Johannes Diem wäre im Dezember 2024, Anton Bernhardsgrütter im April 2025 100 Jahre alt geworden. Die Biografien der beiden Künstler weisen erstaunliche Parallelen auf: Schicksalsschläge und der radikale Entschluss, für die Kunst aus einer gesicherten bürgerlichen Existenz auszubrechen. Obgleich sie nicht weit entfernt voneinander gelebt haben, ist kein Austausch entstanden. Nun treffen sie in der Ausstellung im Museum Rosenegg doch noch aufeinander.
Eine posthume Begegnung zweier Einzelgänger
Das Museum Rosenegg befindet sich in einem 1785 errichteten klassizistischen Palais mit einem südlich angefügten Mittelbau aus dem Jahr 1750 und einem vermutlich im 17. Jahrhundert entstandenen Hinterhaus. Zusammen mit dem langgestreckten sogenannten Torggel (Schulgemeinde) und einem stattlichen Riegelbau (Primarschule) umschliessen die Gebäude einen Innenhof mit einer gewaltigen Flatterulme aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Name «Rosenegg» wurde während einer Renovierung um 1900 an der Hauptfassade zur Bärenstrasse entdeckt und dürfte auf die Entstehungszeit zurückgehen. Bauherr war Johann Jakob Bächler (1752‒1802), ein erfolgreicher Exporteur von Wein und Sanitätsmaterial. 1895 erwarb die Schulgemeinde Egelshofen das Ensemble und richtete im Palais Klassenzimmer ein. Bei einer im Frühjahr 1937 in Kreuzlingen durchgeführten Estrich-Entrümpelungsaktion gelangten heimatkundlich wertvolle Gegenstände in den Dachstock. Seit 1938 präsentierte die «Vereinigung Heimatmuseum Kreuzlingen» zahlreiche Objekte im Hinterhaus und erweiterte die Sammlung. 1998 übernahm die Stadt Kreuzlingen den gesamten vorderen Teil der Liegenschaft. Die Stiftung Rosenegg wurde am 1. Januar 1998 gegründet mit dem Zweck der Übernahme und Erneuerung des vormaligen Heimatmuseums sowie der Erhaltung und Nutzung der Gebäude.
Fürchterlich schöne Welt: Zwei Thurgauer Künstler
Die Ausstellung «Fürchterlich schöne Welt – Zwei 100-Jährige aus dem Thurgau» im Museum Rosenegg in Kreuzlingen zeigt eine Auswahl von Werken aus öffentlichen Sammlungen und Privatbesitz der Künstlerpersönlichkeiten Johannes Diem und Anton Bernhardsgrütter. In Kooperation mit der Kunstkommission Kreuzlingen ermöglicht die Schau eine posthume Begegnung der zwei eigenständigen Charaktere anlässlich ihrer runden Geburtstage. Trotz ihrer unterschiedlichen Lebenswege offenbart die Ausstellung überraschende künstlerische Bezüge in der gemeinsamen Auseinandersetzung mit einer «fürchterlich schönen Welt». Das Museum hatte beiden Künstlern bereits in der Vergangenheit Einzelausstellungen gewidmet.
Johannes Diem (1920–2008)
Nach schwieriger Kindheit wurde Diem in den 1960er-Jahren erfolgreicher Coiffeur in Zürich. Er gab sein Geschäft auf, um sich der Kunst zu widmen, und zog nach Ermatingen. Am Bodensee entwickelte er einen eigenen, Adolf Dietrich ähnelnden Stil. Im Mittelpunkt seiner akribischen Darstellungen steht die menschenleere Natur – Wälder, Wiesen, Seen –, belebt nur durch Tiere. Deren Abwesenheit macht die Gefährdung der Natur augenfällig.
Anton Bernhardsgrütter (1921–2010)
Als beliebter Lehrer verschwand Bernhardsgrütter eines Tages spurlos und begann mit 48 Jahren ein neues Leben als freischaffender Künstler. Er blieb ein Einzelgänger und entwickelte seinen Stil stetig weiter. Seine Motive waren oft autobiografisch geprägt: Bauernhof, Frömmigkeit, Mutter, Geliebte. Die Natur diente als Kulisse einer nur scheinbar heilen Welt. Neben Malerei und Grafik schuf er Tagebücher, in denen er Kunst, Literatur und Zeitgeschehen verschränkte.