Felix Hergert und Dominik Zietlow sprechen im Interview zu ihrem Film BRUNAUPARK darüber, dass das Politische in ihren persönlichen Geschichten immer eine Rolle gespielt hat. Sie haben die Wohnungskrise und die damit einhergehende Verdrängung in Zürich selbst miterlebt. Und sie geben einen Einblick, wie es ihnen bei dem vielen Filmmaterial gelungen ist, beim Schnitt nicht durchzudrehen.
Interview Felix Hergert und Dominik Zietlow | BRUNAUPARK
- Publiziert am 28. August 2024
Mit Felix Hergert und Dominik Zietlow sprach Geri Krebs
arttv.ch: In Zürich ist die Geschichte der Siedlung Brunaupark nicht ganz unbekannt. 2019, als die Öffentlichkeit erfuhr, dass die Mieter:innen von 239 Wohnungen einem Neubauprojekt weichen müssen, war das Thema ein medialer Dauerbrenner. Würden Sie vor diesem Hintergrund BRUNAUPARK eher als politischen Interventionsfilm oder eher als künstlerischen Essayfilm charakterisieren?
Felix Hergert: Ich verstehe BRUNAUPARK in erster Linie als künstlerischen Essayfilm – aber einen, bei dem der politische Widerstand durchschimmert. Das Politische sollte in den Bildern sichtbar und spürbar sein, sich aber nicht aufdrängen. Das sieht man etwa darin, wie diese Community hier im Brunaupark durch die herrschenden Machtverhältnisse politisch fremdbestimmt wird und wie sie innerhalb dieser Wohnungskrise agiert. Unsere Antwort darauf ist aber klar eine künstlerische.
Dominik Zietlow: Ich kann das nur unterstützen. Wir haben bewusst nicht nur eine essayistische, sondern manchmal auch eine lyrische Form für unseren Film gewählt, die aber das Politische unterstützen soll. Ich denke etwa an die Szenen mit der Natur, mit dem Wind oder die Art und Weise, wie wir auch die Gebäude als Protagonist:innen erscheinen lassen.
Ihre Herkunft als Filmemacher ist ja leicht unterschiedlich. Sie, Felix Hergert, haben schon Kurzfilme zu politischen Themen realisiert. Sie, Dominik Zietlow, sind neben Ihrer Tätigkeit als Regisseur auch im Kunstbereich tätig, etwa mit Videoinstallationen. Spielte dieser Unterschied für Ihren ersten gemeinsamen Langfilm eine Rolle?
FH: Also, wir haben ja beide an der ZHdK studiert. Aber es stimmt, ich habe 2021 einen Kurzfilm über einen jugendlichen Asylbewerber realisiert, MUSSIES ZIMMER. Aber auch dort hat, wie in BRUNAUPARK, die Zeit eine entscheidende Rolle gespielt. Das heisst, mich interessierte, wie stark sich eine Figur durch die Zeit wandelt.
DZ: Das Politische spielte bei uns beiden in unserer persönlichen Geschichte immer eine Rolle. Dies allein schon dadurch, dass wir beide die Wohnungskrise und die damit einhergehende Verdrängung selbst erlebt haben. Felix hat 8 Jahre lang in Zürich an der Weststrasse gewohnt und hat die dortige Gentrifizierung sehr direkt mitbekommen. Und was mich betrifft: Ich musste innerhalb von Zürich immer wieder umziehen – und heute lebe ich in Frankreich.
Die Wohnungsknappheit in Zürich und auch in anderen Schweizer Städten ist ja schon seit einigen Jahren so akut wie noch nie. Dennoch steht Ihr Film thematisch eigentlich ziemlich allein da im jüngeren Schweizer Dokumentarfilmschaffen. Haben Sie eine Erklärung dafür?
