Kino | Jud Süss
Regisseur Oskar Roehler erzählt vom Aufstieg und Fall des Schauspielers Ferdinand Marian, der sich durch den berüchtigtsten NS-Propagandafilm «Jud Süss» in Ruhm und Verderben katapultierte.
Synopsis: Der österreichische Schauspieler Ferdinand Marian (Tobias Morreti) erhält im Auftrag Joseph Goebbels (Moritz Bleibtreu) das Angebot, die Rolle des Juden Joseph Süss Oppenheimer in Veit Harlans Film «Jud Süss» zu spielen. Aus Angst, später auf jüdische Figuren fixiert zu werden und aus Rücksicht auf seine Frau Anna (Martina Gedeck) jüdischer Herkunft, lehnt Maria vehement ab. Lange vermag er dem eifrigen Nachdruck Goebbels jedoch nicht standhalten und willigt schliesslich ein. Sein Plan: Dem Vorzeige-Bösewicht sympathische Züge zu verleihen. Die Wirkung des anti-semitischen Films bei der Masse ist immens und Marians Leistung wird hochgelobt. Doch die Rolle, die ihm alle Türen öffnen sollte, erweist sich mehr als Fluch denn Segen. Das Lebensfundament des Schauspielers stürzt in sich zusammen. Stars: Tobias Morreti («Io, Don Giovanni», 2009) glänzt als Marian und spielt emotional glaubwürdig. Moritz Bleibtreus («Elementarteilchen», 2006) Interpretation des hinkenden Propagandaminister Goebbels wirkt leider wie eine überzogene Karikatur. Regie & Crew: «Jud Süss» von 1940 wurde von den Alliierten jahrelang verboten. In Deutschland ist eine öffentliche Sichtung nur mit Genehmigung und in kommentierter Fassung erlaubt. Oskar Roehlers («Elementarteilchen», 2006) Nachempfindung sorgte an der diesjährigen Berlinale für heisse Köpfe.
art-tv-Wertung: Nach der Weltpremiere in Berlin musste sich Oskar Roehler heftigen Vorwürfen der Geschichtsfälschung stellen, was ihn und Drehbuchautor Klaus Richter zu einer Stellungnahme veranlasste. Darin bekräftigen sie, fiktive Veränderungen lediglich zugunsten der melodramatischen Verdeutlichung vorgenommen zu haben. Tatsächlich scheut sich hier niemand, die historischen Fakten zu intensivieren. Ein wagemutiges Verfahren, denn die Tendenzen Marian als tragische Figur, die auf dem schmalen Grat zwischen Ruhm und Gewissen wandert, zu inszenieren, hat fatale Folgen. So ist nach Roehler Marians Frau eine Halbjüdin, was den darauffolgenden inneren Konflikt des Schauspielers bezüglich der Einwilligung der Rolle verfälscht. Ohne Frage gelingen Morreti diese psychischen Wandlungen in seiner Darbietung. Auch die Nebenrollen sind vornehm etwa mit Justus von Dohanyi oder Martina Gedeck besetzt. Selbst wenn eine Vorstellung über die perfide Wirkung des Nazipropagandafilmes zu vermitteln gesucht wird, kommt der Film nicht um kritische Reaktionen. Womöglich weil die Umstände zur Entstehung des Films und welche psychologischen Triebwerke dahinter rotieren, vernachlässigt werden. So gestaltet sich die ganze Geschichte zu einem brisanten Melodram, das es mit der Historizität nicht allzu genau nimmt. Fazit: Ein kontroverses Szenario über ein Stück dunkle Filmgeschichte, besetzt mit einem hochkarätigen Schauspiel-Ensemble.
Martina Felber