Mit «knife does not cut fire» präsentiert Rivane Neuenschwander (*1967 in Belo Horizonte) ihr vielgestaltiges Oeuvre anhand von rund 50 Arbeiten, wobei der Schwerpunkt auf ihren jüngsten Werken liegt. Gezeigt werden Gemälde, Objekte, Filme, Textilarbeiten sowie raumgreifende Installationen, an denen sich die Besucher*innen beteiligen können. Eigens für das Kunstmuseum Liechtenstein hat die Künstlerin neue Arbeiten geschaffen, die bestehende Werkserien weiterführen.
Kunstmuseum Liechtenstein | Rivane Neuenschwander
Erste Einzelausstellung der international renommierten brasilianischen Künstlerin im deutschsprachigen Raum.
Transformationsprozesse des Lebens
Rivane Neuenschwander interessiert sich für gesellschaftliche Fragen unserer Zeit, die sie immer wieder mit Traditionen der brasilianischen Kultur verknüpft. Ängste und Hoffnungen sind dabei wiederkehrende Themen in ihrem Werk. Sie experimentiert auf poetisch-sinnliche Weise mit Sprache, Zeit oder dem Eingriff in Transformationsprozesse des Lebens und lässt die Betrachter*innen das Wechselspiel ihrer Arbeiten zwischen ästhetischer Leichtigkeit und bedrohlicher Ernsthaftigkeit spüren. Der Ausstellungstitel ist einem Gedicht des bekannten portugiesischen Lyrikers Herberto Helder (1930–2015) entnommen und zeugt von Neuenschwanders Vertrauen in die Kraft der Poesie. Zugleich birgt diese Zeile eine hohe gesellschaftliche Relevanz: Kein Messer vermag die Herzen der Menschen zu öffnen oder gar Krisenherde zu löschen. Vielmehr ist es ein Werkzeug, das gegen Menschen gerichtet, Angst hervorruft.
Schutzumhänge gegen Ängste
2015 begann die Künstlerin mit Kindern Schutzumhänge gegen deren Ängste zu entwerfen. Die kollaborative Arbeit The Name of Fear setzt einen wichtigen Akzent in der Ausstellung und wurde eigens für das Kunstmuseum Liechtenstein mit Schulklassen aus Liechtenstein und der Schweiz fortgeführt. In Workshops benannten die Kinder ihre Ängste – darunter Angst vor engen Räumen, Dunkelheit oder Schlangen – und kreierten anhand von Zeichnungen Umhänge zum Schutz dagegen. Auf Basis dieser – teilweise an Karnevals-, Tier- oder Superheldenkostüme erinnernden – Kleidungsstücke entwarf die Künstlerin mit dem brasilianischen Designer Guto Carvalhoneto Schutzumhänge, die in der aktuellen Ausstellung zu sehen sind und von den Kindern anprobiert werden können. Ein achteckiges Podest vor einer Spiegelwand lädt ein, mit den Umhängen zu performen.
Wünschen, Spielen und Experimentieren
Darüber hinaus finden sich Werke in der Ausstellung, die das Wünschen, die Freiheit, das Experimentieren und Spielen zum Ausdruck bringen. I Wish Your Wish (2003) beispielsweise greift ein Brauchtum der brasilianischen Kirche Nosso Senhor do Bonfim in Salvador auf. An den Ausstellungswänden hängen tausende bunte Bändchen, auf die Wünsche gedruckt sind. Besucher*innen sind eingeladen, sich ein Wunschband auszusuchen und umzubinden. Umgekehrt können auch sie Wünsche («I Wish») für andere («Your Wish») hinterlassen. Der Überlieferung zufolge gehen die Wünsche in Erfüllung, wenn das Band von alleine abfällt. So bunt und spielerisch I Wish Your Wish auf den ersten Blick erscheint, stehen hinter den kleingedruckten Wünschen doch oft existenzielle Sorgen oder Ängste.
Prozesse der Natur und globale Wirkungen
Neuenschwander spürt in ihrem Werk Ängsten und Hoffnungen nach und lässt anschaulich werden, wie sie Menschen und Gesellschaften prägen. Ihre Arbeiten zeugen von einem grossen Interesse an kulturellen, psychologischen und soziologischen Fragestellungen, aber auch an Prozessen der Natur und deren globalen Wirkungen. So ist ihren Werken eine zutiefst philosophische Betrachtungsweise eigen, in der der menschliche Blick relativiert wird – beispielsweise gegenüber dem Verlauf der Zeit, der Kraft des Windes oder etwa der Tätigkeit von Tieren, welche die Künstlerin als gestaltende Protagonisten in Erscheinung treten lässt. Im Film «Quarta-feira de Cinzas/Epilogue» (Aschermittwoch/Epilog) von 2006 tragen Ameisen bunte Konfetti, wie sie während des Karnevals in Brasilien verstreut werden, weg. Dazu erklingen leise Sambarhythmen im Soundtrack des brasilianischen Duo O Grivo. Co-Autor dieser Arbeit ist der brasilianische Filmemacher Cao Guimarães. Die Installation «Chove Chuve» (Regen Regnet) aus dem Jahr 2002 wurde für die Präsentation im Kunstmuseum Liechtenstein neu produziert. Wasser tropft aus hängenden Eimern und sammelt sich in Eimern, die auf dem Boden stehen. Die fallenden Tropfen wecken Erinnerungen an Regenfälle wie beispielsweise im tropischen Klima Brasiliens.
Papagei mit kubanischer Zigarre
Im Foyer sind die Besucher*innen eingeladen, leere Seiten und Sprechblasen eines Comics zu füllen und Geschichten neu zu schreiben. Rivane Neuenschwanders Arbeit «Joe Carioca and Friends (The Abduction of the Maiden)» (2004–2021) basiert auf einem Comic um die Figur José Carioca – einem Papagei mit kubanischer Zigarre und Regenschirm, den Walt Disney 1942 als brasilianischen Freund Donald Ducks zur Stärkung der panamerikanischen Allianzen erfand.