Mit «Der Läufer» hat die Zürcher Produktionsfirma «Contrast Film» einmal mehr einen Film produziert, der für viel Gesprächsstoff sorgt. Ivan Madeo erzählt im arttv-Interview von seiner engen Zusammenarbeit mit der Regie und warum es in seiner Firma üblich ist, das Pferd beim Schwanz aufzuzäumen, aber auch, wieso er damals von der Werbung zur Filmbranche wechselte.
Interview | Produzent Ivan Madeo | Contrast Film
Ivan Madeo, Sie gehören zu den erfolgreichsten Schweizer Filmproduzenten. Verraten Sie uns Ihr Erfolgsrezept?
Ivan Madeo (lacht): Finanziell gesehen sind wir so erfolgreich leider nicht. Aber wir gehören vielleicht zu den Mutigeren, deren Filme eher mal für Gesprächsstoff sorgen.
Immerhin ging Ihre Firma bereits zwei Mal ins Oscar-Rennen, war einmal sogar Oscar-nominiert und Sie wurden für die Golden Globes qualifiziert. Aber auch rein persönlich gesprochen: Der von Ihnen produzierte Film «Der Kreis» zählt zu meinen absoluten Lieblingsfilmen. Was braucht es, um Filme zu produzieren, die derart berühren?
Ehrlich gesagt, weiss ich das nicht. Ich weiss nur, dass wir in unserem Beruf vollkommen aufgehen und bei jedem unserer Filme wie die Löwen dafür kämpfen, dass er gelingt. Wobei unser Anliegen jeweils nicht nur diesem einzelnen Film gilt, sondern ebenso der Karriereentwicklung der jeweiligen Regisseurin oder des jeweiligen Regisseurs. Bevor wir in ein Projekt einsteigen, überlegen Stefan, Urs und ich uns sehr genau: Was können wir mit unseren Fähigkeiten an Mehrwert einbringen, so dass eine Regisseurin oder ein Regisseur sich mit dem geplanten Werk einen kleinen Schritt weiter entwickelt? So dass also beispielsweise Stefan Haupt nach «Der Kreis» ein anderer Stefan Haupt ist als davor. Er war ja bereits ein arrivierter Regisseur, trotzdem war es unser Ziel und ein bewusster geschäftlicher Entscheid, Stefan Haupt mit «Der Kreis» in eine neue Regie-Liga hinauf zu katapultieren – und uns als Contrast Film natürlich mit ihm.
Ein hehres Ziel – doch wie gehen Sie vor, um ein solches dann auch zu erreichen?
Das ist bei jedem Projekt anders, aber sicher sind wir sehr lange und stark invasiv bei der präzisen Themendefinition des Films und der Drehbuchentwicklung mit dabei. Wir können nur einen überzeugenden Film nach aussen vertreten, und das Drehbuch ist eins der wichtigsten Elemente des Film-Packages. Wir wissen, dass gewisse Autor*innen das gut finden, andere hingegen hassen es. Deshalb sprechen wir diesen Punkt, also unseren Arbeitsstil, von Anfang an offen an. Wenn wir sehen, dass jemand so nicht arbeiten möchte, dann ist das kein Problem. Aber dann muss man akzeptieren, dass wir eben das falsche Team sind und ein anderer Produzent mit einem anderen Arbeitsstil der idealere Partner wäre.
Ihren Mehrwert sehen Sie hauptsächlich auf der Drehbuchseite?
