Andres Veiel hat schon viele kontroverse und nicht weniger wichtige Filme realisiert. In seinem neusten Werk setzt er sich mit Leni Riefenstahl auseinander. Im Interview erzählt er, was die Legendenbildung um seinen Grossvater mit seinem neusten Film zu tun hat und warum er auf eine warnende Stimme verzichtete und stattdessen darauf vertraut hat, dass Riefenstahl ganz aus sich selber ihre Lügen entlarvt.
Interview Andres Veiel | RIEFENSTAHL
- Publiziert am 14. Oktober 2024
«Die Tatsache, dass Leni Riefenstahl lügt, ist bekannt. Sie war ideologisch eingebunden in dieses Regime.»
Zum Regisseur
Andres Veiels Arbeitsweise zeichnet sich durch eine intensive, zum Teil mehrjährige Recherche aus. Im Laufe seines künstlerischen Schaffens wurde er für seine Dokumentar- und Spielfilme, für seine Theaterinszenierungen und seine Autorentätigkeit mit weit über 50 Auszeichnungen geehrt, darunter der Europäische Filmpreis, mehrere Deutsche Filmpreise, der Grimme-Preis und das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Grössere Bekanntheit erlangte Andres Veiel mit seinem Kinodokumentarfilm BLACK BOX BRD (2001), in dem er die Biografien des Bankmanagers Alfred Herrhausen und des RAF-Terroristen Wolfgang Grams gegenüberstellt, sowie dem Kinospielfilm WER WENN NICHT WIR (2010) über die Vorgeschichte der RAF, der seine Premiere im Wettbewerb der Berlinale feierte und dort mit dem Alfred-Bauer-Preis ausgezeichnet wurde. Bereits während seines Psychologiestudiums im West-Berlin der 1980er-Jahre absolvierte Veiel eine Regie-und Dramaturgieausbildung bei Krzysztof Kieślowski. An seinen ersten abendfüllenden Dokumentarfilm WINTERNACHTSTRAUM (1992) schliesst sich der unter anderem mit dem Friedenspreis der Internationalen Filmfestspiele in Berlin sowie dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnete Dokumentarfilm BALAGAN (1993) an, mit dem er seine Arbeit am Theater mit der filmischen Arbeit verbindet – ein weiterer roter Faden, der sich durch sein gesamtes Werk zieht. 1996 dreht er den Dokumentarfilm DIE ÜBERLEBENDEN, der den Freitod von drei seiner Klassenkameraden thematisiert. Das Langzeitprojekt DIE SPIELWÜTIGEN (2004), das sich über eine Zeitspanne von sieben Jahren mit den Herausforderungen der Ausbildung und dem Erwachsenwerden von vier Schauspielschülern der renommierten Schauspielschule Ernst Busch in Berlin befasst, feierte seine Premiere auf der Berlinale 2004 und wurde dort mit dem Panorama-Publikumspreis ausgezeichnet.
Buch über Leni Riefenstahl
2013 begleitet er für das Projekt «24h Jerusalem» einen UN-Mitarbeiter in palästinensische Flüchtlingslager. Ein weiterer Kinofilm beschäftigt sich mit dem umstrittenen Künstler Joseph Beuys. Für BEUYS (2017) recherchierte er über drei Jahre lang in verschiedenen Archiven und verbrachte mit seinem Editoren-Team mehr als 18 Monate im Schneideraum. Der Film, der zum grössten Teil aus bis dahin unveröffentlichtem Archivmaterial besteht, stellt nicht das künstlerische Schaffen von Beuys in den Mittelpunkt, sondern den Menschen dahinter. Ein weiterer kontroverser Film Veiels, der in Deutschland viele Diskussionen auslöste, war der Fernsehfilm ÖKOZID (2020). Der Regisseur stellt darin das Deutschland der Zukunft vor den Internationalen Gerichtshof, um die jahrelange Umgehung von Kilmaschutzvorgaben der EU gerichtlich aufzuarbeiten. Im Januar 2025 erscheint das Buch «Close-up Leni Riefenstahl. Neue Perspektiven aus dem Nachlass» (2025; Fischer Verlag). Veiel hat es zusammen mit Klaus Dermutz geschrieben und reflektiert darin über seine Arbeit am Film und die Komplexität der Person und des Werks von Leni Riefenstahl.
