Bewegender Auftritt in Venedig: Der Schweizer Film SILENT REBELLION wurde in der neuen Sektion «Spotlight» des 82. Filmfestivals gezeigt. Regisseurin Marie-Elsa Sgualdo und Hauptdarstellerin Lila Gueneau waren bei beiden Vorführungen anwesend. Der Film erzählt eindringlich und feinfühlig von der Vergewaltigung einer jungen Frau.
SILENT REBELLION
- Publiziert am 23. September 2025
SILENT REBELLION | SYNOPSIS
Die 15-jährige Emma — schwanger nach einer Vergewaltigung — stellt sich ihrer repressiven, ländlichen reformierten Gemeinschaft entgegen und schlägt einen Weg der Selbstbestimmung ein. Sie verwandelt ihr Trauma in einen Anstoss zur Emanzipation, während sie der moralischen Heuchelei des Dorfs und dem Schatten des Zweiten Weltkriegs um sie herum die Stirn bietet.
SILENT REBELLION
Von Madeleine Hirsiger
Schon bei FRIEDAS FALL (Regie: Maria Brendle) und FOUDRE (Regie: Carmen Jaquier) war die Begeisterung gross. Nun reiht sich SILENT REBELLION natlos in die Rige der engagierten Schweizer Regisseurinnen ein, die mit feinem Gespür das schwierige Thema der sexuellen Gewalt behandeln. Marie-Elsa Sgualdo Werk verortet ihr Drama während des Zweiten Weltkriegs im Schweizer Jura, wo die 15-jährige Emma im Haushalt des Dorfpfarrers angestellt ist. Zu seiner Tochter Colette baut Emma eine fast schwesterliche Beziehung auf. Zuhause trägt sie viel Verantwortung: Der Vater ist Schneider, die Mutter wurde früh verstossen, die Gründe bleiben unklar. Emma ist intelligent und wissbegierig, der Pfarrer fördert sie, gibt ihr Bücher und lässt sie Musik hören. Ein junger Journalist, zu Besuch im Pfarrhaus, vergewaltigt sie bei einem Spaziergang. Emma wird schwanger.
Hartes Schicksal
«Für meinen ersten Spielfilm hatte ich schon lange eine weibliche Figur im Kopf», sagt Regisseurin Marie-Elsa Sgualdo. «Wie finden diese vergewaltigten jungen Frauen die Kraft, um weiterzugehen? Diese Thematik habe ich bereits in meinen Kurzfilmen aufgegriffen.» Sie erklärt, warum sie die Handlung in die Kriegszeit verlegt hat: «Der Film hat auch eine politische Ebene und ist eine Art Metapher für den Zustand des heutigen Europas: Es herrscht Krieg – und das ist ein traumatischer Zustand. Die Leute haben die Gabe zur Empathie verloren. Das fehlt uns heute, um handeln zu können, um menschlich zu bleiben gegenüber anderen.» Ihre Figur Emma hat ein gutes Selbstwertgefühl, doch das Erlebte bedrückt sie. Nach einem missglückten Abtreibungsversuch vertraut sie sich Colette an. Schliesslich heiratet sie Paul, einen jungen Bauern, der das Kind wie seinen eigenen Sohn aufzieht. Doch Emma fühlt sich zunehmend eingeengt. Sie flieht mit dem Kind in die Stadt – zur Mutter, die sie nur widerwillig aufnimmt.
Grosse Emotionen
Was hat die Rolle bei Lila Gueneau ausgelöst, der jungen Schauspielerin, die zur Zeit der Dreharbeiten 18 Jahre alt war? «Ich war mittendrin – mit enorm viel Respekt vor dieser Geschichte. Marie-Elsa hat mir immer wieder gesagt: Da musst du jetzt durch.» (Die beiden lachen herzlich.) «Wir haben viel über die Zwänge der damaligen Zeit gesprochen. Es war schwierig für mich, mir das alles vorzustellen.» Es ist der belgische Kameramann Benoît Dervaux, der dieses emotionale Drama visuell umgesetzt hat. Er verzichtet auf auffällige Kamerabewegungen und wählt stattdessen warme Farbtöne. Die Geschichte erzählt er in ruhigen, aussagestarken Bildern – oft auch in Grossaufnahmen. Vor allem in Emmas feiner Mimik entfaltet sich die Wirkung dieser Bildsprache.
Alles im Griff
Der englische Titel SILENT REBELLION trifft die Geschichte gut. Der französische Originaltitel À BRAS-LE-CORPS, was bedeutet «die Dinge in den Griff bekommen», verweist auf Emmas innere Stärke. «Meine Inszenierung soll Emmas innere Welt zum Ausdruck bringen – ihre emotionalen Umbrüche, ihren Pragmatismus, die schwierigen Lebensumstände zu überwinden», sagt die Regisseurin. Marie-Elsa Sgualdo, die aus La Chaux-de-Fonds kommt, schrieb nicht nur das Drehbuch, sondern führte auch Regie. Doch es ist vor allem Lila Gueneau, die mit eindrücklicher Mimik und wenigen Worten durch den Film trägt. Entdeckt wurde sie von Sgualdo über eine Freundin. Ein neues gemeinsames Projekt ist bereits in Planung.
Fazit: SILENT REBELLION ist in jeder Hinsicht beeindruckend. Der Film ist hervorragend gespielt und sensibel inszeniert. Die Geschichte wird packend erzählt und in zurückhaltender Weise umgesetzt – ganz ohne grosse Gesten. Eine wahre Trouvaille und ein weiteres Beispiel für die kraftvolle Handschrift jener Regisseurinnen, die sich der Thematik sexuelle Gewalt und ungewollte Schwangerschaften annehmen. Mit Feingefühl und Klarheit bringen sie diese Geschichten auf die Leinwand. An diesem Film kommt man nicht vorbei – unbedingt ins Kino gehen!