Sam Garbarski hat ein Werk geschaffen, das den Spagat zwischen herzergreifender Tragik und erfrischender Komik grossartig zu meistern vermag.
Irina Palm
- Publiziert am 21. Juni 2007
Synopsis: Der todkranke Enkel Maggies (Olly) könnte nur noch durch eine medizinische Spezialbehandlung gerettet werden. Dafür müsste man ihn eigens von England nach Australien fliegen. Die finanziellen Mittel seiner Familie sind allerdings erschöpft. Selbst das Haus wurde bereits verkauft, um die horrenden Krankenhausrechnungen begleichen zu können. Maggie gibt aber nicht auf und unternimmt alles, um ihrem Sohn Tom und dessen Frau zu helfen. Während die Eltern sich der Pflege und Zuneigung im Spital hingeben, stolpert Maggie auf der Suche nach neuen Geldquellen naiv und unverblümt in den Londoner Club Sexy World mitten in Soho. Die anständige Witwe aus der Vorstadt wird von einem Schild mit der Aufschrift ‚Hostess gesucht’ angezogen und erlebt eine wahre Überraschung, als ihr der genaue Stellenbeschrieb geschildert wird. Trotzdem nimmt sie den Job an. Aus anfänglichem Ekel und ihrer Unerfahrenheit entwickelt sich schon nach kurzer Zeit ein wahres Talent. Das merkt auch ihr abgebrühter Chef Miki (Miki Manojlovic), der sie daraufhin zu Irina Palm macht. Halb London steht bei Maggie aka Irina Palm nun Schlange – das Geld fliesst und die Hoffnung erlebt eine wahre Wiederauferstehung. Maggies Metier lässt sich jedoch schlecht mit der antiquierten Einstellung des Umfeldes (Familie, Freunde, Nachbarn) vereinbaren. Die Enttarnung ist daher unvermeidlich und ziemlich rasch steht sie der Fratze spiessiger Scheinheiligkeit gegenüber. Doch am Ende obsiegt Maggie die parzellierte Einöde – und gewinnt mehr als die Liebe ihrer Familie…
Kritik: Der an der Berlinale 2007 mit dem Publikumspreis ausgezeichnete Arthouse-Film überzeugt auf der ganzen Linie. Sam Garbarski hat ein Werk geschaffen, das den Spagat zwischen herzergreifender Tragik und erfrischender Komik grossartig zu meistern vermag. Der Unterton ist sehr, sehr britisch und teilweise politisch alles andere als korrekt. Doch genau das macht den Film besonders: Am ersten Arbeitstag, d.h. bei der Einführung in das älteste Gewerbe der Welt, finden Aussagen wie: „The first time it is always hard. Afterwards, you wank for England!“ Oder: „My grandson is dying and I am wanking for life!“ den Weg über die Lippen. Des Kinogängers Schmunzeln wird aber jeweils rasch im Keim erstickt – mit einem gekonnten Kameraschwenk in Richtung schwerster Schicksalsschlag. Rührend, eindrücklich und optimal die entsprechende Stimmung untermauernd ist überdies die Filmmusik von GHINZU aus Brüssel. Sowohl dieser Band als auch sämtlichen Akteuren darf man durchaus eine Glanzleistung attestieren. Oder 10 Filmperlen zusprechen. (Cyril Schicker)
Bonusinfo: Der britischen Pop-Ikone Marianne Faithfull wurde mit der Protagonistin Maggie eine Traumrolle auf den Leib geschneidert. Faithfull, die schon vor der Linse von Gus van Sant, Sofia Coppola, Paul W.S. Anderson, Jean-Luc Godard etc. gestanden hat, absolvierte übrigens eine klassische Schauspielausbildung. Dem Film, indem sie immer wieder ihr künstlerisches Können aufblitzen lässt, kommt das nur zugute. Faithfulls absolute Präsenz vom ersten Moment an setzt dem cinéastischen Vergnügen schlussendlich die Krone auf. Faithfull verkörpert die mütterliche Fürsorge und Selbstlosigkeit perfekt – und das führt zu Gänsehaut.