Eigentlich waren kurze Dokumentarfilme geplant, doch Altmeister Wim Wenders überzeugte seine japanischen Projektinitiatoren davon, ihn mit dem Budget einen Spielfilm umsetzten zu lassen. Als Drehorte sollten die in Japan so verbreiteten öffentlichen Toiletten dienen. Rund um das stille Örtchen schrieb Wenders gemeinsam mit seinem Co-Autor Takuma Takasaki eine bezaubernde Geschichte für seinen Wunsch-Schauspieler Koji Yakusho, der in Cannes als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde.
PERFECT DAYS
PERFECT DAYS | Synopsis
Hirayama reinigt öffentliche Toiletten in Tokio. Er scheint mit seinem einfachen, zurückgezogenen Leben vollauf zufrieden zu sein und widmet sich abseits seines äusserst strukturierten Alltags seinen zwei Leidenschaften: Er hört sich gerne Musik über alte Audiokassetten an und liest abends in gebrauchten Taschenbüchern. Durch eine Reihe unerwarteter Begegnungen kommt nach und nach seine Vergangenheit ans Licht, die er längst hinter sich gelassen hat.
PERFECT DAYS | Weitere Stimmen
«Wim Wenders bester Spielfilm seit drei Jahrzehnten […]. Ansteckend Zen-artig.» – Filmstarts.de | «‹Perfect Days› hat einen urbanen Charme, und Yakusho verleiht dem Film mit seiner unaufdringlichen Weisheit und Ausstrahlung das gewisse Etwas.» – The Guardian | «‹Perfect Days› schwelgt in seinem atmosphärischen Minimalismus ebenso sehr wie seine Protagonistin, doch irgendetwas fehlt.» – Paste Magazine
Rezension
Von Geri Krebs
In den ersten Szenen glaubt man sich in einem Dokumentarfilm. Mit stupender Präzision beobachtet die Kamera, wie Hirayama, der Protagonist, am Morgen aufsteht, in seinen blauen Overall mit der Aufschrift «The Tokyo Toilet» schlüpft und sich ins Firmenauto setzt, um an seinen ersten Einsatzort zu fahren. Aus einem Automaten lässt er einen Kaffee heraus. Danach begibt er sich zu einem schmucken, an einen kleinen Tempel erinnerndes Toilettenhäuschen. Er packt seine Arbeitsutensilien aus: Handschuhe, Lappen, Besen, Schwämme, Putzmittel. In jeder Bewegung des stillen Mannes liegt eine grosse Konzentration, ja geradezu Hingabe. Alles scheint dabei so perfekt choreografiert, dass einem erst jetzt langsam dämmert, dass da alles in Perfektion inszeniert wurde.
Die analoge Welt
Dass wir uns in einem Spielfilm befinden, wird vollends klar, als nach längerer Zeit ein junger, etwas unbeholfen wirkendender Mitarbeiter von Hirayama auftaucht. Erst jetzt fallen erste Worte, freundlich gibt Hirayama dem Jungen ein paar Anweisungen. Später, zur Mittagspause begibt er sich in einen Park. Hier geht er seiner Passion nach: Er blickt in Baumkronen, fotografiert sie, lauscht den Vögeln. Zurück im Auto ertönen alte Rocksongs, etwa von Velvet Underground, The Animals oder Patti Smith. Die Musik kommt aus einem Kassettenrekorder, Hirayama hat einen ganzen Stapel an Musikkassetten im Auto – ebenfalls aus der analogen Welt stammt auch sein Fotoapparat. In einer Welt extremer Digitalisierung und Globalisierung, in der letztlich alles leer ist, erscheint die Körperlichkeit, die in den Bewegungen von Hirayama so betont wird, als perfekte Ergänzung zu diesen analogen Dingen: Und wenn später am Tag plötzlich die Nichte des Protagonisten auftaucht, eine junge Frau, zu der er seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte, weitet sich der Film. Von einer Hommage an die Bedeutung kleiner, handfester Dinge hin zu einer Hymne an den Wert menschlicher Beziehungen.
Auf Ozus Spuren
Vor fast vierzig Jahren, unmittelbar nach PARIS, TEXAS, hatte Wim Wenders schon einmal einen Film in Japan realisiert, TOKYO-GA. In jenem Dokumentarfilm begab er sich auf die Spuren des zwanzig Jahre zuvor verstorbenen Yasujirō Ozu, des von ihm hoch verehrten grossen Meisters des klassischen japanischen Kinos. DIE REISE NACH TOKYO heisst Ozus bekanntester Film – und wie in fast all seinen Filmen ging es darin um eine auseinanderbrechende Familie. Gewissermassen knüpft Wenders in PERFECT DAYS an seinen Japan-Film von 1985 an – und an Ozu, denn letztlich ist auch PERFECT DAYS mit seiner Geschichte um den Toilettenreiniger, seine Nichte und den linkischen jungen Mitarbeiter eine Familiengeschichte.
Koji Yakusho
Es ist kein Zufall, dass Wenders mit dem Schauspieler, der Hirayama verkörpert, Koji Yakusho, jemanden gefunden hat, der diese Figur des wortkargen Protagonisten mit einer ätherischen Präsenz dargestellt, die nicht von dieser Welt zu sein scheint. Der 1956 geborene Darsteller hat schon in zahlreichen preisgekrönten Filmen Hauptrollen übernommen, so 1997 in Shohei Imamuras Cannes-Gewinner UNAGI – DER AAL oder 2005 in Rob Marshalls MEMOIRS OF A GEISHA und 2006 in Alejandro González Iñárritus BABEL. Verdientermassen hat er im vergangenen Mai in Cannes anlässlich der Weltpremiere von PERFECT DAYS den Preis als bester Schauspieler erhalten.
Fazit: Nachdem Wim Wenders mit seinen letzten beiden Kinofilmen, der Papstdoku PAPST FRANZISKUS – EIN MANN SEINES WORTES und der Tiefsee-Romanze SUBMERGENCE eher Grenzwertiges vollbracht hatte, ist ihm nun mit PERFECT DAYS, dieser Hymne an den Wert der kleinen Dinge, die Schönheit der Stille und die Stärke menschlicher Beziehungen, ein beglückender Film über einen perfekten Tag gelungen.