arttv Filmjournalist Geri Krebs hat sich mit dem künstlerischen Leiter des «Festival International de Films de Fribourg» (FIFF) unterhalten. Es ist Jobins 10. Ausgabe. Keiner in der Schweiz ist somit länger im Amt als er. Wie fühlt man sich als Doyen unter den Schweizer Festivalleitern und wie definiert er das viertälteste Filmfestival der Schweiz, das als «Dritte-Welt-Filmfestiva» 1980 gegründet wurde, heute ?
Thierry Jobin | Interview
- Publiziert am 27. Juni 2021
«Fribourg ist ein Ort, an dem sich Cineasten in ungezwungener Atmosphäre treffen können», sagt Festivalleiter Thierry Jobin im Interview.
Sie sind nun bereits für die zehnte Ausgabe des FIFF künstlerischer Leiter – ein Rekord. Wie fühlt man sich als Doyen unter den Schweizer Festivalleitern?
Thierry Jobin: Ich glaube, ich bin gar nicht am längsten, der Leiter der Kurzfilmtage Winterthur, John Canciani, ist gleich lang in seiner Funktion wie ich.
Nein, Sie sind einige Monate länger Festivalleiter als er, ich habe das nachgeschaut.
T.J.: (lacht) O.k. dann muss ich das so akzeptieren. Aber Sie haben mit Ihrer Frage schon Recht, es ist heutzutage eher ungewöhnlich, während so vieler Jahre ein Festival zu leiten.
Keine Ermüdungserscheinungen, keine Lust auf etwas Neues?
So direkt hat mich das noch niemand gefragt – nein, ich bin rundum glücklich in Fribourg, mit dem Festival, mit dieser tollen Stadt, mit meiner wunderbaren Equipe. Ich habe mir hier ein Leben aufgebaut, das ich nicht mehr missen möchte.
Das klingt jetzt etwas gar euphorisch. War das schon immer so?
Nein, denn als ich 2011 die Festivalleitung übernehmen durfte, war ich von ganz anderen Leuten umgeben als heute – und es gab in der Zwischenzeit zahlreiche Änderungen in meinem persönlichen Leben. Erst in den letzten drei Jahren hat das Festival seine ideale Form gefunden. Das FIFF brauchte eine neue Struktur, weil es in den letzten zehn Jahren so stark gewachsen ist, und mit einem gestärkten Komitee konnten wir ein Team aufbauen, das in der Lage war, diese entscheidende Zeit zu überstehen. Die Einnahmen haben sich seither verdoppelt, die Zuschauerzahlen stiegen um 50 % und die Sponsoren haben sich von einem auf mehrere Dutzend erhöht. Dank des neuen Teams kann ich mich jetzt ganz auf die künstlerische Leitung konzentrieren. Davor gab es wiederholt Unstimmigkeiten und ich hatte auch Lust auf Veränderung, so bewarb ich mich 2018 um den Posten des künstlerischen Leiters beim Filmfestival Locarno. Das klappte dann schlussendlich nicht, man hat sich für eine bessere Kandidatin entschieden.
Hatten Sie letzten Herbst, als Locarno erneut einen künstlerischen Leiter suchte, nicht Lust, es noch einmal zu versuchen?
Nein, das war keine Option mehr. Denn, wie gesagt, ich bin glücklich in Fribourg. Dieses Festival ermöglicht mir eine Freiheit bei der Programmierung wie es sie sonst wohl nirgends gibt, zudem ist die Zusammenarbeit mit anderen kulturellen Akteuren hervorragend. Ich kann ohne Übertreibung sagen, dass nun, vom kommenden 16. Juli an, meine dritte Festivalausgabe über die Bühne geht, mit der ich hundertprozentig zufrieden bin.
Das FIFF 2020 war das erste grosse Filmfestival in der Schweiz, das von der Pandemie betroffen wurde. Wie erlebten Sie das?
Anfang März, knapp drei Wochen vor dem geplanten Festivalbeginn, mussten wir die Absage bekanntgeben. Wir nannten dann das, was wir veranstalteten, «Ausgabe 34 ½». Dabei war rasch klar, dass wir nur wenig ins Netz ausweichen wollten. Vielmehr konzentrierten wir uns darauf, Teile unseres Programms dann im Lauf des Sommers und des Herbsts an anderen Veranstaltungen zu präsentieren. Was wir dabei erlebten, war überwältigend: Wir waren als FIFF in der zweiten Hälfte 2020 an fast 30 Orten präsent, es herrschte eine grossartige Solidarität. So luden uns andere Festivals ein, etwa jene von Neuchâtel (NIFFF) oder Zürich, wir zeigten unsere Festivalfilme in der Cinémathèque suisse und in den Filmclubs der Westschweizer Universitäten, im August waren wir Open Air gar auf einem Berggipfel bei Charmey. Insgesamt konnten wir so über 10 000 Eintritte verbuchen.
