LES BARBARES, die bittersüsse Komödie von Schauspielerin und Regisseurin Julie Delpy, thematisiert die Ankunft syrischer Flüchtlinge in einer bretonischen Kleinstadt. Delpy stellt dabei ihre Protagonist:innen vor grosse Herausforderungen und auf eine wahre Prüfung. Dabei lässt sie diese sämtliche Vorurteile ausleben, nur um sie am Ende genüsslich auflaufen zu lassen. Entsandten ist eine unglaublich witzige und sehr sehenswerte Culture-Clash- und Integrationskomödie
LES BARBARES
LES BARBARES | SYNOPSIS
Im bretonischen Paimpont herrscht Harmonie: Zu den Einwohnern gehören Joëlle, die belehrende Lehrerin, Anne, die Besitzerin des Supermarktes, die gerne einen Aperitif trinkt, Hervé, der elsässische Klempner, der bretonischer ist als die Bretonen, oder auch Johnny, der Parkwächter, der ein Fan von Johnny ist. In einem grossen Anfall von Solidarität stimmen sie begeistert für die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge. Nur sind die ankommenden Flüchtlinge nicht aus der Ukraine, sondern aus Syrien! Und einige in diesem charmanten kleinen bretonischen Dorf sehen die Ankunft ihrer neuen Nachbarn nicht sehr positiv. Wer sind hier die Barbaren?
Rezension
Von Ondine Perier
Getragen von einer hochkarätigen Besetzung, zeichnet Julie Delpy Sozialkomödie ein eindringliches Porträt der Bewohner:innen einer kleinen bretonischen Gemeinde. Der Film beginnt mit einem ruhigen Dorf, das sich auf die Aufnahme von Geflüchteten vorbereitet. Die Bewohner:innen hatten sich mental auf die Ankunft von Ukrainer:innen vorbereitet, Flüchtlinge, die sie als kulturell «näher» wahrnehmen. Doch es kommt eine syrische Familie. Die Enttäuschung der Dorfbewohner ist spürbar und die Syrer:innen erschüttern die Komfortzone der Einheimischen. Julie Delpy schildert mit beissender Ironie, wie sich Rassismus manifestiert. Einige ihrer Charaktere verhalten sich zwar liberal, aber ihre Vorbehalte werden im Verlauf der Geschichte immer mehr entlarvt.
Farbenfrohe Charaktere
Die Dorflehrerin, gespielt von Julie Delpy selber, erweist sich als eine der rührendsten Figuren des Films. Sie ist es, die sich allen Widrigkeiten zum Trotz mit Leib und Seele dafür einsetzt, dass die syrische Familie integriert wird und die Kinder ihren Platz in der Schule finden. Allein gegen alle oder fast alle verkörpert sie einen echten humanistischen Kampf und symbolisiert die Hoffnung, dass gegenseitige Hilfe und Verständnis über Vorurteile triumphieren können. Um sie herum kreisen farbenfrohe Charaktere, die von erstklassigen Schauspieler:innen dargestellt werden. Laurent Lafitte, Sandrine Kiberlain und India Hair bilden eine wahre Porträtgalerie, in der jeder eine Facette des Misstrauens, der Ablehnung oder der erzwungenen Akzeptanz verkörpert. Die weiblichen Figuren bringen mehr Menschlichkeit und Nuancen mit als ihre männlichen Kollegen. Man lacht zwar, aber oft mit einem Unbehagen, da einige Sprüche Meinungen widerspiegeln, die in der Gesellschaft leider immer noch stark vertreten sind. Die Figur von Sandrine Kiberlain, hier in der Rolle der Dorfladenbesitzerin, ist eine der köstlichsten: Durch und durch trügerisch, spielt sie eine Frau voller Widersprüche, die ihre Zeit damit verbringt, Moralpredigten zu halten, während sie heimlich an einem Glas Wodka nippt. Sandrine Kiberlain bleibt ihrem Stil treu und haucht dieser Figur, die trotz ihrer Fehler liebenswert ist, eine unwiderstehliche Leichtigkeit und Komik ein. Schliesslich erfreut uns das Paar India Hair (entschieden immer perfekt) und Laurent Laffite (ausgezeichnet als rassistischer Klempner) von Anfang bis Ende mit ihren gegensätzlichen Positionen und der heilsamen Erkenntnis der Ehefrau, der schliesslich die Augen über die wahre Natur ihres Mannes geöffnet werden.
Migrant:innen im Hintergrund
Trotz der temporeichen Inszenierung und der glänzenden Besetzung ist es bedauerlich, dass die Charaktere der Migranten selbst nicht weiter entwickelt werden. Sie erscheinen die meiste Zeit als Gegenstand der Diskussionen der Dorfbewohner:innen ohne eine eigene Stimme. Das hindert die Zuschauenden möglicherweise daran, sich vollständig mit der Geschichte der Flüchtlinge zu verbinden oder die Schwierigkeiten, die sie durchmachen, zu verstehen. Das alles hinterlässt einen gewissen Geschmack des Unvollendeten. Dennoch gelingt es LES BARBARES mit Bravour, Lachen und Nachdenken miteinander zu verbinden. Julie Delpy erbringt eine echte Leistung, indem sie schwere Themen wie Rassismus und die Schwierigkeiten des Zusammenlebens anspricht. Sie lädt uns ein, darüber nachzudenken, welchen Platz wir dem Anderen einräumen, was Integration wirklich bedeutet und welche Heuchelei sich hinter falschen guten Absichten verbergen kann.
Fazit: LES BARBARES eine wichtige Sozialkomödie, die von einer tadellosen Besetzung und geschliffenen Dialogen getragen wird. Der Film amüsiert mit seinen komischen Szenen und seinen zuweilen karikaturhaften Figuren, schafft es aber auch, wesentliche Fragen über unsere Beziehung zu Fremden aufzuwerfen und uns daran zu erinnern, dass das Zusammenleben eine ständige Herausforderung und alles andere als selbstverständlich ist.