Les passagers de la nuit
Eine Familiengeschichte voller Zärtlichkeit und Poesie
Charlotte Gainsbourg in der Rolle einer Frau, die lernen muss, auf eigenen Beinen zu stehen und zeitgleich ihren Kindern ermöglich, gemeinsam mit ihr vom Leben zu lernen. «Les passagers de la nuit» ist eine vielschichtige Reise in die 80er-Jahre und in ein Lebensgefühl, in dem der Regisseur seine Kindheit wiederzufinden versucht. Mikhaël Hers’ Spielfilm lief im Wettbewerb der Berlinale 2022.
Les passagers de la nuit | Synopsis
Paris, in den 80er Jahren. Elisabeth wurde gerade von ihrem Mann verlassen und muss sich um den Alltag ihrer beiden Teenager Matthias und Judith kümmern. Sie findet einen Job bei einer nächtlichen Radiosendung, wo sie Talulah kennenlernt. Talulah findet bei Elisabeth ein Zuhause und Matthias die Möglichkeit einer ersten Liebe. Beginnt hier für alle ein neues Leben?
Les passagers de la nuit | Stimmen
«Bisher ist der französische Regisseur Mikhaël Hers höchstens eingefleischten Cinephilen ein Begriff. An diesem Nischendasein ändert ‹Les passagers de la nuit› nun hoffentlich etwas, denn mit seinem bereits siebten Film ist Hers ein ganz grosser Wurf gelungen.» – Jochen Werner, Filmstarts | «Die positive Lebenseinstellung des Films hat etwas Liebenswürdiges an sich.» – Peter Bradshaw, The Guardian | «Mit seinem atemberaubenden Produktionsdesign und den nostalgischen, aber stilvollen 80er-Jahre-Kostümen ist ‹Les passagers de la nuit› eine wunderschöne Einladung, die Zeit zu entschleunigen und zu geniessen, bevor das Leben vorüberzieht.» – Jude Dry, IndieWire |
Rezension
von Madeleine Hirsiger
Wir sind im Mai 1981 in Paris. Der Sozialist François Mitterrand gewinnt die Präsidentschaftswahlen. Die ganze Stadt ist in Feierlaune, es werden rote Rosen verteilt und Feuerwerke gezündet. Und da beginnt die Geschichte, die sich in drei Abschnitten durch die 80er-Jahre zieht: Elisabeth (Charlotte Gainsbourg) wurde eben von ihrem Mann verlassen, die Kinder Matthias und Judith sind im Aufbruchsalter, der Grossvater hilft, wo er kann, auch finanziell. Es ist eine Geschichte, von der man sich ruhig treiben lassen kann, die Einblick in den Gemütszustand dieser Familie gibt, die zusammenhält und auch in der Lage ist, ein junges Mädchen, das obdachlos ist und stets neue Nachtlager finden muss, bei sich aufzunehmen. Elisabeth greift sie eines Nachts vor ihrem Haus auf. Talulah heisst sie und wird – immer wieder über Umwege – schliesslich Teil der Familie, ein wohltuender Zustand, den sie nicht gekannt hat. Auch ihr Drogenproblem scheint sie allmählich in den Griff zu bekommen.
Neue Perspektiven
«Les passagers de la nuit» ist eine Radiosendung, in der Menschen durch die Nacht hindurch erzählen können, was sie im Leben bewegt. Elisabeth wird als Telefonistin angestellt und leitet die Anrufenden zum Moderator durch. Als die Hauptmoderatorin (Emmanuelle Béart) eines Nachts ausfällt, darf Elisabeth einspringen, sie redet mit den Leuten und kommt sehr gut an. Spätestens hier fasziniert Charlotte Ginsbourg das Kinopublikum mit ihrer fragilen, hohen Stimme, die niemandem etwas zuleide tun kann, die empathisch und sanft ist. Und eine zweite Anstellung in einer Bibliothek öffnet ihr neue Perspektiven, die ihrem doch zurückgezogenen und einsamen Leben neuen Schwung verleiht.
Zeitreise in die 80er
Der 47-jährige Regisseur Mikhaël Hers erzählt die Geschichte dieser Familie in nächtlichen Bildern, selten ist es hell auf der Leinwand und als Stilmittel verwendet er Filmaufnahmen aus der Zeit, die er sehr elegant in neu gedrehtes Material einfügt. Und er hat grosses Verständnis für die Protagonisten, ja, er hat sie gern und verbringt viel Zeit mit ihnen. Der Film hat eine wohltuende Selbstverständlichkeit und Normalität. Grosse Sensibilität zeigte der Regisseur auch bei den vorangehenden Werken «Ce sentiment der l’été» (2015) und «Amanda» (2018), wo der Tod eine zentrale Rolle spielt.
Fazit: «Les passagers de la nuit» ist ein einfühlsamer Film, ohne Nostalgie, ohne Gewalt oder Aggression. Er ist wie ein Fluss, der einem auf ein Stück Leben einer Familie mitnimmt, behutsam und einzigartig: Ein Film für die Seele.