Filme wie «Pane e Tulipani» oder «Cosa voglio di più» haben ihm internationalen Erfolg und Auszeichnungen gebracht. Nun will Silvio Soldini daran anknüpfen, mit einem Film, der aktuell und universell sein will. Lautes und Schrilles ist ihm fremd, Soldini setzt auf genaue Beobachtungen, Gesten und eindringliche Blicke. Doch wo die einen eine facettenreiche Darstellung sehen, fragen sich andere, ob da nicht nur allzu bekannte Klischees bedient werden. Ein Pro und Kontra unserer Kritiker:innen.
Il Giardino del Re
Erinnerung, Identität, Schicksal, Entfremdung – um diese Themen kreist der neue Film des italienisch-schweizerischen Regisseurs Silvio Soldini.
Il Giardino del Re | Synopsis
Die erfolgreiche Wirtschaftsanwältin Camilla arbeitet in der unterkühlt-emotionslosen Welt der multinationalen Hochfinanz in Mailand. Sie geht völlig auf in ihrem Job. So bleibt kaum Zeit für die Beziehung zu ihrem Liebhaber und für ihre rebellische 19-jährige Tochter. Da gerät Camilla in einer regnerischen Nacht in einen Unfall, bei dem ein junger Mann ums Leben kommt. Er hat keine Papiere bei sich. Wer war er? Weshalb kennt ihn niemand? Camilla beginnt nachzuforschen, Spuren des Sans-Papiers zu suchen. Der Unfall, für den sie sich mitverantwortlich fühlt, lässt sie nicht mehr los – in dieser Nacht hat sich ein seelischer Riss in ihr aufgetan, alte Erinnerungen und tief verborgene Gefühle bahnen sich unaufhaltsam einen Weg in Camillas Herz und Gedanken…
Der 1958 in Mailand geborene italienisch-schweizerische Doppelbürger Silvio Soldini debütierte nach einem Studium in New York ab 1982 als Filmrealisator in Italien mit «Paesaggio con figure» und «Giulia in ottobre». Bereits für diese beiden Werke erhielt er Auszeichnungen an nationalen wie internationalen Filmfestivals. 1984 gründete er mit engen Mitarbeitern die Produktionsfirma Monogatari. 1985 realisierte er mit «Voci celate» seinen ersten Dokumentarfilm. 1990 kam sein Spielfilm «L’aria serena dell’ovest» in die Kinos. Er wurde vom Publikum positiv aufgenommen, an verschiedene Festivals eingeladen (Montreal, Rotterdam, «New Directors New Films»/Moma New York) und mit mehreren Preisen geehrt. «Un’anima divisa in due», Soldinis nächster Spielfilm, wurde am Filmfestival Venedig uraufgeführt und trug dem Schauspieler Fabrizio Bentivoglio den Darstellerpreis ein. 1997 folgte «Le acrobate», der unter anderem am Festival in Locarno und am San Francisco International Film Festival gezeigt und an den Rencontres Internationales de Cinéma in Paris ausgezeichnet wurde. 2000 dann gelang Soldini mit «Pane e tulipani» – in den Hauptrollen die Italienerin Licia Maglietta und der Schweizer Bruno Ganz – ein grosser Wurf. Der Film wurde in der ganzen Welt verkauft – von Japan bis Australien – und fand grossen Anklang in der Schweiz, in Deutschland, Argentinien, Brasilien und in den Vereinigten Staaten. Er wurde mit neun «David di Donatello-Awards», fünf «Nastro d’Argento-Awards», neun «Ciak d’oro-Awards» und dem Premio Flaiano ausgezeichnet und erhielt drei Nominierungen für die «European Film Awards». «Brucio nel vento» (2002), der auf dem Roman «Yesterday» von Agota Kristof basiert, wurde an die Berlinale eingeladen, erhielt acht Nominierungen für die «David di Donatello-«Awards und gewann den Preis für den besten Film am Internationalen Festival Film by the Sea in Vlissingen, Niederlande. 2004 widmete sich Soldini mit «Agate e la tempesta» nach «Pane e tulipani» wieder dem Komödiengenre – auch dieser Film erhielt zahlreiche Nominationen, unter anderem für acht «David di Donatello»-Awards.
2007 wurde Silvio Soldini für «Giorni e nuvole» unter anderem am Filmfest in Rom ausgezeichnet, 2010 erhielt er für «Cosa voglio di più» Auszeichnungen in Italien. Auch sein Film «Il comandante e la cicogna» (2012) wurde mit zahlreichen Nominationen bedacht, so für den italienischen Kritikerpreis und den Schweizer Filmpreis. «Emma – Il colore nascosto delle cose» (2018) erhielt Einladungen an verschiedene Filmfestivals (Venedig, São Paulo, Zürich) und war unter anderem für den Schweizer Filmpreis nominiert.
