Einen Mord begehen und dann? Täuschung, Verstellung und Flucht vor der eigenen Wirklichkeit. Die Inszenierung der Gruppe Statt–Theater zeigt einen von Zerrissenheit geplagten Menschen.
Statt-Theater | Verbrechen und Strafe
Das Hadern mit sich selbst
Mit «Verbrechen und Strafe» nach dem Roman von Fjodor Dostojewskij startet die Gruppe Statt-Theater eine szenische Recherche ins Innere eines von Zerrissenheit und Widersprüchlichkeit geplagten Menschen. Die Inszenierung gewährt Einblick in die seelischen Abgründe des Protagonisten Raskolnikow, der sich aufgrund eines Verbrechens, das er so nie begehen wollte, in vollständige Isolation manövriert. Die Kluft zwischen seinem verschlossenem Innenleben und seinem versierten Auftreten nach aussen zwingt ihn zur permanenten Selbstentstellung. Im Zusammentreffen mit anderen Figuren übt er sich im Ausgestalten unterschiedlicher Rollenentwürfe. So entstehen zwischen Sensibilität und Fremdheit schwankende Neuentwürfe des Selbst, die stets auch quälen. Der theatralen Umsetzung des Klassikers gelingt die Annäherung an den Kern der Erzählung und die Spiegelung einer menschlichen Erfahrung, die uns mit ihrer Eindringlichkeit gewaltsam überrollt.
Im freien Fall
Wie kann ein Mensch sich derart raffiniert und arrogant über andere Menschen erheben und gleichzeitig, immer unter optimaler Wahrung der eigenen Fassade, helfend auf andere Menschen zugehen? Wie ist es möglich, dass ein Mensch höchste Ansprüche an Wahrhaftigkeit und Echtheit fordert und selber einzulösen im Stande ist und gleichzeitig nichts anderes im Sinn hat als Täuschung, Verstellung, Flucht vor der eigenen Wirklichkeit? Eine Figur befindet sich im freien Fall und schaut sich selber fasziniert zu, wie sie sich auflöst und verliert, immer wieder kurz davor sich ganz auszulöschen. Und dann hält sie doch fest am Leben, sucht nach einem Ausweg aus ihrer Aussichtslosigkeit, nach innerem Halt, nach Verbindung, nach dem Boden unter den Füssen, den sie sich selber wegzieht. Ein zappelnder, strampelnder Mensch, der seine Instrumente zur Selbstwahrnehmung und Selbstvermeidung brillant einzusetzen weiss, und der in dieser paradoxen Selbstbezogenheit alles aufs Spiel setzt, was ihm als Teil einer Gemeinschaft Halt geben könnte.