*1980 gegründet, ist Fribourg das viertälteste Filmfestival der Schweiz. Es begann als «Dritte-Welt-Filmfestiva» und hatte noch bis vor einigen Jahren diesen Ruf. Wie würden Sie es heute definieren?
Nun, Filme aus Lateinamerika, Asien und Afrika bilden immer noch das Rückgrat, der Wettbewerb zeigt ausschliesslich Filme aus diesen Ländern. Ausserdem habe ich damit begonnen, mit der Reihe «Neues Territorium» weit gehend unbekannte Filmländer von den drei Kontinenten vorzustellen. Dieses Jahr ist es Ruanda, am FIFF werden auch vier RegisseurInnen von dort anwesend sein. Ich war selber dort gewesen, Anfang 2020. Weiter liegt mir aber stets auch das Genrekino am Herzen, dieses Jahr sind es Musikfilme aus aller Welt. Ausserdem bin ich ein grosser Fan von Cartes blanches. Ich sehe mich nicht als Festivalleiter, der überall Bescheid weiss, vielmehr gebe ich auch gerne einem Regisseur, einer Regisseurin, die Gelegenheit, Filme auszusuchen. So haben wir es dieses – und letztes – Jahr mit dem Filmland Mexiko gemacht: Wir fragten insgesamt 43 namhafte mexikanische Filmschaffende nach den für sie besten drei Filmen ihres Heimatlandes. Das Resultat dieser grossen Umfrage sind nun die sechs Werke, die wir am FIFF zeigen und auf die ich besonders stolz bin.
Das FIFF fand in der Vergangenheit stets im März statt, nun wurde es auf Juli verschoben, eingeklemmt zwischen Cannes (ebenfalls verschoben) und Locarno. Haben Sie keine Bedenken, dass es so weniger wahrgenommen wird?
Sie haben bei Ihrer Aufzählung noch das NIFFF von Anfang Juli, sowie das Fribourger Musikfestival «Les Georges» vergessen, das an dem Tag endet, an dem das FIFF beginnt. Ja, dieser Sommer ist kulturell vollgepackt, aber ich bin überzeugt, die Leute haben Nachholbedarf. Und am FIFF gibt es, zusätzlich zu den bisherigen Vorführungsorten (Rex und Arena), erstmals ein Openair Kino im Bollwerk. Was das Filmfestival Locarno betrifft, so habe ich es nie als Konkurrenz zu uns gesehen, wir sind kaum miteinander vergleichbar. Wir sind ein kleines Festival, schon nur, wenn man die Budgets vergleicht, wir sind ein Publikumsfestival, vor allem für Leute aus der Region. Wir haben auch keine Workshops, keine Produzententreffen – und wir müssen auch keine Weltpremieren zeigen. Dafür sind wir ein Ort, wo sich Cineasten in ungezwungener Atmosphäre treffen können, wo das Programm nicht überladen ist, wo man leicht neue Freundschaften schliessen kann. Und bei uns gibt es keine VIP Diner wie in Locarno oder Zürich. Vielleicht sind wir aber doch ein wenig so wie ich Locarno vor 25 Jahren als junger Journalist erlebte: Man trifft Filmschaffende ganz zufällig, man sitzt im gleichen Restaurant, man begegnet sich einfach so auf der Strasse.
Sie sprachen vom Publikum aus der Region. Ich erinnere mich an Anstrengungen in der Vergangenheit, das FIFF auch in der Deutschschweiz bekannter zu machen. Wie sieht das aktuell aus?
Sie haben Recht, das ist immer noch einer unserer Träume, aber es ist momentan ein Traum. Dies unter anderem deshalb, weil nicht alle unsere Filme deutsch untertitelt sind. Dieses Jahr sind es 70 Prozent, aber wir bräuchten 50 000 Franken mehr, um alle Filme deutsch zu untertiteln. Aber unser Katalog ist seit je dreisprachig, ausserdem sind wir von den grossen deutschschweizer Städten aus in weniger als eineinhalb Zugstunden erreichbar – und wir sind das einzige Schweizer Festival, das vom Bahnhof aus nur zwei Minuten Gehdistanz entfernt liegt. Sie sehen: es gibt genug Gründe für vermehrte Wahrnehmung auch in der Deutschschweiz.