Es ist der 50. Film des New Yorker Regisseurs, doch der erste ganz auf Französisch, eine Sprache, die der Altmeister selber gar nicht spricht. Doch da ist natürlich noch mehr, warum die Geschichte eines vertrauten Paares, dessen Beziehung auf eine harte Probe gestellt wird, einen Kinobesuch wert ist. Das fängt schon mit einem mitreissenden jazzigen Soundtrack an.
COUP DE CHANCE
Toxische Beziehungen in gehobener Gesellschaft und der Traum von der wahren Liebe – ein klassischer Woody Allen.
Ist das Woddy Allens letzter Film?
«Die Versuchung, dass dies mein letzter Film wird, ist da. Es ist mein 50. Film und das ist eine schöne runde Zahl. Es wäre vielleicht ein guter Zeitpunkt aufzuhören. Andererseits, wenn jemand zu mir kommt und sagt ‹Wir würden gerne deinen Film machen und finanzieren›, dann ist es sehr schwer Nein zu sagen. Also, ich weiss es nicht. Mir gefällt auch nicht, wie das Kino verschwindet. Mir gefällt die Idee nicht, fast ein Jahr an einem Film zu arbeiten und dann läuft er zwei Wochen im Kino und dann schon im Fernsehen oder auf Streaming-Plattformen.» – Woody Allen
COUP DE CHANCE | Synopsis
Fanny (Lou de Lâage) und Jean (Melvil Poupaud) haben alle Voraussetzungen für ein ideales Paar: Sie sind beruflich erfolgreich, leben in einer wunderschönen Wohnung in einem wohlhabenden Viertel von Paris und scheinen wie am ersten Tag verliebt. Doch als Fanny zufällig ihrem alten Schulkameraden Alain (Niels Schneider) begegnet, ist sie sofort hin und weg. Schon bald sehen sie sich wieder und kommen sich immer näher…
COUP DE CHANCE | Stimmen
«Ein verschmitzter Thriller.» – 20MINUTES | «Das Ganze hat durchaus seine amüsanten Momente. Auf inhaltlicher Ebene gibt es eine Variation von Motiven um Schuld, Sühne, Schicksal und Zufall, die etwa auch schon in MATCH POINT und IRRATIONAL MAN (2015) vorkamen. Es wird Leute geben, die diesen Film aus Prinzip nicht schauen werden, um Allen als möglichen Täter eines Verbrechens nicht zu unterstützen. Andere werden das Werk vermutlich ebenfalls aus Prinzip feiern, da sie Allen als Opfer der sogenannten Cancel Culture betrachten. Und jene, die COUP DE CHANCE sehen werden, ohne ihn allein aus Trotz gut zu finden, werden passable Unterhaltung serviert bekommen.» - Andreas Köhnemann, Kino-Zeit | «Der beste Film von Woody Allen seit einem Jahrzehnt.» – ROLLING STONE
Rezension
Von Rolf Breiner
Herbst in Paris. Eine gediegene, noble Wohnung in bestem Quartier. Hier haben sich der smarte Geschäftsmann Jean (Melvil Poupaud) und die blindlings verliebte Fanny (Lou de Lâage) eingenistet und ihr ideales Refugium eingerichtet. Alles wunderbar? Nicht bei Woody Allen! Denn der schöne Schein kann trügen. Über dem glamourösen Liebespaar ziehen Wolken auf. Jean ist ein Kontrollfreak, diesen (überspielten) Charakterzug sehen wir freilich eher als seine Ehefrau Fanny, die ihm blind vertraut, sich geborgen fühlt. Als sie zufällig (!) ihrer Jugendliebe Alain (Niels Schneider), einem Schriftsteller, über den Weg läuft, wird ihr allmählich klar, dass ihr der goldene Käfig zwar eine gewisse Sicherheit bietet, aber ihr Leben auch einschränkt. Es kommt, wie es kommen muss: Sie verliebt sich.
Alain verschwindet
Jean wittert, dass seine Fanny «flügge» wird und lässt sie beschatten. Dann verschwindet Alain spurlos. Hat Jean dabei seine Finger im Spiel? Man verdächtigte ihn bereits früher in Bekanntenkreisen: Er kennt keine Skrupel und räumt Hindernisse aus dem Weg. Jennys Mutter Camille (Valérie Lemercier), die eigentlich grosse Stücke auf ihren Schwiegersohn hält, ist misstrauisch geworden (Mutterinstinkt!) und schnüffelt selber zum Wohl ihrer Tochter …
Glück im Leben
Dass sich die geschönte bürgerliche Romanze zum Thriller entwickelt, ist natürlich Autor Woody Allen zuzuschreiben. Typisch ist auch, dass sein Film verschiedene Welten und damit auch Männertypen aufeinanderprallen lässt: den gerissenen, wohl auch amoralischen Geschäftsmann, der alles unter Kontrolle haben will und seine Frau wie eine Trophäe betrachtet; und den Künstler, der an Zufall und Glück glaubt. Wie Allen die Verwicklungen auflöst, ist überraschend (und wird nicht verraten). Gib dem Glück eine Chance und überlass nichts dem Zufall. Oder wie Woody Allen bemerkt: «Ich persönlich bin davon überzeugt, dass Glück eine viel grössere Rolle spielt, als die meisten Menschen denken: Sie glauben, dass sie mit Disziplin, Arbeit und Konzentration den Lauf ihres Lebens kontrollieren können. Aber das stimmt nur zum Teil.»
Fazit: Nach «Midnight in Paris» (2010) hat sich Woody Allen ganz der Metropole an der Seine hingegeben – von Schauplätzen wie Jardin du Luxembourg, Montmartre, Champs-Elysée bis zu den Darstellenden und der Sprache (er hat auf Französisch gedreht). Das hat dem Film gutgetan und macht ihn zu Allens bestem europäischen Werk. Das Beziehungsdrama fällt insgesamt ein bisschen zahm aus und ist weniger bissig als frühere Allen-Filme. COUP DE CHANCE hält den Spannungsbogen, auch wenn die Auflösung am Ende eher künstlich und schräg wirkt. Ein Glücksfall ist diese charmante Beziehungskiste mit kriminellem Touch alleweil.