Das eigentlich Wichtige beginnt für uns noch vor dem Drehbuch: Wir überlegen uns lange, wie wir ein Thema besetzen. Wir sagen uns und unseren Mitarbeitern jeweils: «We are not trying to make movies, we are trying to make people talk about movies.» – Auf Englisch verstehen das die Leute immer besser… (lacht) – Aber darum geht es uns: Wir wollen mit unseren Filmen ganz konkrete Diskussionen auslösen. Die Thematik von der gleichgeschlechtlichen Ehe war nie so gross in den Medien präsent wie dann, als wir «Der Kreis» herausbrachten. Die Rolle der Schweiz und des Isolationismus in Europa wurde nie so breit diskutiert wie nach der Weltpremiere von «Heimatland» in Locarno. In unseren ersten Begegnungen mit einer Regisseurin oder einem Regisseur geht es also stets darum, herauszufinden, ob wir uns einig werden über die Diskussion, die wir auslösen wollen, wenn der Film herauskommt. Und mit diesem Schlussziel vor Augen werden die Tausenden von Fragen im Verlaufe der Filmentwicklung und -entstehung wie automatisch beantwortet: Wie muss der Film gestaltet sein? Um welches Genre handelt es sich? Mit welchen Schauspieler*innen soll er besetzt werden?
Diese sehr konzeptionelle Vorgehensweise erinnert an Ihre berufliche Herkunft: Sowohl Sie selber wie auch einer Ihrer Produktionspartner, Urs Frey, waren jahrelang in der Werbung tätig, bevor Sie zusammen die «Contrast Film» gründeten.
Es kann tatsächlich sein, dass wir das in der Werbung gelernt haben, schon im voraus ein Paket zu schnüren und uns die Marketing-Ebene zu überlegen. Auch wenn das nun blöd tönen mag, da es uns natürlich um sehr viel mehr geht, als um Marketing und Verkaufszahlen. Deshalb sind wir ja damals von der Werbung weg und hin zum Film: Weil wir Themen sehen, die uns als Privatpersonen am Herzen liegen und denen wir mit engagierten Filmen eine Visibilität geben möchten.
Und wie sind Sie darauf gekommen, der Psyche eines Serientäters Visibilität geben zu wollen, wie es bei Ihrem jüngsten Film «Der Läufer» der Fall ist?
Die Geschichte basiert auf einem wahren Kriminalfall, der sich um die Jahrtausendwende in Bern ereignete. Stefan Eichenberger, unser dritter Contrast-Partner, hat den Fall damals persönlich miterlebt. Zum einen, weil er selber aus Bern ist und seine Schwestern sich in dieser Zeit nicht mehr aus dem Haus trauten – zum anderen war Stefan früher selbst Laufsportler und hat sogar zusammen mit dem Täter an Wettläufen teilgenommen. Die ganze Geschichte hat ihn deshalb sehr aufgewühlt. Er war es, der 2012 dem Regisseur Hannes Baumgartner das Thema vorschlug. Er kannte Hannes von der Filmschule und wusste, dass die Thematik zu ihm passen würde, da Hannes sich immer wieder in seinen Filmen mit jungen Männern in Verzweiflungssituationen befasst.
Welches ist für Sie der wichtigste Input, den Sie als Produzenten Hannes Baumgartner für diesen Film geben konnten?
Dass wir es schafften, einen Film zu realisieren, der die Komplexität der Situation aufzeigt: diese Hilflosigkeit auf beiden Seiten, vom Täter und von den Opfern – und vom Täter, der ja eigentlich selber auch ein Opfer ist. Das war eine ganz bewusste Entscheidung, die wir mit Hannes ganz zu Beginn unserer Zusammenarbeit getroffen haben: Wir wollten einen beobachtenden Film realisieren, der urteilsfrei alle Informationen auf den Tisch legt, so dass die Zuschauenden selber entscheiden, ob sie mit dem Protagonisten mitfühlen oder ihn hassen. Wir wollten diese Verantwortung also ganz und gar dem Publikum überlassen, das war unser Ziel. Nur – wie schafft man so etwas? Es gilt, bei jeder kleinsten kreativen Entscheidung die richtige Haltung zu suchen. Also beispielsweise möglichst wenige filmische Mittel zu nutzen, die die Zuschauenden in die eine oder andere Interpretationsrichtung beeinflussen. Darum fanden wir es auch super, dass Hannes als logische Konsequenz komplett auf Score-Musik verzichten wollte. Weil Musik ja automatisch die Emotionen steuert. Unsere wichtigste Aufgabe als Produzenten bestand darin, Hannes manchmal zu pushen, damit er wirklich bis an die Grenzen der möglichen und gewünschten Emotionalität ging – und ihn andere Male aber auch wieder zurückzuholen, wenn wir das Gefühl hatten, dass er zu weit gegangen war.
