Ist uns vorbestimmt, was für ein Leben wir führen müssen? Sind wir unserem Schicksal ausgeliefert? Mehdi Sahebi, selbst in den 1980er-Jahren aus dem Iran in die Schweiz geflohen, eröffnet uns in seinem neuen Dokumentarfilm eine einzigartige Perspektive und schafft eine bemerkenswerte emotionale Nähe zu den Protagonist:innen. Der Film ist für den Schweizer Filmpreis in der Kategorie «Bester Dokumentarfilm» nominiert, der am 22. März 2024 vergeben wird.
GEFANGENE DES SCHICKSALS
GEFANGENE DES SCHICKSALS | Synopsis
Mahmad, ein Deserteur, Sanam, von ihrem kleinen Sohn getrennt, Ezat, der sich um seine zurückgelassene Mutter sorgt und der Jugendliche Omid, der mit überwältigendem Heimweh zu kämpfen hat, empfinden alle Ohnmacht angesichts ihres Schicksals. Nach den Strapazen der Flucht stehen sie nicht nur vor der Herausforderung, sich als Asylsuchende in einem fremden Land zurechtfinden zu müssen, sondern sind mit dem schmerzhaften Prozess der Vergangenheitsbewältigung konfrontiert. In ihren dunklen Momenten bezeichnen sie sich als «Gefangene des Schicksals», doch dank Freundschaft, Zusammenhalt und Humor schöpfen sie immer wieder Hoffnung.
Nach dem Gewinn des Hauptpreises der Semaine de la critique mit «Zeit des Abschieds», feierte der Filmemacher mit GEFANGENE DES SCHICKSALS eine erfolgreiche Rückkehr in die prestigeträchtige Sektion des Filmfestivals Locarno.
GEFANGENE DES SCHICKSALS | Rezension
Von Madeleine Hirsiger
Wenn es um Asylsuchende geht, so bekommen wir vor allem Zahlen und Statistiken geliefert – mit Angaben zu den Herkunftsländern. Wer aber sind diese meist jungen Menschen? Wie haben sie die Flucht geschafft, wie fühlen sie sich in einem fremden Land? Ihnen gibt der Filmemacher Mehdi Sahebi mit seiner Dokumentation ein Gesicht und eine Stimme – versucht, in ihr Inneres zu blicken. Er erschafft in GEFANGENE DES SCHICKSALS einen Raum für ihre traumatischen Geschichten.
Verbindende Flucht-Erfahrungen
Wir sind in karg eingerichteten Zimmern, nehmen teil an Diskussionen, in denen sie über ihre Ängste, das Heimweh, den Frust über das endlose Warten auf den Entscheid ihres Asylantrages und auch ihre Hoffnungslosigkeit reden. Sie sprechen sich gegenseitig Mut zu, rufen zur Geduld auf, geben sich Ratschläge, üben gut gemeinte Kritik. Sie sind gefangen in ihrem Schicksal, zum Teil seit Jahren. Das hält sie zusammen. Es sind berührende, einprägsame Bilder, mit denen Regisseur Mehdi Sahebi arbeitet. Er war in den 80er-Jahren selbst aus dem Iran geflohen und ist mittlerweile Schweizer Bürger.
Die Schicksalsgemeinschaft
Er beginnt seinen Dokumentarfilm mit der jungen Sanam Husseini, deren Sohn auf der Flucht an der iranischen Grenze festgehalten wurde. Seit einem Jahr kämpft die Familie dafür, dass der 6-jährige Junge nachkommen darf. Oder Mahmad, ein Deserteur, der im Krieg im Irak war und nun in der Schweiz unter falschen Angaben Asyl beantragt, weil er seine Chancen dadurch höher einschätzte. Er ist sehr verzweifelt und nach mehrmaliger Ablehnung sieht er keinen andern Weg, als in den Iran zurückzukehren, was sich als fatal herausstellen wird. Hätte er auf seine asylsuchenden Freunde hören sollen? Oder der 16-jährige Omid, der erst seit kurzem in der Schweiz ist und bei der Pfadi aushilft. Dass er nicht bei den Eltern sein kann, macht ihn tieftraurig. Auch er weint viel aus Verzweiflung.
Sahebi zeigt den Alltag
Mehdi Sahebi bleibt mit der Kamera nah an der Protagonist:innen, an ihren Gesichtern. Er zeigt uns eine gewisse Intimität zwischen den jungen Männern: Wie sie zusammenhalten, immer wieder über ihre Situation offen diskutieren, zusammen kochen, auf dem Boden sitzen und mit Brot ihr Essen vom Teller aufnehmen, Trennlinien auf dem Teller ziehen, damit sich der eine nicht zu viel nimmt. Und wenn sie mal zu ihrer Musik mit heimatlichen Texten tanzen, dann hat das etwas Friedliches, ja fast Zärtliches, da sind sie ganz bei sich und vergessen für einen Moment ihre Verzweiflung.
Fazit: GEFANGENE DES SCHICKSALS ist eine wahrhaftige, ehrliche und packende Dokumentation über Asylsuchende, die in ihrer jeweiligen Situation mit Unsicherheit und Desillusion umgehen müssen, aber immer wieder kämpfen und hoffen, dass sich das Schicksal zu ihren Gunsten fügt.