FH: Nun, es gab 2020 immerhin den Film KLEINE HEIMAT von Hans Haldimann. Aber ja, sonst fällt mir kein weiterer Film aus den letzten Jahren zu diesem Thema ein. Uns hat das auch erstaunt, als wir mit den Arbeiten zu unserem Film begannen. Es gab zwar diesen Medienhype um den Brunaupark während einiger Monate, aber Wohnungsnot existierte ja damals bereits seit vielen Jahren. Aber wie eingangs erwähnt, wir wollten ja nicht mitmachen bei diesem ganzen Hype. Wir sind ja erst auf die Leute in der Siedlung zugegangen, als die Medienmeute wieder abgezogen war, wenn ich das mal so plump sagen darf. Und es hat dann seine Zeit gebraucht, wir wollten ja erst mal eine Vertrauensbasis mit den Bewohner:innen der Siedlung schaffen.
Bei der Weltpremiere von BRUNAUPARK am Festival Visions du Réel in Nyon sagten Sie, Dominik Zietlow, Sie hätten am Ende so viel Material gehabt, dass Sie Angst hatten, irgendwann durchzudrehen. Wie haben Sie es schliesslich geschafft, dass das nicht passierte?
DZ: Wir haben über einen Zeitraum von fast drei Jahren, von Sommer 2020 bis Frühling 2023, immer wieder hier im Brunaupark gedreht. Dabei haben wir uns schon früh darauf geeinigt, dass wir geografisch nicht über diesen klar begrenzten Raum hinausgehen. Mit der Zeit wurde es dann immer schwieriger, die Bilder zu kreieren, die wir wollten: Immer wieder neue Winkel und Perspektiven zu erproben und innerhalb dieser Langsamkeit Möglichkeiten, Lösungen und Erzählstränge zu finden – und dabei aber immer wieder auf Zufälligkeiten und neue Begegnungen adäquat zu reagieren.
FH: Im Sommer 2022 haben wir deshalb während dreier Monate hier ein Zimmer gemietet. Das war zu einer Zeit, als schon viele Wohnungen von den bisherigen Mieter:innen verlassen worden waren und über die Zwischennutzungsfirma Room Estate Agentur befristet vermietet wurden – was man ja auch im Film sieht. Wir wurden dann ein Teil der Community und das war dann oftmals sehr nahe, manchmal zu nahe.
Stichwort: Bilder kreieren. Wie weit sind Sie da gegangen, was inszenierte Momente betrifft? Ich denke da etwa an die Opernsängerin, die ja auch auf dem Filmplakat zu sehen ist …
(Beide denken einen Moment lang nach und sind sich uneinig, wer antworten soll.) FH: Ich glaube, dass alle Figuren im Film unsere Art zu drehen mitgeprägt haben. Das heisst, wir haben immer versucht, unseren Protagonist:innen in einer Form von Komplizenschaft zu begegnen. Bei Frau Studer, der Opernsängerin, war es schon von Beginn weg so, dass sie den Hof und die unterschiedlichen Räume des Brunauparks als Probebühne nutzte – schon bevor wir kamen. Sie hat uns auch immer gesagt, dass ihr Umgang mit dieser Situation nicht ein explizit politischer, sondern eben der Gesang sei. Sie verstand diese Auftritte denn auch als ihren eigenen Beitrag zum Kampf gegen die Verdrängung. Wir haben nach vielen Telefonaten die Lieder und Songtexte mit ihr zusammen ausgewählt. So gesehen war das schon eine inszenierte Form. Und ganz auf der anderen Seite, auf der einer reinen Beobachtung, stand Ciccio, der ehemalige Restaurantbetreiber, der uns sagte: Ihr seid meine Gäste und ihr dürft bei mir jederzeit und alles filmen, was ihr wollt.
Wie sieht es eigentlich aktuell bezüglich des ganzen Bauprojektes aus?
DZ: Es hat sich grundsätzlich nicht viel geändert. Vereinfacht gesagt ist es so: Das erste Bauprojekt und damit auch der Abbruch der drei Wohnblöcke ist immer noch durch einen beim Bundesgericht hängigen Rekurs blockiert, einen anderen hat das Verwaltungsgericht abgelehnt und die Credit Suisse Pensionskasse hat das Urteil angefochten und es liegt nun ebenfalls beim Bundesgericht. Es bleibt also momentan unklar, wann und ob das definitive Aus für die Bewohner:innen des Brunauparks kommt.