Der Titel «La nuit du 12» klingt simpel, und doch steckt dahinter einer der besten Thriller der letzten Jahre, sechsmal mit dem César ausgezeichnet. Regisseur Dominik Moll folgt eindringlich und minutiös den Spuren eines Mordfalls in der Nähe Grenobles. Ein packender Thriller, der auf wahren Begebenheiten beruht und in dem nicht der Täter, sondern Opfer, Beteiligte und Ermittler im Fokus stehen.
La nuit du 12
Mord bleibt Mord. Und in Frankreich werden rund 20 Prozent der Fälle nicht gelöst, so auch nicht die Mordnacht vom 12. Oktober.
La nuit du 12 | Synopsis
Eine Kleinstadt am Fusse der französischen Alpen, es ist die Nacht des 12. Oktober: Ein Mädchen ist allein auf dem Heimweg von einer Party. Als sie einem Mann begegnet, der sie mit Benzin übergiesst, anzündet und bei lebendigem Leib verbrennen lässt. Jeder Kriminalbeamte stösst irgendwann auf ein Verbrechen, das ihm keine Ruhe lässt. Für Yohan ist es dieser Mord an Clara. Mit seinem Kollegen Marceau ermittelt er Männer, die mit Clara ein Verhältnis hatten. Sie alle könnten es gewesen sein. Es waren Beziehungen voller Missgunst, Besitzdenken oder Gleichgültigkeit. Den beiden Kommissaren eröffnet sich ein Panorama der Abgründe …
La nuit du 12
Eine Rezension von Rolf Breiner
Frankreich, 2016: In der Nacht des 12. Oktober machte sich Clara (Lula Cotton-Frapier) nach einer Party auf den Heimweg. In einer Parkanlage der Industriestadt Saint-Jean-de-Maurienne kreuzt ein Unbekannter ihren Weg, übergiesst sie mit Benzin und zündet sie an. Dieser Fall ruft die Mordkommission von Grenoble auf den Plan. Die Kriminalbeamten machen sich an die Arbeit, allen voran der junge Kommissar Yohan (Bastien Bouillon) und sein älterer Kollege Marceau (Bouili Lanners). Verwandte und Bekannten werden befragt, die erschütternden Eltern (Charline Paul, Matthieu Rozé), die beste Freundin Nanie (Pauline Serieys), der Lebensgefährte Wesley (Baptiste Perais) und der Klettercoach Jules, zu dem Clara vermeintlich eine weitere Beziehung hatte. Leben und Umfeld des Opfers werden durchleuchtet, infrage gestellt, doch alle Ermittlungen führen ins Leere.
Schwere Hypothek
Wie eine Narbe oder schwere ungelöschte Hypothek begleitet dieser Mordfall den ermittelnden Kriminalbeamten Yohan und lässt ihn nicht mehr los. Er nimmt ihn persönlich, verbohrt sich, verzweifelt schier. Die junge Kollegin Nadia (Mouna Soualem) gibt neue Impulse, bestärkt Yohan, den Velofan. Doch wie bei den Runden, die er im Velodrom Eybens bei Grenoble dreht, bewegt sich auch seine Arbeit im Kreis. Drei Jahre später – Kollege Marceau hat verbittert den Dienst quittiert – lässt eine engagierte Richterin (Anouk Grinberg) den Fall Clara nochmals aufrollen. Yohan schöpft neue Hoffnung – auch auf dem Velo. Am Ende folgt er dem Rat eines Freundes und bewegt sich nun in freier Natur, strampelt die Passstrassen hoch zum Col de la Croix de Fer.
Was geht in den Männern vor?
Regisseur Dominik Moll («Lemming», «La Haine), Sohn eines deutschen Vaters und einer französischen Mutter, liess sich vom Sachbuch «18.3. – Une Année à l PJ» inspirieren. Die Autorin Pauline Guéna hatte darin ihre Recherchen bei der Kripo von Versailles verarbeitet, hatte über den Alltag, die Routine, Belastungen und menschliche Dramen berichtet – auf über 500 Seiten. Filmer Moll hat einen Fall herausgepickt: «Pauline Guéna berichtet, wie dieser Fall einem der Ermittler besonders nahegeht. Diese fast intime Beziehung zu einem Verbrechen ist genau das, was mich interessiert hat. Die Geschichte liess mich nicht mehr los, so wie der Tod der jungen Frau auch Yohan nicht loslässt.» Dominik Moll zieht eigene Folgerungen: «Zahlreiche Delikte sind Fälle von männlicher Gewalt gegenüber Frauen … Die Kriminalpolizei, die diese Gewalt bekämpfen soll, ist fast ausschliesslich männlich. Selbst wenn in Filmen und Serien auf lobenswerte Weise immer mehr Ermittlerinnen gezeigt werden, ist es in Wirklichkeit bisher nach wie vor eine Männerwelt. Was geht im Kopf dieser Männer vor, die Verbrechen an Frauen untersuchen, die ihre Töchter, Lebensgefährtinnen, Freundinnen oder Schwestern sein könnten? Wie betrachte sie die Verdächtigen? Und die Opfer?»
Fazit: «La nuit du 12» folgt nicht den gängigen Krimispuren, nimmt nicht nur den Täter ins Visier, sondern auch die betroffenen Menschen – vom Mordopfer bis zu den Angehörigen und den fahndenden Kriminalbeamten. Der Spielfilm hat geradezu dokumentarischen Charakter. Es geht um Gewalt und Ohnmacht, um Beziehungen zwischen Männern und Frauen. Eingetaucht in eine düstere Atmosphäre fesselt der Film durch seine Eindrücklichkeit, innere Dynamik und Beseeltheit. Doch erlaubt dieser einzigartige Thriller am Ende kleine Lichtblicke.