Der mit 3000 Franken dotierte Preis des Filmfestivals Pink Apple wird Ivan Madeo am 1. Mai 2025 im Zürcher Filmpodium übergeben. Tags darauf wird er im Rahmen des diesjährigen Fokus zum queerem Filmschaffen in der Schweiz über seine Rolle als einer der Pionieere des queeren Films unseres Landes sprechen. Das diesjährige Pink Apple Filmfestivals zeigt In Anwesenheit des Preisträgers mehrere seiner von ihm produzierten Filme. arttv.ch hat den Berner zum Interviewe getroffen
Der Golden Apple 2025 geht an Ivan Madeo
Der renommierte Schweizer Filmproduzent und Drehbuchautor steht für Kinofilme wie DER KREIS oder die Erfolgsserie DAVOS.
Kreativität und Vielseitigkeit
Der in der Filmbranche tätige Ivan Madeo, 1976 in Bern geboren, erhält am diesjährigen Pink Apple den Golden Apple Award. Der Ehrenpreis des queeren Filmfestivals zeichnet eine beispielhafte Produzentenlaufbahn aus und schliesst nahtlos an die jüngste von Erfolgen reich gekrönte Zeit der Produktionsfirma Contrast Film an (2011 gründet), hinter der Ivan Madeo, Stefan Eichenberger, Urs Frey und Anke Beining-Wellhausen stehen. Das vielfältige Portfolio der Produktionsfirma umfasst jüngst den Investigativ-Dokfilm GAME OVER über den Fall der Credit Suisse oder den Spielfilm LANDESVERRÄTER, der den diesjährigen Schweizer Filmpreis für den besten Hauptdarsteller erhielt. Zu den bedeutenden queeren Werken von Contrast Film gehören DER KREIS (2014) von Stefan Haupt über das Zürcher Schwulenpaar Röbi Rapp und Ernst Ostertag, der zweifach an der Berlinale ausgezeichnet wurde und vier Schweizer Filmpreise nebst anderen Auszeichnungen erhielt – aber auch der Kurzfilm UN MUNDO PARA RAÚL (2012) von Mauro Mueller, das Lesbendrama UND DASS MAN OHNE TÄUSCHUNG ZU LEBEN VERMAG (2023) von Katharina Lüdin sowie die beiden Dokfilme IM SCHATTEN DER TRÄUME von Martin Witz über das Musik-Duo Jary / Balz, das u.a. für den Erfolg von Zarah Leander steht, und STRAY BODIES (2024) von Elina Psykou über Body/Queer Politics in Europa. Ivan Madeo ist Mitglied der Schweizer Filmakademie, der European Film Academy sowie der Eidgenössischen Filmkommission (EFiK). Darüber hinaus ist er als Geschäftsführer von Swiss Studios tätig.
Zu seinen wichtigsten Filmen und Serien zählen unter anderem:
· Der Kreis (2014), Dokufiction
· Stürm: Bis wir tot sind oder frei (2020), Spielfilm
· Stella. Ein Leben (2023), Spielfilm
· Davos 1917 (2023), Serie
· Und dass man ohne Täuschung zu leben vermag (2023), Spielfilm
· Stray Bodies (2024), Dokumentarfilm
· Landesverräter (2024), Spielfilm
INTERVIEW | IVAN MADEO
von Doris Senn
Sie sind zurzeit auf vielen roten Teppichen zu sehen: Die Produktionen von Contrast Film feiern Erfolge im In- und Ausland – jüngst auch mit LANDESVERRÄTER an den Schweizer Filmpreisen. Wie viele Stunden hat Ihr Tag?
Es sind lange Tage, in der Tat! Und wenn ich auf die letzten Jahre zurückblicke, wurde die Arbeitslast eher mehr als weniger. Auch wenn ich ständig hoffe, dass es sich vielleicht mal einpegelt. Aber solange die Arbeit Spass macht und als Lebensplan funktioniert, führe ich die Rechnung mit den Stunden nicht so genau.
Contrast Film wurde 2009 gegründet und begann die Arbeit 2012. Was hat es mit dem Namen auf sich?
Urs Frey und ich arbeiteten damals in der Werbung, wollten aber weg von der schnelllebigen Branche und gründeten die Firma Contrast, um zum Film zu gehen, von dem wir immer geträumt hatten. Zum einen nimmt der Name «Contrast» diese Wende in unserem Leben auf – zum andern verstanden wir uns auch als «Kontrastprogramm» zum damaligen Filmschaffen in der Schweiz, nicht zuletzt mit dem Wunsch, einen «anderen» Schweizer Film zu schaffen. Der eigentliche Anfang war dann der Drehbeginn für DER KREIS.
