Das Aargauer Kollektiv InQdrt geht im Tessin die Wände hoch
Die Tanz/Parkourgruppe InQdrt verbringt dank Ticino is Burning im Rahmen der «Festa Danzante» 2023 eine Woche Recherche-Residenz in Lugano.
In Lugano wie auch im Aarau bemühen sich junge unabhängige Kulturschaffende der freien Tanzszene um neue Räume für ihre Kunstform. Sie haben es sich zum Ziel gemacht, ihre Szene zu beleben und ihr so mehr Sichtbarkeit zu geben. In diesem gemeinsamen Streben gründet sich die Zusammenarbeit zwischen InQdrt und Ticino is Burning. arttv hat die Kreativen bei ihrer Recherche-Residenz im Tessin besucht.
Not macht erfinderisch
InQdrt verbindet zeitgenössischen Tanz und die sportliche Disziplin Parkour zu einer dynamischen wie auch sensiblen neuartigen Tanzsprache. Die innovative Mischung aus den Disziplinen Tanz und Parkour ist das kreative Resultat einer Notsituation: Aargauer Tanzschaffende wandern meistens in die Grossstädte ab, wo es mehr Angebote für sie gibt. Der Tänzerin und Dramaturgin Isabelle Spescha fehlten in der Region Tänzer:innen für gemeinsame Projekte. Die lokale Parkourszene wiederum ist in Aarau sehr aktiv. Ihr Verein Nurf leitet Trainings, organisiert Wettkämpfe, führt eine eigene Bar, das «Näscht», und veranstaltet auf der zwischengenutzen Brache «Torfeld Süd» kulturelle Events. Spescha hatte bereits Bewegunsworkshops für Nurf durchgeführt und schlug daraufhin den Traceuren vor, für das Tanzfest 2019 ein gemeinsames Stück zu kreieren. Diese Kollaboration hat zur Gründung des Kollektivs InQdrt geführt, das seither zur Belebung der Aarauer Tanzszene beiträgt. InQdrt erschloss in Aarau die leerstehende Industriehalle der Eniwa auf der Kraftwerkinsel als Probeort. Diese wird nun auch vom Jugendclub der Bühne Aarau, dem Jugendtheaterfestival fanfaluca und anderen kulturellen Akteur:innen rege für Aufführungen und Vernissagen genutzt. Im Jahr 2020 nahm die Bühne Aarau das Kollektiv ins Nachwuchsprogramm First Steps auf. Daraus entstand 2022 das erste abendfüllende Tanzstück «Wannanders» als Koproduktion mit Bühne Aarau. Im selben Jahr erhielt InQdrt im Rahmen der Schweizer Preise Darstellende Künste vom
Bundesamt für Kultur den June Johnson Newcomer Prize.
Vom Ferien- zum Kunstkanton
Ticino is Burning (TIB) ist eine Gruppe von Tessiner Künstler:innen, zusammengesetzt aus Camilla Parini, Simon Waldvogel, Francesca Sproccati, Elena Boillat und Alan Alpenfelt. Sie haben sich zu einer kulturpolitischen und aktivistischen Bewegung zusammengeschlossen. Gemeinsam vernetzen sie sich mit Kulturschaffenden und Institutionen im Tessin und in anderen Sprachregionen. Sie thematisieren unter anderem Mehrsprachigkeit, Raummangel, die Rolle und das Funktionieren der kantonalen Kulturpolitik, die Beziehung zu den Institutionen als lokale Künstler:innen, Isolation und geografische Schwierigkeiten. Sie kämpfen gegen das Image des Tessins als reiner Ferienkanton, hinterfragen Klischees, schlagen Brücken über die Sprachgrenzen und suchen nach neuen Modellen der Zusammenarbeit. TIB arbeitet mit aller Kraft daran, Räume und Orte für die alternative Kulturszene in Lugano zu erschliessen, denn für viele lokale Künstler:innen ist es schwierig, Koproduktionen mit den etablierten Theatern zu bekommen. Seit der Gründung der Gruppe im 2020 waren die Mitglieder zuerst viel in der Deutschschweiz und Romandie unterwegs, um sich von den freien Szenen anderenorts inspirieren zu lassen, Kollaborationsmodelle, Veranstaltungsformate und Akteur:innen kennenzulernen und sich zu vernetzen. Jetzt hat TIB angefangen, Künstler:innen und Projekte ins Tessin einzuladen, unter ihnen das Aargauer Kollektiv InQdrt.