Dieses Drama zwischen Mutter und Sohn bringt die Ur-Gefühle und Ängste so manches Kindes auf die Leinwand – ohne falsche Scham.
Kino | J'ai tué ma mère
Synopsis: Der 17- jährige Hubert (Xavier Dolan) lebt allein mit seiner Mutter (Anne Dorval), die ihn neuerdings nur noch irritiert: ihre Art zu essen nervt ihn; dass sie sich beim Autofahren schminkt, nicht richtig zuhört, und, und, und. Die verletzenden Wortgefechte häufen sich, und als Hubert in der Schule erzählt, seine Mutter sei gestorben, spitzt sich die Lage ins Unerträgliche zu. Bei der nächsten Eskalation holt seine Mutter Huberts Vater zu Hilfe, und sie stecken Hubert kurzerhand ins Internat; doch dieser kann und will seine Mutter nicht vergessen. Stars: Xavier Dolan («Martyrs» 2008) drückt seine und vieler junger Menschen Ängste in der Rolle von Hubert aus und erweckt gleichzeitig die filmische Poesie. Anne Dorval («La vie secrète des gens heureux» 2006) macht die Ambivalenz der Mutterfigur fassbar. Regie & Crew: Mit «J’ai tué ma mère» realisiert der junge Regisseur und Schauspieler Xavier Dolan seinen ersten Spielfilm und haut das Publikum aus den Sesseln.
art-tv-Wertung: Es gibt sie noch, die einsam wandernden James Dean-Figuren; die ewig nach Mutterliebe dürstenden, empfindsamen Poeten! Xavier Dolan stösst den unterdrückten Schrei aus; den Schrei vergessener und verwundeter Herzen liebender Söhne. Ohne Scheu setzt er mitten im Konflikt an und lässt den Zuschauer die Treffsicherheit der vergifteten Pfeile spüren, die Mutter und Sohn aufeinander abfeuern. Das Drama ist krass und gleichzeitig ein klarer Ruf nach Echtheit und Wahrheit in unseren engsten Beziehungen – in unserer Familie. Xavier Dolan führt den Zuschauer mit seiner eigenen und sehr stilsicheren Filmsprache zur gewollten Gefühlstiefe. Bezüge zur Filmgeschichte werden bewusst eingesetzt: die James Dean- und River Phoenix- Poster fehlen nicht an der Wand; die Mutter meint, als sie Huberts homosexuelle Neigung entdeckt, er habe in Titanic jeweils Di Caprio angehimmelt – und so ist er selbst der dichterisch träumende, sensible Jüngling! Diese selbstreflexive und gleichsam verspielte Ader ist denn auch, was den Film zu einem ungewohnten reifen Werk macht. Fazit: Wer es noch nicht wusste: James Dean ist auferstanden – und zwar in Kanada! Xavier Dolan stellt die ungemütliche Frage nach der wahren Mutterliebe.
Isabel Rohr