Mit Andres Veiel sprach Geri Krebs
In fast all Ihren Kinofilmen der letzten 25 Jahre geht es um Figuren und Gespenster deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert: die RAF, Neonazis, Joseph Beuys – und jetzt Leni Riefenstahl. Wieso diese Obsession?
Sie haben Recht – und es hat wohl mit meiner Familiengeschichte zu tun, dass mich diese Thematik nicht loslässt. Ich gehöre einer Generation an, bei der nicht nur der Grossvater, sondern auch der Vater als Soldat der Wehrmacht aktiven Anteil am verbrecherischen Krieg der Nazis hatten. Was meinen Grossvater betrifft, so bin ich mit der Geschichte aufgewachsen, dass er zwar ein Wehrmachtsgeneral im Russlandfeldzug war, aber dass er engen Kontakt zum Kreis der Verschwörer um den Hitler-Attentäter Graf Stauffenberg gehabt habe. Somit sei er eigentlich ein Widerstandskämpfer gewesen.
Es stimmt aber nicht?
Als ich 2018 mit der Arbeit an Riefenstahl begann, hatte ich parallel dazu schon eine Zeit lang über meinen Grossvater recherchiert.
Dann wird Ihr nächster Film also einer über Ihren Grossvater?
(lacht) Nein, es ist eines von mehreren Projekten, an denen ich arbeite, ein Buchprojekt. Darin geht es um vier Generationen, angefangen bei meinem Grossvater, dann mein Vater, ich und mein Sohn. Es ist ein Projekt, bei dem ich erstmals auch meine eigene Person stark mit einbringe. Aber zurück zum Grossvater: Gemäss der Legende meiner Eltern war er einer, der angeblich wegen seiner engen Kontakte zum Widerstand nur mit viel Glück der Schlinge des Henkers entkommen sei. Ich fand dann aber in einem Militärarchiv Dokumente, die ganz anderes zeigten. So lobte Heinrich Himmler, der Reichsführer SS, in einem Schreiben meinen Grossvater für die jahrelang gute Zusammenarbeit. Was «Zusammenarbeit» im Detail bedeutet, muss ich noch herausfinden. Himmler war der Cheforganisator der Judenvernichtung. Die Legendenbildung in meiner eigenen Familie war also ein wichtiger Anlass dafür, mich mit den Legenden einer Leni Riefenstahl auseinanderzusetzen. Dabei wollte ich diese Auseinandersetzung aber nicht primär vom Standpunkt einer moralischen Empörung aus führen.
Sondern?
Die Tatsache, dass Leni Riefenstahl lügt, ist bekannt. Sie war ideologisch eingebunden in dieses Regime, denn sonst hätte sie es gar nicht in dieser Art und Weise mit der Kraft ihrer Bilder abfeiern können. Mich interessierte dagegen viel mehr, wie sich ihre Lügen, wie sich die Erzählungen im Lauf der Jahre verändert haben.
Können Sie ein Beispiel geben?
Zu TRIUMPH DES WILLENS behauptet sie, es habe darin nur eine einzige Botschaft gegeben, nämlich: Frieden. Wir schneiden dann in diese Aussage ein Statement von Julius Streicher aus dem Film. Als Herausgeber des Hetzblattes „Der Stürmer“ war Streicher ja einer der wichtigsten Nazi-Ideologen und in der besagten Passage sagt er: Ein Volk, das nichts auf die Reinheit seiner Rasse gibt, geht zugrunde. So viel also zur angeblichen Friedensbotschaft. Es gibt aber ein noch weit interessanteres Beispiel, das verdeutlicht, wie sich ihre Lügen verändern. Dazu müsste ich aber etwas weiter ausholen.