Euer erster Langfilm und auf Anhieb ein internationaler Erfolg! Wie schwierig war es, den Film über ein Schwulenpaar und die Geschichte der Akzeptanz von Homosexualität in der Schweiz als Dokufiction zu produzieren?
Es war sehr schwierig! Und es brauchte viele Anläufe und Konzepte – bis wir fast nicht mehr an seine Realisierung glaubten. Wir versuchten es als internationale Koproduktion, aber Deutschland gab kein Geld. Wir versuchten es als reiner Spielfilm – und erhielten weder Geld vom Bundesamt für Kultur noch vom Schweizer Fernsehen. Doch das Thema lag uns am Herzen – auch wenn wir mit dem Kopf durch die Wand müssten. Inspiriert von der Miniserie DIE MANNS, ein Dokudrama, das als Ganzes den Spannungsbogen eines Spielfilms hat, kamen wir auf die Mischform für den KREIS: mit einem fiktionalen Atem, aber auch dokumentarischen Szenen. Aus der Verschränkung der beiden Ebenen entstand die Magie, die den Film auszeichnet. Tränen in Röbis Augen oder ein Blinzeln im Blick von Ernst, während sie die Spielszenen sahen, bekräftigten die Authentizität des Gezeigten. Das ging unter die Haut!
In den letzten 10 Jahren hat Contrast Film rund 20 weitere Titel zwischen kurz, lang und Serie, Dokus und Spielfilme, Arthouse und Mainstream produziert oder koproduziert. Eindrücklich auch die über 700 Festivalteilnahmen, mehr als 70 internationalen Preise sowie die Nominierungen für Oscar und Golden Globe. Was ist euer Erfolgsrezept?
[Lacht] Ich wäre froh, wir hätten eins! Doch nein: Jeder Film ist ein Prototyp. Bei jedem Werk beginnt man wieder mit einem weissen Blatt Papier – oft bloss mit einer Idee: für eine Geschichte, die Regie, die Autor:in. Darin ist Contrast Film speziell: Oft haben wir den Anriss für einen Stoff – ein Pitch Paper oder ein kleines Exposé – und suchen dann Autor:innen oder Regisseur:innen dazu. Unsere Frage ist dann: Könnte dies zu deiner Vision, zu deinem Herzensprojekt werden? Was bei so langen und intensiven Projekten wie Kinofilmen unabdingbar ist. So ist DER KREIS entstanden, aber auch STÜRM oder LANDESVERRÄTER. Uns waren die entsprechenden Stoffe wichtig. Und uns lag am Herzen, dass eine Person das entsprechende Thema ebenso wichtig finden würde und auch auf einer künstlerischen Ebene zu uns passt und ergänzt. Wir sind auf dem Weg zum fertigen Film eine Art Wächter der Ursprungsidee – und übergeben die künstlerische Umsetzung dann in die Hände einer anderen Person, die ihre eigenen Themen und Bedürfnisse darin einfliessen lässt.
Das Portfolio der von Contrast produzierten Filme ist sehr divers: Es umfasst historische Filme wie LANDESVERRÄTER, Thriller wie DER LÄUFER, aber auch Serien wie DAVOS. Contrast Film hat zwei TATORT und den Investigativ-Dokfilm GAME OVER über die Credit Suisse produziert. Ist die Vielfalt Programm? Und: Gibt es eine heimliche Vorliebe für historische Stoffe?
In den letzten Jahren gab es tatsächlich viele historische Filme. Das hatte aber firmenstrategische Gründe – etwa was das internationale Netzwerk, aber auch das Setzen einer «Flughöhe» von Contrast-Produktionen angeht. Im Moment suchen wir wieder intensiv nach zeitgenössischen Stoffen. Sehr wohl Programm für uns ist jedoch die Vielfalt unserer Filmthemen und -genres – analog zur Vielfalt der Gesellschaft, in der wir leben. Und: Es macht viel mehr Spass, Unterschiedliches zu produzieren. Wenn ich jahrelang am Kämpfen bin mit einer Monsterproduktion wie DAVOS, bin ich froh, wenn ich zwischendurch mit etwas Kleinerem ein Erfolgserlebnis einheimsen kann.
