Der erfolgreiche deutsche Regisseur Christian Petzold hat sich reichlich bedient in seinem Kasten, wo all die psychologischen Werkzeuge für eine gute Geschichte zum Einsatz bereit waren. Und er hat sie wohldosiert, aber haargenau eingesetzt. Wohl nicht zuletzt wegen seiner wunderbaren jungen Schauspielercrew, die sich mit Petzold über sein Drehbuch gebeugt, ihn mit Fragen gelöchert und neue Vorschläge einbracht hat, wie Petzold in einem Interview erzählt. Und das war ein Glückstreffer.
Roter Himmel
Geboren wurde Christian Petzold 1960 in Hilden. Er studierte Germanistik und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin, anschliessend von 1988 bis 1994 Regie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Christian Petzold war mit seinen Filmen bereits fünfmal im Wettbewerb der Berlinale vertreten, zuletzt 2020 mit «Undine». Für «Barbara» erhielt er 2012 den Silbernen Bären für die Beste Regie.
Filmografie
1995 Pilotinnen 1996 Cuba Libre 1998 Die Beischlafdiebin 2000 Die innere Sicherheit (The State I Am In) 2001 Toter Mann (Something to Remind Me) 2003 Wolfsburg 2005 Gespenster (Ghosts) 2007 Yella 2008 Jerichow 2011 Dreileben – Etwas Besseres als den Tod (Dreileben – Beats Being Dead) 2012 Barbara 2014 Phoenix 2018 Transit 2020 Undine 2023 Roter Himmel (Afire)
Roter Himmel | Synopsis
Ein kleines Ferienhaus an der Ostseeküste. Die Tage sind heiss und es hat seit Wochen nicht mehr geregnet. Vier junge Leute kommen zusammen, alte und neue Freunde. Als sich die ausgedörrten Wälder um sie herum zu entzünden beginnen, werden auch ihre Gefühle wach. Glück, Lust und Liebe, aber auch Eifersucht und Missgunst. Inzwischen brennen die Wälder. Und schon bald sind die Flammen da.
Roter Himmel | Weitere Stimmen
«Christian Petzold ist einmal mehr ein faszinierender Film gelungen – der dazu so unterhaltsam und bewegend ist wie kaum ein anderes seiner Werke.» – Björn Becher, Filmstarts | «Es sind die grossen, verwirrenden dramaturgischen Wagnisse des Films, seine humorvolle Darstellung der menschlichen Unsicherheit und Verzweiflung, die ihn so subtil aufregend und bewegend machen. ‹Roter Himmel› zeigt einen literarischen Anfänger, der gezwungen ist, alles zu verwerfen, um sich weiterentwickeln zu können, aber auch einen Altmeister, der offen ist für Selbstkritik und persönliche Weiterentwicklung.» – Guy Lodge, Variety | «Das herausragendste Merkmal von Petzolds Filmen ist seine meisterhafte Ausdrucksweise und sein Gespür für Emotionen. Seine Figuren leben und atmen, aber richtig lebendig werden sie in ihren Beziehungen.» – Savina Petkova, Cineuropa
Roter Himmel
Eine Rezension von Madeleine Hirsiger
Der Anfang der Geschichte erscheint einfach: Zwei junge Männer wollen ihre künstlerischen Visionen zu Ende führen, in der Stille sollen ein Roman und ein Fotobuch entstehen. An der Ostsee, im Sommerhaus der Eltern des Fotografen Felix (Langston Uibel), hat sich aber schon jemand eingenistet. Felix nimmts gelassen, wie alles in diesen warmen Sommertagen, während für Leon, den Dichter (Thomas Schubert) der Stress beginnt. Mit dieser Situation hat er nicht gerechnet. Jede Abweichung seiner Vorstellungen verstören ihn. Es ist die attraktive Nadja (Paula Beer), die den Sommer durch am Meer ein bisschen Geld verdient und ein völlig freies Leben führt und sich von nichts einengen lässt. Sie treibt es nachts – unverblümt und lustvoll – mit dem Rettungsschwimmer, dass die Wände nur so ächzen. Stress für Leon: Er nervt sich, kann nicht schlafen und ist irritiert – während Nadja, fast unbemerkt ein Auge auf ihn geworfen hat. Es käme ihm aber nie in den Sinn, Nadja zu fragen, was sie denn eigentlich im Leben so macht.
Einsamer Egozentriker
Leon kommt mit seinem Buch natürlich nicht weiter, sein Verleger hat sich angekündigt, der schon durchschimmern liess, dass sein Manuskript nicht gerade der Hammer ist. Da wird es für Leon zu viel. Und dass es innerhalb der Feriengruppe amouröse Verschiebungen jeglicher Art gibt, nährt seine Unsicherheit. Ja, und wie hält er das alles durch, er, der mit seinem egozentrischen Verhalten immer mehr am Rande des Geschehens steht, sich total in sich zurückzieht? Wie kommt er da raus? Hilft ihm vielleicht das Feuer, das den Wald frisst und bedrohlich in die Nähe des Sommerhauses kommt, wo die Asche schon wie Schneeflocken über das Hausdach fliegt?
Gelungener Sommerfilm
«Roter Himmel» ist ein leichtfüssiger und intensiver Film, zugleich tiefsinnig und grausam. Er zeigt junge Menschen, die ihren Weg suchen und sich auch selbst im Weg stehen. Doch sobald sie sich entspannen – und das gilt vor allem für Leon – entstehen Freiräume, die es zu besetzen gilt. Alle Figuren machen eine Entwicklung durch, gewinnen durch die Geschichte ihre klaren Charaktere. Kamera, Inszenierung vor allem die Darstellungen der jungen Schauspieler:innen sind vom Feinsten. Der langsame Rhythmus lässt auch dem Nichtstun Raum, dem «sich-die-Zeit-um-die-Ohren-schlagen». Und das ist eine weitere Qualität des Films. Dem 62-jährigen Christian Petzold ist mit «Roter Himmel» ein Sommerfilm erster Güte gelungen. Es seien ja eher die Franzosen, die dieses Genre beherrschten, – so Petzold. Die Pandemie habe ihm – zusammen mit der Protagonistin Paula Beer – aber die Zeit gegeben, über die «Sommerfilme» nachzudenken und daran zu arbeiten. «Roter Himmel» hat an der diesjährigen Berlinale den Grossen Preis der Jury gewonnen.
Fazit: Es kommt nicht oft vor, dass man bei einem Film das Gefühl hat, hier stimme eigentlich alles. So wunderbar können also Sommerfilme aus Deutschland sein.