Yolande Zauberman bietet mit ihrem Film einen kritischen und aufschlussreichen Einblick in die Abgründe, die Transfrauen durchleben. Der Film beleuchtet, wie diese ihre Sexualität und ihre Transformation begreifen, und betont, dass sich unter dem vereinfachenden Etikett «Transfrau» einzigartige Geschichten verbergen. Geschichten, die von Leid und Kampf geprägt sind und dabei nur nach Liebe und Toleranz schreien.
LA BELLE DE GAZA
LA BELLE DE GAZA | SYNOPSIS
In Tel Avivs Hatnufa-Strasse treten sie aus dem nächtlichen Dunkel ins sinistre Licht, stark geschminkt, aufreizend gekleidet. Mit tiefer Stimme sagt eine/r der Schemenhaften, «Hier kann ich sein, wie ich bin, anderswo würde ich von Dächern gestossen oder erschossen». Das Ich bedeutet hier trans, das Anderswo Gaza oder die Westbank. Hinter der Szenerie schleichen Autos vorbei, Männer lungern umher und einem Gerücht wird nachgespürt: Wer ist die Transfrau, die zu Fuss die siebzig Kilometer von Gaza bis an die Hatnufa-Strasse zurückgelegt hat? Eine Frage als McGuffin, denn die Gesuchte bleibt ein Gerücht und der atmosphärisch beeindruckende Film spannend.
Filmkritik von Djamila Zünd
Intimität und Resilienz: Zaubermans Wette.
Die Ästhetik von LA BELLE DE GAZA erweist sich als erhabene visuelle und rhythmische Symphonie, in der künstlerische Unschärfen und präzise Kameraeinstellungen die Zuschauer:innen in die Intimität der Strassen von Tel Aviv eintauchen lassen. Die Regisseurin und Drehbuchautorin Yolande Zauberman, die bereits für ihre ergreifenden Erkundungen der Geschichten von Transgender-Frauen in Nazareth in M und WOULD YOU HAVE SEX WITH AN ARAB bekannt ist, begibt sich dieses Mal auf die Suche nach einer Transfrau, die zu Fuss aus dem Gazastreifen nach Tel Aviv geflohen ist. In LA BELLE DE GAZA hüllt Zauberman ihre mysteriösen Heldinnen in eine Ästhetik, die die Intimität der Porträtierten durch zarte schwarze Schleier oder sorgfältig abgestimmte Bildausschnitte schützt, um ihre Gesichter zu verbergen. Diese künstlerische Entscheidung bewahrt die Anonymität der Teilnehmerinnen, hebt aber gleichzeitig ihre Verletzlichkeit und Widerstandsfähigkeit gegenüber Widrigkeiten hervor.
Resilienz und geistige Tiefe
Die Aufrichtigkeit, mit der die Gruppe sich selbst preisgibt, zeugt nicht nur von dem Vertrauen, das der Regisseurin entgegengebracht wird, sondern auch von ihrem Talent, tiefe Verbindungen herzustellen und relevante Fragen zu stellen. Diese Vorgehensweise offenbart darüber hinaus eine weitere beunruhigende Realität: wie leicht es in unserer digitalen Gesellschaft ist, jemanden zu finden. Die gesuchte Belle, die in Tel Aviv auf der Suche nach Freiheit ist, bleibt unter ständiger Bedrohung durch Abschiebung und Gewalt, auch durch ihre eigenen Eltern, wenn diese sie finden. Trotz dieses angespannten Klimas fängt der Film auch die Solidarität und die kollektive Stärke dieser Frauen ein, die sich ihrer Macht bewusst sind: «We are powerful human beings» (Wir sind mächtige Menschen). Aber sie sind der Meinung, dass «nicht jeder mit dieser Welt der Beleidigungen umgehen kann». Jeden Tag «stellen sie sich der dunklen Seite der Menschheit und der Brutalität gegenüber Frauen» und offenbaren damit Resilienz und geistige Tiefe angesichts der Widrigkeiten.
Die Ambivalenz der «geträumten Stadt»: zwischen Oase und Fata Morgana.
Die Wolkenkratzer von Tel Aviv glitzern wie ein Hoffnungsschimmer für junge Menschen aus der gesamten Region, die auf der Suche nach dem Ausleben ihrer wahren Identität sind. Hinter dieser Suche verbirgt sich jedoch eine komplexe Realität. Der Film lässt die Zuschauer:innen in diese ambivalente Welt eintauchen und schwankt zwischen den Cafés und Restaurants, die Talleen Abu Hanna besucht. 2016 wurde sie zur Miss Transgender gewählt. Es ging ein Traum in Erfüllung, der für sie einst in weiter Ferne lag. Erst recht, als sie 2018 an der Wahl zur Miss Israel teilnehmen durfte. Tel Aviv verkörperte für sie die Stadt, in der alles möglich zu sein scheint. Sobald die Sonne untergegangen ist, sieht die Realität jedoch anders aus, und Tel Aviv mutiert zu einer Stadt mit einem gnadenlosen Nachtleben. Die lieblichen Cafés und Restaurants weichen einer dunkleren Welt, in der die Strassen unnachgiebig, hart und kritisch werden und in der hinter jeder Ecke Gefahren lauern. Transgender-Frauen müssen täglich um ihr Überleben kämpfen, sehen sich mit sinnloser Gewalt konfrontiert. Durch den Konsum von harten Drogen versuchen sie, ihrer aussichtslosen Lage zu entfliehen. «Das traumhafte Tel Aviv» enthüllt seine tiefe Dualität: ein Ort der Versprechungen und Hoffnungen, aber auch der Gefahren und Enttäuschungen. Jeder Lichtstrahl wird von einem anhaltenden Schatten begleitet.
Fazit: LA BELLE DE GAZA führt uns mitten in die faszinierende Geschichte einer Frau, die zu Fuss aus Gaza aufgebrochen ist, und vom unbändigen Wunsch getrieben wird, ihr Schicksal neu zu erfinden. Die Qualen, die Zweifel, die inneren Fragen – all das offenbart eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit.