Gemeinsam mit dem Politaktivisten Yvan Sagnet, der Jesus verkörpert, erschafft der Schweizer Regisseur Milo Rau eine zutiefst biblische Geschichte. Nach Jesus’ Vorbild kehrt Yvan als «Menschenfischer» in das grösste der Flüchtlingslager bei Matera (Italien) zurück. Unter den dort Gestrandeten findet er seine ‹Jünger› «Das Neue Evangelium» ist ein soziales Manifest für die Würde des Menschen und ein vielschichtiges Beispiel für Filmkunst.
Das Neue Evangelium
arttv Rezension
Der «Prolog» gibt entscheidende Hinweise: Der Regisseur Milo Rau verknüpft verschiedene Aspekte, Absichten und Positionen. Da ist einmal der Schauplatz, die italienische Stadt Matera, europäische Kulturhauptstadt 2019 und Drehort in Pier Paolo Pasolinis Meisterwerk «Il Vagelo secondo Matteo» (1964, dt. «Das 1. Evangelium – Matthäus»). Es soll also kein Zufall sein, dass Raus eigene Filmarbeiten an diesem Ort vorbereitet und realisiert werden. Parallel dazu agieren vor Ort ausgebeutete Migrant*innen und Fremdarbeiter*innen zusammen mit lokalen Kleinbauern, die in den Ruin getrieben wurden. Sie kämpfen für ihre Rechte und Würde. Ihre Kampagne «Rivolta della Dignità» bildet neben den Filmarbeiten einen starken Handlungsstrang.
Rau setzte die Geschichte Jesu (gemäss dem Matthäus-Evangelium) zeitgemäss um. Wir erleben, wie der schwarze Jesus (Yvan Sagnet) Jünger um sich sammelt, von Johannes dem Täufer (Enrique Irazoqui) getauft wird, wie Jesu Mutter Maria (Maia Morgenstern) um ihren Sohn bangt und weint, wie der römische Statthalter Pontius Pilatus (Marcello Fonte) ihn verurteilt und seine Hände in Unschuld wäscht. Wie Jesus schliesslich ausgepeitscht und ans Kreuz geschlagen wird. Soweit die biblische Geschichte. Wir erleben aber auch die Vorbereitung dieser Szenen, die Statements und Aktionen der Emigrant*innen, die sich gegen die reale moderne Sklaverei wehren und sich zusammen mit den Kleinbauern auflehnen. Geschickt vermischt Rau Fiction und Wirklichkeit. Nimmt seine Arbeit zum Vorwand, an die Solidarität der Ausbeuter*innen zu appellieren. Sein Evangelium ist ein soziales Manifest für die Würde des Menschen und ein vielschichtiges Beispiel für Filmkunst. Rolf Breiner, arttv.ch
Zum Film
Was würde Jesus im 21. Jahrhundert predigen? Wer wären seine Apostel? Gemeinsam mit Yvan Sagnet, einem ehemaligen Landarbeiter und Aktivisten aus Kamerun, inszeniert Milo Rau ein Passionsspiel einer ganzen Bevölkerung und entwirft ein neues Evangelium für das 21. Jahrhundert: Ein Manifest der Solidarität der Ärmsten, ein filmischer Aufstand für eine gerechtere, menschlichere Welt.
Weitere Stimmen
«Die Faszination des Films besteht in der Verknüpfung der biblischen Szenen mit den dokumentarischen des Making-of: Man sieht Rau und Sagnet … wie sie Laienschauspieler casten und mit ihnen drehen. Da bewirbt sich ein durchtrainierter Italiener um die Rolle, Jesus zu foltern. In einer Probe peitscht der Mann stellvertretend einen schwarzen Plastikstuhl aus. Mit freiem Oberkörper, das Kruzifix an der Halskette baumelnd, stösst er einen rassistischen Witz nach dem anderen aus. Es ist ein Moment unerträglicher Grausamkeit.» – Nils Erich, Die Zeit | «Kraftvoll und spannend!» – Cineuropa | «Ein politisches Passionsspiel» – Variety | «Kunst kann Denkmuster verändern – und die Realität.» – Deutschlandfunk | «Ist Milo Rau der umstrittenste Regisseur unserer Zeit?» The New York Times