Das in beeindruckenden Bildern eingefangene Drama unter der Regie von Maura Delpero erzählt von den komplexen Familiendynamiken in einem norditalienischen Dorf gegen Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Erzählung basiert auf der Familiengeschichte der Regisseurin, die an diese konfliktreiche Zeit erinnern will. VERMIGLIO feierte seine Weltpremiere im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig und wurde mit dem Grossen Preis der Jury, dem Silbernen Löwen ausgezeichnet.
VERMIGLIO
VERMIGLIO | SYNOPSIS
Lucia, Ada und Flavia sind die drei Töchter der Familie Graziadei. Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs leben die Graziadei in dem Trentiner Dörfchen Vermiglio, in einem kleinen Haus umgeben von den Feldern und dem Schnee der langen Gebirgswinter. Ihr Vater ist Grundschullehrer der Gemeinde, der seinen Schüler:innen beibringen möchte, sich nicht nur in korrektem Italienisch auszudrücken, sondern neben der tägliche Arbeit auch nach etwas Höherem zu streben. Als die Graziadei einen sizilianischen Soldaten aufnehmen, der aus der Armee desertiert ist, löst dies eine Kettenreaktion aus, mit der die Familie umgehen muss. Die Geschichte entwickelt sich über die vier Jahreszeiten des letzten Kriegsjahres.
Rezension
Von Madeleine Hirsiger
Winter 1944. Wir befinden uns im abgelegenen Bergdorf Vermiglio im tief verschneiten italienischen Trentino. Die Dorfgemeinschaft ist klein. Alle haben ein sehr bescheidenes und hartes Leben, müssen schauen, wie sie durch den kalten Winter kommen. Im Mittelpunkt steht die Familie G mit einer Kinderschar, die immer grösser wird. Der Vater ist Dorflehrer und somit eine geachtete Persönlichkeit. Er versucht den Kindern – und Erwachsenen – nicht nur das Lesen und Schreiben beizubringen, sondern in ihnen auch die bildliche Vorstellungskraft zu wecken, wenn er ihnen auf seinem Plattenspieler die «Vier Jahreszeiten» von Antonio Vivaldi vorspielt und dazu Erklärungen liefert.
Ein Deserteur bringt Unruhe
Lucia, die älteste der Lehrertöchter, verliebt sich in Pietro, einen Deserteur aus Sizilien, der sich mit einem Freund in einer Berghütte versteckt. Die Dorfbewohner lassen die Flüchtigen in Ruhe, man stört sich nicht an der Tatsache, dass die jungen Männer aus der Armee desertiert sind. Über allem steht die Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende. Der Dorfbevölkerung bleibt auch nicht verborgen, dass sich Pietro und Lucia näherkommen und bald ein Kind erwarten. Es wird geheiratet, ein fröhliches Fest soll das Glück besiegeln. Doch dann kommt Spannung in die Geschichte: Pietro geht nach Sizilien zurück, verspricht bald wiederzukommen. Es dauert und dauert. Lucias Niederkunft nähert sich bedrohlich. Zuerst tröstet man sich, die Insel sei ja schliesslich weit und die Post in dieser kriegerischen Zeit vielleicht auch nicht auf Vordermann …
Ja, und jetzt soll man den Film weitererzählen und der fesselnde Verlauf der Liebesgeschichte verraten? Ich bin der Meinung, ich halte da inne mit der wärmsten Empfehlung, die Geschichte, die sich mehr oder weniger so in der Familie der italienischen Regisseurin Maura Delpero abgespielt hat, im Kino zu verfolgen. Sie wollte, dass diese Ereignisse nicht in Vergessenheit geraten.
Fazit: Vermiglio ist in seiner Bescheidenheit ein wuchtiger Film, weil er diese emotionale und familiäre Sprengkraft völlig unaufgeregt darstellt. Der Regisseurin Maura Delpero gelingt es meisterlich, dieses Liebesdrama völlig unsentimental und zurückhaltend zu inszenieren, in schlichten, aber sehr bestimmten, stimmigen Bilden, gedreht vom Kameramann Michail Kritschmans. Und die Montage lässt einem immer genügend Luft zum Durchatmen. Nicht umsonst hat der Film am Internationalen Filmfestival in Venedig 2024 den Silbernen Löwen gewonnen und bei der internationalen Presse viel Lob erfahren.