«Mothering Sunday» ist mehr als berauschendes Kostümkino: sehr modern, kongenial adaptiert und perfekt besetzt mit der Newcomerin Odessa Young, «The Crown»-Star Josh O’Connor und den Oscarpreisträger*innen Olivia Colman, Glenda Jackson und Colin Firth. Eine Filmrezensin von arttv Filmjournalist Rolf Breiner folgt an dieser Stelle in Kürze.
Mothering Sunday
Mothering Sunday | Synopsis
England, 1924. Dienstmädchen Jane (Odessa Young) hat von ihren Herrschaften, den Nivens (Colin Firth, Olivia Colman), zur Feier des Muttertages frei bekommen. Freudig erregt radelt sie hinaus in die Frühlingssonne, um ihren Geliebten Paul (Josh O’Connor) zu sehen. Nach vielen heimlichen Treffen und versteckten Botschaften soll dies nun ihre letzte Verabredung sein, denn Paul wird bald standesgemäss heiraten. Jane darf erstmals durchs Hauptportal spazieren, um direkt in sein Bett zu sinken, da die Familie samt Dienerschaft ausgeflogen ist. Als Paul sich schliesslich auf den Weg zu seiner Verlobungsfeier macht, streift Jane – völlig beseelt vom leidenschaftlichen Liebesakt – allein und nackt durch das weitläufige Herrenhaus, nicht ahnend, welch schicksalhafte Wendung dieser besondere Festtag noch bereithält.
Rezension
von Rolf Breiner
Ein herrlicher Sonnentag, der 30. März 1924 in der Grafschaft Berkshire, England. Eine friedliche Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Gleichwohl hat der Krieg unauslöschliche Narben hinterlassen. Die Nivens (Colin Furth und Olivia Colman) haben ihre beiden Söhne verloren wie auch die befreundeten Hobdays (Simon Shepherd und Caroline Hanker). Den Sheringhams (Craig Crosbie und Emily Woof) ist ihr Sohn Paul (Josh O’Connor) geblieben, und der soll Karriere als Anwalt machen. Man ist übereingekommen, dass er Emma (Emma D’Arcy), Tochter der Hobdays, heiraten soll. Doch der junge Mann pflegt ein heisses Verhältnis – natürlich im Geheimen – mit dem Dienstmädchen der Nivens, Jane (Odessa Young) – über Standesdünkel und andere Hemmschwellen hinaus.
Sunny Sunday
Traditionell erhalten Dienstmädchen in England am Mothering Day, Vorläufer des bekannten Muttertags, frei, um Verwandte zu besuchen. So auch die 22-jährige Waise Jane Fairschild (Odessa Young), die ein fast väterliches Verhältnis zum Patron, Mr. Niven (Colin Firth) pflegt. Sie nutzt diese willkommene Freizeit für ein Schäferstündchen mit ihrer heimlichen Liebe, Paul Sheringham, Sohn aus betuchtem Haus. Für die beiden schlägt im verlassenen Herrenhaus vielleicht ihr letztes Liebesstündchen, denn Paul ist mit Emma verlobt und wird an diesem sonnigen Sonntag von den befreundeten Familien erwartet – zum Tafeln. Jane ist nach dem Abschied noch ganz vom Liebesglück erfüllt und stromert allein nackt durchs Anwesen – wie berauscht und befreit. Auf dem Heimweg trifft sie Mr. Niven, der wie auch die anderen Familien nichts vom Liebesverhältnis weiss, und ihr die Todesnachricht von Paul bringt. Der hatte einen tödlichen Unfall.
Selbstbestimmung
Eine Liebe wurde jäh ausgelöscht. Doch Jane findet neuen Lebensinhalt in der Literatur. Sie wird Schriftstellerin. Doch auch ihre zweite Liebe zum Philosophen Donald (Sope Dirisu) steht unter keinem guten Stern. Hoch betagt erinnert sich Janes (Glenda Jackson), die das gesellschaftliche Korsett ihrer Zeit sprengte und als Literatin Karriere gemacht hat, an jene glücklichen Zeiten, an jenen unbeschwerten «Mothering Sunday», der so brachial endete. Fast schwerelos und doch melancholisch schildert Eva Husson diese altmodisch anmutende, tragische Romanze nach alter britischer Art, eben «old fashion». Man kann sich sattsehen an Landschaft, Kulissen und der Heldin, die nicht verzagt, sondern ihren Weg sucht. Basis bildete der Erfolgsroman «Ein Festtag»(2017) von Graham Swift. Der Film deckt eine grosse Zeitspanne, ohne sprunghaft oder brüchig zu wirken. Kern bildet jener Muttertag, der zum Schlüsselerlebnis der jungen Jane wird. Sie findet sich und ihre Bestimmung, losgelöst von Männern. Odessa Young trägt als Jane den Film wesentlich mit – sinnlich, sensibel, ohne sentimental zu wirken.
Fazit: Eine adäquate Literaturverfilmung: Eva Husson inszenierte nach dem Buch «Ein Festtag» von Graham Swift eine tragische Romanze mit viel Anmut, Sinnlichkeit und tieferem Sinn. «Mothering Sunday» ist ein feinfühliger Film über ein Dienstmädchen, das zur Schriftstellerin wurde, über Befreiung und Selbstverwirklichung.