Was war für Sie das Schwierigste an der Produktion dieses Filmes?
Ganz klar die Finanzierung, da wir bis zum Schluss nicht wussten, ob wir den Film überhaupt realisieren können, zumal uns mit dem BAK einer der drei wichtigen Grundpfeiler der Schweizer Filmfinanzierung fehlte. Wir hatten bereits die Zusagen von unseren hervorragenden Schauspieler*innen und einer Top-Crew, aber wir konnten von denen ja nicht verlangen, dass sie gratis arbeiteten. Eine solche Situation zerrt schon recht an den Nerven.
Und wie haben Sie es trotzdem geschafft?
Einerseits sind uns die anderen Förderer entgegen gekommen, indem sie uns eine äusserst freundliche Nachfinanzierung gewährten. Zum anderen sind wir selber ein unternehmerisches Grossrisiko eingegangen, indem wir alle Gelder, die wir aus dem Erfolg von «Heimatland» und von «Der Kreis» noch hatten, in dieses neue Projekt investierten – so dass wir nun komplett blank sind. Trotzdem konnten wir nicht anders, wir waren zu weit fortgeschritten, um einfach alles liegenzulassen. Die ganze Produktionsphase hat aufgrund dieser Schwierigkeiten auch 1,5 Jahre länger gedauert, als ursprünglich geplant. Aber im Nachhinein gesehen ist es eigentlich ganz gut, dass der Film nicht schon vor zwei Jahren herausgekommen ist.
Warum?
Weil wir in Bezug auf das Thema Männlichkeit und Gewalt, Männer und ihr Umgang mit Emotionen heute an einem ganz anderen Punkt stehen als noch vor zwei Jahren. Die #MeToo-Debatte über die Häufigkeit sexueller Belästigung hat die Problematik viel mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Obwohl die Diskussion anfänglich recht einseitig geführt wurde, fand ich es gut und wichtig, dass immer mehr über das «Mann-/Frau-Sein» und die damit verbundenen Rollenbilder geredet wurde. Auch Hannes und seinem Co-Autoren Stefan Staub ist diese Thematik beim Drehbuchschreiben in der Folge zunehmend wichtiger geworden. Weil ihnen bewusst wurde, dass dieser Fall eben nur einer von Vielen ist, wo ein Mann den Boden unter den Füssen verliert und dann in die Kriminalitätsspirale reinrutscht.
Das ist es, was wir mit diesem Film auslösen möchten: den Diskurs über Männer und ihre Unfähigkeit im Umgang mit Emotionen. Es ist eine Tatsache, dass die meisten Männer ihre Gefühle immer noch unterdrücken – so dass diese irgendwann unkontrolliert aus ihnen herausbrechen. Wenn es uns gelingt, mit «Der Läufer» einen offenen Diskurs zu entfachen, ohne eben weder in eine Vorwurfs- noch in eine Verteidigungshaltung zu geraten, dann haben wir unser Ziel erreicht.
Interview: Silvana Ceschi
Contrast Film
Die im Jahr 2009 gegründete Produktionsfirma mit Niederlassungen in Zürich und Bern wird von Ivan Madeo, Stefan Eichenberger, und Urs Frey geleitet. Gemeinsam entwickeln und produzieren die drei Inhaber Filme mit Fokus auf eine internationale Auswertung. Die bisherigen Filme der drei Produzenten werden von über 300 Festivals selektioniert, gewinnen über 70 internationale Preise und sind zweimal im Rennen um einen Oscar und einmal um einen Golden Globe. Auch der neuste Contrast-Spielfilm «Der Läufer» unter der Regie von Hannes Baumgartner feiert seine Weltpremiere an einem A-Festival, am San Sebastian International Film Festival 2018. Nahezu gleichzeitig mit der Schweiz-Premiere am Zurich Film Festival 2018 startet der Film schweizweit im Kino.