Mit dem neuen Kulturhaus «Kosmos» gibt es in Zürich ab September einen Brennpunkt für Kontemplation, Diskurs und Unterhaltung. Was es damit auf sich hat und weshalb er nach wie vor ans Buch glaubt, verrät Bruno Deckert im arttv Interview.
«Kosmos» Zürich | Interview mit Bruno Deckert
- Publiziert am 29. Mai 2017
Die meisten Buchhandlungen kämpfen ums Überleben, Sie aber eröffnen demnächst Ihre zweite Buchhandlung im Kosmos. Warum glauben Sie an das Buch?
Wer, wenn nicht wir, soll an das Buch glauben? (lacht). Nein, ganz im Ernst. Der Buchhandel befindet sich bekanntlich seit längerem in schwierigen Zeiten. Dennoch haben wir im «sphères» die Erfahrung gemacht, dass es ein Publikum für das gute Buch gibt.
Wie lautet Ihr Erfolgsrezept?
Meine Frau Monika Michel und ich haben uns mit der Eröffnung des «sphères» vor 17 Jahren einen kleinen Traum verwirklicht. Immer schon wollten wir einen öffentlichen Ort kreieren, an dem wir uns selber gerne aufhalten würden. Wenn wir andere Städte besuchen, halten wir immer Ausschau nach Orten, die ein Mix sind von verschiedenen kulturellen Angeboten und nach Lokalen, die sich auszeichnen durch eigene Gedanken, Ideen oder eine bestimmte Atmosphäre. Da wir beide Büchermenschen aus Passion sind, lag es auf der Hand, unser eigenes Café mit einem Bücherladen zu kombinieren.
Wie wichtig ist das Buch im «sphères» wirtschaftlich gesehen ? Welcher Prozentsatz des Umsatzes stammt effektiv aus dem Verkauf von Büchern?
Unser Hauptumsatz stammt natürlich aus der Gastronomie. Dennoch wäre es zu kurz gerechnet, wenn man nun sagen würde, Bücher spielten bei dieser Zahl keine Rolle. Wenn man die Bücher entfernen und stattdessen mehr Stühle und Tische reinstellen würde, dann wäre es ein gewöhnliches Café. Die Menschen kommen ja aber wegen der Atmosphäre zu uns und auch wenn sie kein Buch kaufen, so schauen sie doch vielleicht in eines rein. Auch haben die Bücher rein durch ihre physische Präsenz eine Ausstrahlung.
Kann man sagen, dass dadurch so etwas wie eine Selektion der Gäste stattfindet?
Es ist in der Tat das, was uns von Anfang an so gefreut hat: dass sich unsere Fantasie in Bezug auf die Gäste ziemlich genau erfüllte. Wir stellten uns immer vor, dass es ein Ort ist für Menschen, die uns irgendwie ähnlich sind. Menschen, die mit ihrem Laptop hierher kommen, um zu arbeiten oder um zu lernen, vielleicht auch, um hier ihre Sitzungen abzuhalten. Ein urbanes Publikum, das diesen Ort aufsucht, weil es sich hier wohl fühlt. Wir haben Gäste, die oft stundenlang bleiben. Ich weiss, dass im «sphères» schon ganze Bücher geschrieben worden sind.
Und aufgrund dieses Erfolges wollen Sie nun eine Dépendance im Kosmos gründen?
Die Idee des Kosmos ist zwar aus dem «sphères» heraus entstanden, weil ich realisierte, dass wir dort eine bestimmte Nachfrage erzeugten: Immer wieder sind Gäste zu uns gekommen, die bei uns bestimmte kulturelle Aktivitäten durchführen wollten, weil ihnen die Atmosphäre gefiel. Aus Platzgründen war das dann leider oft nicht möglich. Ich dachte deshalb seit Längerem, dass es mich reizen würde, die positiven Erfahrungen, die ich im «sphères» gemacht habe, in ein neues Projekt einfliessen zu lassen. Dennoch ist das Kosmos nicht einfach eine Kopie von «sphères», sondern vielmehr eine Weiterentwicklung – oder aber eine Neu-Interpretation.