Contrast Film produziert sowohl Dok- als auch Spielfilme nebst Serien. Was sind die Unterschiede in der Produktion und was die je speziellen Herausforderungen?
Spielfilme sind teurer, die Drehbucharbeit ist komplexer, langwieriger und aufwendiger als die Entwicklung von Dokumentarfilmen. Dort ist dann wiederum der Dreh langwieriger und es kann das Leben – oder der Tod – reinspielen. So ging es uns bei CAVEMAN, einem Dokfilm über einen exzentrischen Künstler, der mitten in unserem Dreh verstarb. Die Frage war dann für uns, wie man künstlerisch verantwortungsvoll mit der Situation umgeht. Oder etwa in der Credit-Suisse-Dokumentation GAME OVER, wo wir nicht im Voraus wussten, wer was sagen würde und was die Aufnahme davon im Film – auch rechtlich – auslösen würde…
Ist «queering the script» ein Thema für euch? Ein Abbilden von Diversität im Rahmen von Filmen oder Drehbüchern, die ihr produziert?
Wir haben dafür kein Schema und glauben auch nicht an Quoten. Vielmehr richten wir uns nach der Diversität, die wir selbst repräsentieren, und der Selbstverständlichkeit, mit der wir sie leben. Beim LANDESVERRÄTER etwa gab es effektiv in der historischen Realität einen deutschen Nazi mit homosexueller Neigung, der manipulativ den etwas naiven Ernst Schrämli, der später zum Landesverräter wurde, für sich einnahm. Vielleicht im Gegensatz zu anderen Produktionsfirmen liessen wir diese Realität zu und integrierten sie ins Drehbuch. Oder beim TATORT, wo wir das Drehbuch nicht selbst entwickeln können, schlagen wir durchaus Änderungen vor, die etwa das klassische Geschlechterschema durchbrechen – Änderungen, die oft mit offenen Armen aufgenommen werden.
Wie sieht es mit queeren Inhalten aus: Hat sich die Akzeptanz so weit etabliert, dass queere Inhalte – im Kleinen oder Grossen – sich mittlerweile ebenso gut vermarkten wie Hetero-Inhalte? Oder gerät da zusammen mit der weltpolitischen Lage gerade wieder einiges in Schieflage?
In Zeiten wie diesen, wo gewisse Grossfirmen ihr Engagement gegenüber der queeren Community und Diversität herunterfahren, um weiterhin Trump-konform Geschäfte machen zu können, gibt das doch sehr zu denken. Als Kulturschaffende meine ich aber, gehört es mit zu unserer Verantwortung, die Fahne diesbezüglich hochzuhalten, damit unsere Realität als queere Menschen auch weiterhin ein Abbild findet – umso mehr, da ich als Filmschaffender die Macht habe, Bilder in die Welt hinauszuschicken.
Sie erhalten von Pink Apple, das bald sein 30-Jahr-Jubiläum feiern kann, den Golden Apple für Ihre Verdienste um das queere Filmschaffen. Wie schätzen Sie die Bedeutung queerer Filmfestivals heute ein?
Ich glaube, ihre Bedeutung hat sich über die Jahre verändert. Waren sie in den Neunziger- und Nullerjahren sicher von immenser Bedeutung, hat sich dies in den letzten zehn Jahren eher etwas abgeschwächt – nur schon weil sich der Filmmarkt total verändert hat und wir queere Geschichten, die an Selbstverständlichkeit gewonnen haben, auch an anderen Orten finden können. Aber ich kann mir – gerade angesichts der aktuellen Weltlage – auch vorstellen, dass sich das in den nächsten Jahren erneut verändern könnte und Festivals wieder vermehrt eine Bedeutung als «safe haven» für die Community erhalten.
Was sind die nächsten Projekte? Und: Gibt es ein nächstes queeres Projekt?
Im kommenden Jahr machen wir einen neuen TATORT, eine zweite Staffel von DAVOS sowie ein starkes und engagiertes Koproduktionsprojekt – KEEP HER QUIET – über die Uiguren-Gefangenenlager in China. Explizit queer wäre eine Doku-Serie, ein Herzensprojekt, von dem ich fest hoffe, dass es bald finanziert werden kann und ebenfalls zustande kommt: ein wenig verrückt, traurig und lustig-unterhaltsam zugleich. Das ist zurzeit aber alles, was ich dazu sagen darf.
Vielen Dank für dieses Gespräch!