Um sich in der Pornoindustrie zu etablieren, lässt sich Bella Cherry, eine junge, zielstrebige Schwedin, auf Hardcore-Pornodrehs ein. Doch die erlebte Rohheit kann sie nicht so gut einstecken, wie sie dachte, und lässt sie ihre Berufswahl reflektieren. Ein gewaltiger Film, der die Diskussion um die Selbstbestimmung der Frau im Pornogeschäft kräftig anheizen könnte.
Pleasure
Pleasure | Rezension
von Felix Schenker
Spermaverschmiertes Gesicht
Zugegebenermassen ist «Pleasure» einer der Filme, von denen man zuweilen angeekelt denkt, ob man sich das wirklich ansehen will. Etwa wenn die Kamera die junge Pornodarstellerin Bella Cherry aus der Vogelperspektive filmt, mit stark geröteten Wangen und einem mit Sperma völlig zugeschmierten Gesicht. Natürlich weiss man, dass das weisse Zeugs genauso wenig echt ist wie das Blut in den Horrorfilmen, trotzdem würde man in solchen Momenten gerne das Kino fluchtartig verlassen. Dass es sich lohnt zu bleiben, hat damit zu tun, dass «Pleasure» ein grandioser Film ist und das hat wiederum mehrere Gründe.
Explizit und doch nicht pornografisch
Regisseurin Ninja Thyberg verwendet in ihrem ersten Spielfilm zwar explizite Bilder, trotzdem beobachtet sie die ganze Pornoindustrie dermassen genau, dass ihr Film nicht pornografisch wirkt. Vielmehr ist es eine scharf beobachte Sittenstudie mit durchaus sehr melancholischen Szenen. Weiter ist die Geschichte gut erzählt, spannend und hervorragend gespielt. Ein besonderes Verdienst der Regisseurin ist aber, dass ihre Geschichte nicht moralisch vorbelastet erzählt wird. Es ist die 18-jährige Bella Cherry selber, die den Traum lebt, eine der ganz Grossen im Pornogeschäft zu werden und darum in Los Angeles ihr grosses Glück sucht. Ganz ohne Druck und Zwang.
Selbstbestimmung der Frau im Porno- und Sexgeschäft
Vielleicht gut, dass der Film von einer Frau realisiert wurde, sonst würden sicher schnell Vorwürfe laut, dabei handle es sich um perverse Fantasien aus der Männerwelt. Thyberg lässt nichts aus: doppelte anale Penetration, Männer, die von der Natur besonders grosszügig bestückt wurden, Peitschenhiebe und andere Gewaltszenen, die in Pornofilmen zwar die Regel, im Kino aber doch verstörend sind. Thyberg darf dank ihres Geschlechts ziemlich viel, was bei einem männlichen Regisseur zu Kritik führen könnte. Zum Glück, denn so hat sie einen provokativen Film aus dem Blickwinkel einer selbstsicheren Frau realisiert, der die Frage nach der Selbstbestimmung der Frau im Porno- und Sexgeschäft beflügelt und zum Nachdenken anregt.
Nebenschauplatz: Künstliches Sperma
Der Film hat zudem einen Nebeneffekt, zum ersten Mal habe ich mich gefragt, aus was Filmsperma eigentlich besteht. In diversen Interneteinträgen wird Methylcellulose erwähnt, der Hauptbestandteil der allermeisten Tapetenkleister, die angeblich in Horrorfilmen als Schleim- oder Speichelersatz verwendet werden. So gut wie alle Pornodarsteller erwähnen jedoch, dass die Gesichtsreinigungscreme Cetaphil für sie das Mittel der Wahl sei. Es sehe einfach wirklich wie Sperma aus, aber es schmecke nicht so super. Deswegen verwenden manche Studios für Szenen, in denen das angebliche Sperma länger im Mund behalten werden soll, eine Piña-Colada-Mischung.
Fazit: Für mich ist «Pleasure» einer der besten Filme des Zurich Film Festivals 2021, auch wenn dieser zuweilen nur schwer zu ertragen ist.
Pleasure | Die Synopsis
Bella Cherry (Sofia Kappel) ist der Künstlername des jungen Schwedin Linnéa. Sie reist nach Los Angeles, um dort ein erfolgreicher Pornostar zu werden. Ihre Entschlossenheit reicht anfänglich nicht aus, um sich die lukrativsten Drehs zu sichern, weswegen sie sich auf sogenannten «Hardcore»-Themen einlässt. Dafür muss sie sich beim Sex schlagen, fesseln oder anspucken lassen und für die Nachstellung von Vergewaltigungsszenen herhalten. Doch so einfach, wie sie glaubte, kann sie diese Erfahrungen nicht verarbeiten und vom erwarteten Spass bei der Arbeit spürt sie schnell nicht mehr viel.
Pleasure | Stimmen
«Die schwedische Regisseurin Ninja Thyberg scheut sich nicht, unbequeme Fragen zu stellen und noch unbequemere Bilder zu zeigen. Es geht um Machtmissbrauch, einem selbstzerstörerischem Verhalten und im Wesentlichen um Institutionalisierung von Gewalt. ‹Pleasure› ist dabei als Titel mehr als zweideutig, da der Film impliziert, dass es um das Vergnügen bei den meisten Akteuren in der Pornoindustrie am wenigsten geht. Geschickt konstruiert Thyberg das Porträt einer naiven jungen Frau, aber auch das einer ganzen Branche mit ihren dunklen Seiten.» – Teresa Vena, outnow | «Mit expliziten, ästhetischen wie auch beklemmenden Szenen nimmt uns der Film in ein gnadenloses, männerdominiertes Business mit, in dem Lust, Gewalt und Macht untrennbar scheinen.» – Zurich Film Festival