Was wird anders sein?
Zum einen die schiere Grösse: Kosmos wird rund 10 mal grösser sein als das «sphères». Und hier ist insbesondere wichtig zu betonen, dass ich beim Kosmos ja auch nicht alleine bin: Kosmos ist ein Projekt, welches ich zusammen mit dem Filmemacher und Filmproduzenten Samir sowie mit diversen anderen Aktionären realisiere. Auch ist es im Unterschied zum «sphères» nicht einfach ein Café kombiniert mit Buchhandlung, sondern ebenso mit mehreren Kinosälen. Wir können dadurch vollkommen neue Veranstaltungsideen entwickeln und bereichsübergreifende Themen präsentieren.
Ungewohnt sicherlich, dass Ihr Projekt nicht bloss auf einer cleveren Geschäftsidee, sondern zugleich auf einer umfangreichen Dissertation basiert…
Ich habe tatsächlich an der Universität St. Gallen eine Dissertation über dieses Projekt geschrieben. Das hängt wohl damit zusammen, dass ich zwei sehr unterschiedliche Seelen in mir spüre: Ich bin zum einen der Unternehmer, zum andern aber doch sehr stark auch der Akademiker. Ursprünglich studierte ich Architektur und anschliessend noch Philosophie. In meiner Dissertation habe ich nun versucht, diese beiden unterschiedlichen Seelen einzubringen, indem ich einerseits der Unternehmer bin, der die Kosmos-Idee verwirklicht, andererseits aber auch der Forscher, der sich selber permanent hinterfragt: Was ist der Kern des Projektes? Warum glaube ich, dass daraus etwas Gutes entstehen kann? Und was hat das Projekt mit dieser Stadt zu tun? Aus all dem ist schlussendlich eine 350-seitige Dissertation entstanden.
Und wie lautet die Quintessenz dieser 350 Seiten?
Spannende Projekte entstehen heute eigentlich immer an den Schnittstellen. An Orten, die durchlässig sind – ich spreche von Membranen – also nicht an Orten, wo man sich abkapselt und unter sich bleiben will, sondern dort, wo man ein Stück weit auch Grenzen überschreitet. Wir bezeichnen Kosmos deshalb auch als ein Projekt der dritten Art: Wir sind nicht ein Ort, der rein ideell oder sozial ausgerichtet ist und wo man partout kein Geld verdienen will, aber wir sind auch nicht ein rein kommerzielles Projekt. Wir müssen hier zwar Geld verdienen, um die Miete zu bezahlen und unsere rund 100 Mitarbeitenden zu entlöhnen, gleichzeitig aber sind wir eigentlich Idealisten, die ihre Vorstellungen und Ideen realisieren möchten.
Warum haben Sie sich für diesen Standort entschieden?
Unsere Idee ist ja, inhaltlich verschiedene Welten zu verbinden. Spannend an diesem Ort ist, dass sich diese inhaltliche Idee hier zugleich geografisch manifestiert: Da ist auf der einen Seite die Langstrasse, also das traditionelle Rotlicht-, Ausländer- und Künstlermilieu (das sich mittlerweile natürlich stark verändert), und auf der anderen Seite das Businessviertel der Bahnhofstrasse. Kosmos steht exakt an dem Punkt, wo diese beiden Welten aufeinander treffen.
Was ist das besondere an der Auswahl der Bücher, die ihr dort haben werdet?
Sowohl in den Büchern als auch in den spartenübergreifenden Kulturveranstaltungen, die wir im Kosmos planen, wird es immer darum gehen, unsere Zeit aus verschiedenen Blickwinkeln zu reflektieren. Das ist die Idee, die Samir und ich verfolgen. Und jetzt geht es darum, sicherzustellen, dass das Kosmos nicht einfach eine Addition von Café und Buch und Kino ist, sondern eben etwas Neues: ein Erlebnis der dritten Art.