Bitte …
Es geht um das Massaker von Konskie in Zentralpolen Anfang September 1939. Leni Riefenstahl reiste damals, wenige Tage nach Kriegsbeginn, mit einem Kamerateam nach Polen, um den siegreichen Feldzug der Wehrmacht zu dokumentieren. In Konskie wurde sie Augenzeugin, wie die Wehrmacht 22 jüdische Zivilisten erschoss. Das hat sie bis mindestens 1948 selber so erzählt und selbstverständlich auch, wie entsetzt sie gewesen sei. Später muss sie dann gemerkt haben, dass diese Erzählung schlecht zur Lüge passte, sie habe nichts gewusst von den Gräueltaten der Nazis. So erzählte sie dann ab 1952 eine andere Version dieser Geschehnisse, die besagt, sie habe das nur aus der Ferne mitbekommen, beziehungsweise, man habe ihr davon erzählt. Sie rückt das Geschehen also von sich weg. Und dann haben wir in ihrem Nachlass aber eine dritte Version gefunden, die ihre direkte Verwicklung in das Massaker belegt. Einer ihrer Adjutanten berichtet nämlich, dass Riefenstahl die Beerdigung von vier gefallenen Wehrmachtssoldaten zu filmen beabsichtigte. Da sie aber nicht die jüdischen Zivilisten im Bild haben wollte, welche die Grube ausheben mussten, habe sie die Regieanweisung gegeben: die Juden müssen weg. Was die umstehenden Soldaten dann als Aufforderung zur Erschiessung der 22 jüdischen Zivilisten verstanden.
Ihr Film arbeitet ja ausschliesslich mit Archivmaterial. Hatten Sie nie die Absicht, auch Zeitzeugen aus der Gegenwart oder sonstige Stimmen von aussen einzubringen?
Nein, es war uns von dem Moment an klar, da wir unbeschränkten Einblick in Riefenstahls 700 Kisten umfassenden Nachlass hatten, dass wir eben gerade nicht mittels Aussenkommentaren eine Art Warnlampe aufstellen wollten: Vorsicht Lüge. Vielmehr wollten wir ganz aus ihr selber heraus zeigen, wie sie sich widerspricht, wie sie ihre Lügen im Laufe der Jahre immer wieder verändert hat. Sie übernimmt es damit selber, sich zu dechiffrieren, ja, sich zu demontieren. Und wir wollten dieses Entlarven ihrer Lügen eben nicht vom Standpunkt einer moralischen Empörung heraus betreiben, sondern wir fragten uns: wie entsteht die Lüge, welche Funktion hat sie?
Wenn man jetzt einmal den ganzen ideologischen Hintergrund weglässt: Was halten Sie als Filmemacher eigentlich von Leni Riefenstahl als Filmemacherin?
Sie war eine hervorragende Editorin, aber eine miserable Autorin. Ich habe alle ihre Drehbücher gelesen, sie sind unterirdisch schlecht. Aber sie hatte immer hervorragende Kameraleute, die ihr die richtigen Bilder lieferten. In diesem Sinne war sie auch eine gute Regisseurin. Ausserdem hatte sie einen guten Sinn für Rhythmus und Raum. Sie verstand, wie man durch Kamerapositionen und Einstellungen grösst mögliche Wirkung beim Publikum erzeugen kann und sie hat das dann noch, wie erwähnt, durch die Montage aufs äusserste perfektioniert. Das grosse Aber dieser positiven Seite ihrer Ästhetik ist dann die Nachtseite, dass durch diese Bilder – die stets das Starke und das Schöne feierten – dann auch dafür standen, dass das Schwache, das vermeintlich Kranke, ausgegrenzt und irgendwann ausgemerzt wurde.
Es scheint mir kein Zufall, dass Ihr Film gerade jetzt herauskommt, da an so vielen Orten auf der Welt Nationalismus und Hass und Hetze gedeihen. Stand da Ihrerseits eine Absicht dahinter?
Es freut mich, wenn Sie das so sehen, denn ein kritischer Umgang mit Bildern und Bildproduktion scheint mir im Zeitalter von K.I und von immer leichterer Verbreitung von Fake News wichtiger denn je. Denn die Verführbarkeit durch Bilder, das ist ja etwas, was eine Figur wie Leni Riefenstahl mit erschreckender Deutlichkeit zeigt.