Céleste Brunnquell spricht im Interview über ihre Erfahrungen als junge Schauspielerin. Sie verrät uns, warum sie Geschichten über Adoleszenz interessieren und dass sie bald auch auf der Bühne zu sehen sein wird, in der Geschichte eines Mannes, der AIDS hat, bald sterben wird und seine Familie trifft, die er seit Jahren nicht mehr gesehen hat.
Interview Céleste Brunnquell | LA FILLE DE SON PÈRE
- Publiziert am 27. Mai 2024
«Für mich als junge Schauspielerin ist es eine unglaubliche Chance, mit Erwans Le Duc zu arbeiten und erst noch so viel Spass daran zu haben.»
LA FILLE DE SON PÈRE | Synopsis
Etienne ist zwanzig Jahre alt, als er Valérie kennenlernt. Es ist Liebe auf den ersten Blick; die Geburt von Rosa folgt. Als Valérie die beiden verlässt, beschliesst Etienne, keine grosse Sache daraus zu machen. Etienne, der sein Auskommen als Amateurfussballtrainer bestreitet, zieht seine Tochter allein auf. Es ist ungewöhnlich, auf welcher Augenhöhe sie sich begegnen und ohne Tabu über alle Themen sprechen können. Sie sind glücklich, bis die 17-jährige Rosa an die Kunstschule in Metz zugelassen wird und das Nest verlassen muss. Eine schwierige Trennung, die die Vergangenheit wieder aufleben lässt.
Mit Schauspielerin Céleste Brunnquell sprach Kim Figuerola
Seit der Weltpremiere von LA FILLE DE SON PÈRE, die am 24. Mai 2023 die Kritikerwoche in Cannes abschloss, haben Sie sicher eine Vielzahl von Interviews geführt. Hatten Sie zwischenzeitlich eine Pause?
Ja, während des ganzen letzten Sommers. Aber seit Oktober sind wir wieder auf Festivals in Frankreich, aber auch international unterwegs.
Als Erwan Le Duc Ihnen die Rolle der Rosa anbot, was hat Sie am Drehbuch gereizt?
Ich hatte bereits eine Vorstellung von Erwan Le Ducs filmischer Welt, da mir PERDRIX sehr gut gefallen hatte. Jede Szene in LA FILLE DE SON SÈRE PÈRE hat etwas sehr Neues und Überraschendes. Es ist ein Film, in dem alle Charaktere ihren Platz haben. Während der Dreharbeiten brachte jede Schauspielerin und jeder Schauspieler etwas aus ihrer/seiner Welt mit. Was mich auch interessierte, war, dass ich mich in jeder Figur ein wenig wiederfinden konnte, nicht nur in Rosa. Für mich als junge Schauspielerin ist es eine unglaubliche Chance, mit Erwans Le Duc zu arbeiten und erst noch so viel Spass daran zu haben. Das Drehbuch hat mich angesprochen, weil es von der Adoleszenz erzählt und dem Moment, wo man in andere Welten aufbricht.
Der Wendepunkt in unserem Leben, an dem wir das Familiennest verlassen müssen?
Ja genau, wir sprechen nicht wirklich oft darüber. Dieser Schritt ist aber für einige ein grosses Drama. Das war es, was ich interessant fand. Und Rosa macht die Dinge wirklich auf ihre eigene Art und Weise. Aus diesem Grund wollte ich sie verkörpern.
Obwohl der Film eine leichtfüssige Komödie mit einer gewissen unterschwelligen Dramatik ist, scheint es mir, dass es kaum Raum für Improvisation gab. Die Dialoge sind sehr präzise, poetisch und eigenwillig, was dem Film eine gewisse Theatralik verleiht.
Nein, es gab keinen Raum für Improvisation, denn Erwan hatte ein sehr präzises Drehbuch geschrieben, da die Dialoge einen wichtigen Teil seiner eigenen Erfahrungen ausmachen. Aber er kann sich auch wieder vom Drehbuch lösen. Wenn es Szenen gab, bei denen wir nicht ganz verstanden, was er wollte, konnten wir das vor dem Dreh besprechen. Erwan liess uns und unseren Gefühlen viel Raum. Manchmal konnten wir am Drehtag selbst, wenn etwas nicht funktionierte, mit ihm zusammen die Szenen neu erfinden. Die Version des Drehbuchs, die wir auswendig gelernt hatten, wurde über Bord geworfen und wir konnten Risiken eingehen.
Um bestimmten Formen von Authentizität und Freiheit so nahe wie möglich zu kommen?