Il Giardino del Re | Pro und Kontra
Pro-Stimme von Madeleine Hirsiger
Es sind leise Töne, die im neuen Spielfilm des schweizerisch-italienischen Regisseurs Silvio Soldini angeschlagen werden. Mit gewohntem Einfühlungsvermögen versteht er es, seine Hauptfigur, die überaus erfolgreiche Wirtschaftsanwältin Camille Conti, auf einen ganz unerwarteten Lebensweg zu schicken, ausgelöst durch einen Verkehrsunfall in einer fast magisch-einsamen regnerischen Nacht. Durch den Tod des jungen Mitfahrers wird sie an ein unverarbeitetes, lang zurückliegendes Familiendrama erinnert. Für sie beginnt eine schmerzhafte, facettenreiche Reise zu sich selbst. Soldini zeichnet Camille als starke, selbstbewusste, aber auch verletzliche Frau. Er nimmt für sie Partei und lässt die Männer als schwache Nebenfiguren auftreten. Manchmal kratzt er an Klischees, fällt aber nicht auf sie herein. Und ja, oft ist es eine Gratwanderung, aber die raffinierte, dichte Inszenierung und die hervorragende Kasia Smutniak aus Polen – die alle Register der Emotionen überzeugend ziehen kann – macht den Film zu einer emotionalen und packenden Reise. Und am Ende zollt «Un Giardino del Re» ganz nebenbei noch einem arabischen Gedicht Tribut, das in der Tasche des unbekannten Toten auftaucht und ihm so rückwirkend und wundersam Seele einhaucht.
Kontra-Stimme von Geri Krebs
Silvio Soldini ist ein Regisseur, der durch ein paar Filme mit sensiblen Frauenfiguren im Zentrum Weltruhm erlangt hat. Und wenngleich er auf diesem Gebiet auch nicht gerade ein Pedro Almodóvar oder George Cukor ist: In Werken wie «Agata e la tempesta» oder in seinem Welthit «Pane e tulipani» (in beiden spielte Licia Maglietta die Hauptrolle) oder etwas später in «Cosa voglio die più» (mit Alba Rohrwacher) standen Protagonistinnen im Mittelpunkt, die in ihrem durch Wirrungen oder Schicksalsschläge geprägten Leben in jedem Moment glaubwürdig waren. Sie blieben einem für immer im Gedächtnis – und nun also Katsia Smutiak in «Il Giardino del Re». Sie übernimmt die Rolle der supertoughen Mailänder Wirtschaftsanwältin Camilla, deren Leben durch den Tod eines Migranten aus der Bahn geworfen wird. Die gebürtige Polin, die als Model begann, dann zur Schauspielerei wechselte und in den vergangenen 20 Jahren mit zahlreichen bekannten italienischen Regisseuren zusammenarbeitete, gibt sich hier reichlich Mühe, diese Geschichte mit Leben zu füllen. Muss sie doch verkörpern, wie ihre Figur hinter der kalten Fassade durch die Tragik der Ereignisse doch plötzlich ganz menschlich wird. Aber das Ganze bleibt eine Versuchsanordnung, eine Kopfgeburt, was allerdings weniger an der Protagonistin liegt, sondern vielmehr an der klischeebeladenen Art und Weise, wie Soldini die Realität der «illegalen» Mirgrant:innen zeichnet. Der Regisseur hat in der Vergangenheit auch schon ein paar Dokumentarfilme realisiert – vielleicht sollte er sich in einem nächsten Film des Themas annehmen.
Il Giardino del Re | Weitere Stimmen
«Der Film verfolgt gute Absichten, vermag durch die Unnahbarkeit einiger Themen jedoch nicht komplett zu überzeugen.» – Yannick Bracher, Outnow | «Für Smutniak ist es eine Gelegenheit, in eine intensive und grosse Rolle zu schlüpfen, der die polnische Schauspielerin Tiefe und Nuancen verleiht und die Befremdung und Ratlosigkeit verkörpert, die wir empfinden, wenn das wahre Leben die Gitterstäbe unseres goldenen Käfigs durchbricht.» – Vittoria Scarpa, Cineurope | «Ein Film, der Welten gegenüberstellt, muss es schaffen, beide Welten erfahrbar zu machen. Wahrscheinlich ist dies das Problem von «Il Giardino del Re»: Die eine Welt bleibt uns fremd. Und da lassen wir uns von der anderen, uns bekannteren, eben auch nur bedingt berühren.» – Michael Sennhauser, Sennhausers Filmblog