In Louise Courvoisiers wunderbarerem Erstling VINGT DIEUX treffen wir auf Totone und seine Bande. Witzige, sensible und sehr liebenswerte junge Jurassier, die in ein «emanzipatorisches Käseabenteuer» verwickelt werden. Die junge Regisseurin Louise Courvoisier, die selbst aus dem Jura stammt, erzählt in unserem Interview, warum es für sie ein Bedürfnis ist, auf dem Land zu leben, um von dort aus ihrem Beruf als Filmemacherin nachzugehen.
Louise Courvoisier | VINGT DIEUX
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VINGT DIEUX | SYNOPSIS
Totone ist jung, temperamentvoll und unbekümmert. Er verbringt seine Zeit damit, mit seiner Clique Bier zu trinken und die Discos im französischen Jura unsicher zu machen. Doch von einem Tag auf den anderen muss er sich um seine kleine Schwester und den heruntergekommenen Familienbauernhof kümmern. Da er pleite ist, schmiedet er einen Plan: Er will den besten Comté der Region herstellen und so einen Landwirtschaftswettbewerb gewinnen, bei dem es nicht nur eine Goldmedaille, sondern auch eine hübsche Summe Geld zu gewinnen gibt. Dabei kann er auf die Unterstützung seiner besten Freunde, seiner Schwester und seiner grossen Liebe Marie-Lise zählen, die jedoch keine Ahnung von Totones fragwürdigen Methoden hat, mit denen er sein Vorhaben umsetzen will …”:http://
VINGT DIEUX | INTERVIEW
mit Louise Courvoisier sprach Ondine Perrier
Sie kommen aus dem Jura, einer Gegend mit vielen Traditionen. Inwiefern haben diese Region und ihr Gewerbe das Schreiben Ihres Films beeinflusst?
Ich wollte meinen Film in der Lebenswirklichkeit meiner Region verankern. Daher liess ich mich von den Menschen, mit denen ich schon als Kind zu tun hatte, den landwirtschaftlichen Aktivitäten und Traditionen, die im Jura allgegenwärtig sind, inspirieren. Ich habe diese Welt als Leinwand genutzt, um eine authentische Handlung zu schaffen, die von den Menschen vor Ort erzählt.
Wie verliefen die Drehbucharbeiten?
Zu Beginn habe ich alleine am Drehbuch geschrieben. Dann habe ich zweieinhalb Jahre lang mit Théo Abadie zusammengearbeitet. Später stiess auch noch Marcia Romano dazu, eine erfahrene Drehbuchautorin. Sie hat das Drehbuch sehr bereichert. Das Schreiben zu dritt machte diese schwierige Phase konstruktiver und weniger isolierend.
Wie haben Sie Ihre Schauspieler:innen ausgewählt und wie haben Sie mit ihnen gearbeitet – insbesondere mit den Nichtprofis?
Das Casting basierte mehr auf der Energie, die eine Figur ausmacht, als auf deren Aussehen. Ich habe die Bewerber:innen beobachtet und mit ihnen geprobt. Einige Szenen habe ich auch umgeschrieben, damit sie den Kandidat:innen besser entsprachen. Ich wollte, dass sich alle wohl und begleitet fühlen. Insbesondere da die Arbeit mit mir für viele ihre erste Schauspielerfahrung war.
Können Sie etwas über die Schauspielerin Maïwène Barthélémy und ihre Figur Marylise sagen?
Marylise ist eine selbstbewusste, direkte Frau, aber mit Schwächen, die sie komplex machen. Maïwène verkörperte dieses Gleichgewicht zwischen Selbstsicherheit und Verletzlichkeit wunderbar. Ihre emotionale Bandbreite hat der Rolle Tiefe verliehen.
Schamhaftigkeit und Schweigen scheinen in Ihrem Film wichtig zu sein.
Ja, denn sie vermitteln Emotionen besser als explizite Dialoge. Gesten, Blicke und das, was zurückgehalten wird, bieten eine doppelte Lesart und verleihen jeder Szene eine zusätzliche Tiefe. Diesen Umstand beobachte ich in meiner Umgebung oft.
Wie führten Sie schauspielerisch das sehr junge Mädchen im Film, das Totones jüngere Schwester spielt, und eine zentrale Rolle in der Geschichte einnimmt?
Luna hat eine natürliche Reife und eine grosse Präsenz, die meine Arbeit vereinfachten. Ich kenne sie, seit sie drei Jahre alt ist und habe ein Vertrauensverhältnis mit ihr. Oft erzählte ihr Schweigen mehr als die im Drehbuch angedachten Dialoge, die ich darum manchmal rausgenommen habe.
Warum haben Sie Szenen wie das Wickeln oder die Herstellung des Käse Comté so detailliert in den Film eingebaut?
Ich wollte, dass der Film authentisch ist. Diese Tätigkeiten, die für das Leben vor Ort unerlässlich sind, verleihen der Geschichte Glaubwürdigkeit. Die realen Gesten und der Wahrheitsgehalt der Szenen ermöglichen es, den Zuschauer:innen in eine lebensnahe Welt einzutauchen.
In Ihrem Film geht es auch um Themen wie Gewalt und Alkoholismus.
Diese Themen sind in meinem Alltag genauso präsent, wie in dem der Jugendlichen, die ich kenne. Ich wollte die Ursprünge und Folgen dieser Problemfelder zeigen, ohne zu urteilen. Gewalt ist oft Ausdruck von Unwohlsein und mangelndem Selbstvertrauen.
Mir scheint, es gibt einen Trend, Filme über die Langeweile von Jugendlichen in ländlichen Gebieten zu drehen?
Ich denke, dies spiegelt eine neue Generation von Filmemacher:innen wider: Sie lassen sich von ihren Wurzeln inspirieren und wollen die Problematik ausserhalb der Pariser Sphäre erforschen. Es besteht ein Bedürfnis, unterschiedliche Realitäten zu schildern und neue Sichtweisen einzubringen.
Ihr Film scheint ein grosses gemeinsames Abenteuer zu sein. Welche Rolle hat Ihr Umfeld bei seiner Entstehung gespielt?
Die Arbeit mit meiner Familie und Menschen aus der Region hat eine einzigartige Intimität und Authentizität geschaffen. Dadurch konnte ich während der Dreharbeiten starke Bindungen aufbauen, die eine positive und kollaborative Energie förderten.
Wie haben Sie die vielen Herausforderungen bei den Dreharbeiten gemeistert?
Der Film war tatsächlich anspruchsvoll mit seinen Szenen eines Dorffestes, von Tieren und mit verschiedenen Schauplätzen. Ich wollte, dass sich das Team wohl fühlt und in einer wohlwollenden Atmosphäre arbeiten kann. So war eine umfangreiche Vorbereitung nötig und viel Zuhören.
Welches sind Ihre Prinzipien als Regisseurin?
Ich lehne jede Form von Tyrannei am Set ab. Ich bin der Meinung, dass Wohlwollen und Zusammenarbeit die Kreativität und Einheit stärken. Meine Verantwortung besteht darin, jede:n zu begleiten, damit sie oder er das Beste aus sich herausholen können.
Wird Ihr nächstes Projekt ebenfalls im Jura spielen?
Das kann ich noch nicht sagen. Ich bin noch stark mit VINGT DIEUX und der Werbung damit beschäftigt. Ich muss auf jeden Fall zuhause Kraft schöpfen, bevor ich ein neues Projekt in Angriff nehme.
Vielen Dank für das Gespräch!