiegen wurde, machte er sie öffentlich: nicht angepasst, nicht beschwichtigend, sondern offensiv und streitbar.
Rosa von Praunheim war nie bloss Filmemacher. Er war Aufklärer, Aktivist, Provokateur und Chronist zugleich – und dabei schoss er auch einmal über das Ziel hinaus. Mit dem Zwangsouting prominenter Persönlichkeiten wie Hape Kerkeling oder Alfred Biolek überschritt er Grenzen. Später benannte er dies selbst als Fehler und entschuldigte sich dafür. Er verstand diese Zuspitzung rückblickend als Hilferuf in einer Zeit, in der AIDS seinen grausamen Höhepunkt erreichte und Schweigen tödlich war.
Sein Werk umfasst weit über hundert Filme – Dokumentarfilme, Spielfilme, filmische Essays und Fernsehproduktionen. Formale Perfektion interessierte ihn weniger als Wahrhaftigkeit. Seine Filme sind roh, direkt, manchmal sperrig – aber immer getragen von einer tiefen Solidarität mit jenen, die sonst keine Stimme haben.
Dabei ging es ihm nie ausschliesslich um queere Themen. Seine Arbeiten handeln von Macht und Abhängigkeit, von Trauma, Klassenunterschieden, vom Altern, vom Lieben und vom Scheitern. Kurz: vom Leben in all seiner Zumutung.

Ein Gespräch, das mehr war
Meine persönliche Begegnung mit Rosa von Praunheim anlässlich der Berlinale 2015, bei der ich den Filmemacher zu seinem Film HÄRTE interviewen durfte, ist mir bis heute bestens in Erinnerung geblieben. Keine Spur von Starallüren. Stattdessen: zugänglich, herzlich, aufmerksam. Ein Mensch, der nichts vorspielte. Seine Filme fand ich nicht immer gut, aber Rosa von Praunheim hat gezeigt, dass Kunst dann am stärksten ist, wenn sie aus gelebter Wirklichkeit entsteht.
Diese Begegnung war mehr als eine freundliche Episode. Sie bestätigte, was seine Filme seit Jahrzehnten zeigen: Hier sprach einer, der das Leben kannte und der vor allem davon keine Angst hatte. Nicht aus Theorie oder Attitüde, sondern aus Erfahrung. Einer, der Menschen ernst nahm und sich nicht vor ihnen fürchtete – vor der Kamera ebenso wie im direkten Austausch. Rosa von Praunheim erzählte nicht über andere, sondern mit ihnen.
Haltung statt Pose
Mit Rosa von Praunheim – der noch kurz vor seinem Tod seinen langjährigen Lebenspartner heiratete – verliert das Kino eine unverwechselbare Stimme. Er hat gezeigt, dass Offenheit keine Pose ist, sondern eine Haltung, der ich auch ganz persönlich viel zu verdanken habe.
Sein Kino bleibt: als Archiv gelebter Wirklichkeit, als Zumutung, als Ermutigung. Und als Erinnerung daran, dass Kunst dort am stärksten ist, wo sie sich dem Leben aussetzt.