Ja. Damit sich die Szenen möglichst an reale Situationen anpassen. Um nicht nur in der Fantasie eines Films zu existieren.
Wenn ich mich auf die theatralische Dimension des Films beziehe, dann deshalb, weil er mich ans Theater erinnert. Sie haben eine Ausbildung als Theaterschauspielerin.
Ja, aber das war sehr amateurhaft. Ich war noch ein Teenager. Ich hatte nicht wirklich eine professionelle Ausbildung. Aber so habe ich über das Theater dennoch gelernt, Texte zu lesen. Ich spielte bisher nicht sehr oft auf Bühnen, es ist eine ganz andere Art, präsent zu sein.
Ich fand Sie wirklich bemerkenswert in der Arte-Fernsehserie EN THÉRAPIE von Éric Toledano und Olivier Nakache. Ich finde, dass Camilles Familiengeschichte wie ein umgekehrter Spiegel der Geschichte von Rosa ist. Was die Serie und den Film jedoch verbindet, ist Ihre Rolle als Teenager. Woher kommen diese Reife und diese Form der Klarheit, die Sie in den Filmen ausstrahlen?
Danke! EN THÉRAPIE war mein zweites Projekt. Ich kam an und hatte nur meinen Text gelernt. Dank Pierre Salvadori, der die Teile der Figur Camille inszenierte, gab es einen echten Austausch. In LA FILLE DE SON SON PÈRE habe ich versucht, seinen Standpunkt zu verstehen und mich seiner Sensibilität zu nähern. Ich hatte das Glück, Filme zu machen, in denen ich mich wirklich hingeben konnte. Ich intellektualisiere diesen Prozess nicht. Ich bin einfach total porös. Ich denke nicht wirklich über das Bild nach, das ich wiedergebe. Die Vorstellung, live mit einem Bild von sich selbst zu spielen, wäre für mich unerträglich. Das würde mir zu viel Schmerz bereiten.
In einem Interview sagten Sie, dass Sie den Soundtrack zu Jacques Demys DEMOISELLES DE ROCHEFORT und PEAU D’ÂNE lieben. Würden Sie gerne in einem Musical mitspielen? Denn im Film hätte ich fast gesehen, wie Etienne und Rosa zeitweise singen und tanzen.
[Lacht]. Das würde ich sehr gerne, ja! Gerade weil wir mit dem Körper gearbeitet haben. Das interessiert mich zutiefst. Ein Grossteil meiner Arbeit im Vorfeld hatte mehr mit dem Körper als mit dem Text zu tun. Es gibt viele Regisseure, die diesen wesentlichen Teil vergessen und das Filmset nicht als einen Raum betrachten, in dem wir auch durch den Körper Dinge erzählen können. Aber ja, ein Musical wäre toll! Ich würde konkretere Dinge lernen, Bewegungen, die klarer choreografiert sind, mit einem echten Ensemblegeist.
Welche Projekte haben Sie derzeit?
Es gibt den Film EN ATTENDANT LA NUIT, der zurzeit auf Festivals gezeigt wird. Es gibt den Film MARIA von Jessica Palud, der nach dem Buch von Vanessa Schneider gedreht wurde. Ausserdem Antoine Raimbaults UNE AFFAIRE DE PRINCIPE. Im nächsten Jahr werde ich auch Theater spielen. In dem Stück von Jean-Luc Lagarce JUSTE LA FIN DU MONDE. Er hat einen Sprachstil, der dem unmittelbaren Denken sehr nahe kommt, dem Denken, das sich aufbaut. Es ist nicht wirklich Nouveau Roman, aber es ist spontan und impulsiv. Der Text widerspricht sich selbst. Er bewegt sich einfach so vorwärts, tastend. Er ist sehr schön. Es ist die Geschichte eines Mannes, der AIDS hat, bald sterben wird und seine Familie trifft, die er seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Er möchte ihnen die Nachricht überbringen. Aber er wird es nicht tun. Die Familie hat sich viel zu sagen, im Schmerz und in der Liebe. Ich spiele seine kleine Schwester.
Wo jeder in seiner Einsamkeit bleibt, allein mit dem Leiden und dem Gedanken an den Tod.
Genau! Ich habe noch nie ein so realistisches Stück gesehen, das in seinen ungefilterten Dialogen so weit geht, so dass man aus Scham mit dem Sprechen aufhören will. Das Stück ist voller Schichten und Unterschichten, die mit Groll und Liebe gefüllt sind. Es ist unglaublich, das im Theater zu erleben.
Vielen Dank für das Gespräch