Tilda Swinton ist nicht bloss eine Darstellerin in Filmen. Sie ist ein Zustand. Ein Ereignis. Die Ausstellung «Tilda Swinton – Ongoing» macht erlebbar, dass ihre Kunst weit über Film hinausgeht: Identität, Erinnerung und Performance verschmelzen zu einem einzigen, offenen Werk. Begleitet wird die Schau von einem opulenten Bildband aus dem Belser Verlag, der Swintons künstlerische Welt in seiner ganzen Fülle sichtbar macht.
Formwandlerin: Tilda Swinton als Gesamtkunstwerk
- Publiziert am 5. Dezember 2025
Ausstellung und Buch zeigen die Schauspielerin als radikale Künstlerin, die Wandel, Erinnerung und Identität zu einer fortlaufenden Performance macht.
Tilda Swinton – Androgyn, anders, authentisch
Tilda Swinton ist ein Wesen aus einer anderen Welt – und zugleich ein Mensch mit unerschöpflicher Neugier für diese hier. 1960 in London geboren, wuchs sie im schottischen Hochland auf – zwischen alten Mythen und weiter Landschaft. Vielleicht beginnt hier ihre Verbundenheit mit Figuren, die sich jeder Zuordnung entziehen.
Ihre Karriere startete nicht im Mainstream, sondern im radikalen Kino von Derek Jarman. Dort lernte sie, dass Kunst eine Haltung ist – nicht ein Beruf. Seither bewegt sie sich mühelos zwischen Blockbuster und Avantgarde, zwischen NARNIA und ORLANDO, zwischen MARVEL und I AM LOVE. Sie spielt keine Rollen. Sie bewohnt sie. Und wenn sie sie verlässt, bleibt etwas von ihr zurück.
Sie hat sich selbst immer als queer bezeichnet – nicht als Label, sondern als tiefes Lebensgefühl, als Haltung zur Welt und zu Identität. Grenzen des Geschlechts? Kategorien der Liebe? Für sie sind das Felder der Erforschung, nicht der Festlegung.
Ob mit raspelkurzem Haar, androgyn, überhöht, verletzlich oder unergründlich: Swinton zeigt, dass Identität fluide ist. Dass Schönheit sich wandelt. Dass Kino grösser sein darf als das Leben.
Sie ist Künstlerin, Aktivistin, Mutter, Träumerin, Leistungsverweigerin gegenüber dem Erwartbaren – und ein Gesamtkunstwerk im Werden. Ongoing. Immer.

Die Ausstellung: Kunst, die nicht stillsteht
Im Eye Filmmuseum Amsterdam wird Tilda Swinton nicht rückblickend präsentiert, sondern als lebendige, formverändernde Kraft. «Ongoing» bedeutet hier: Das Werk wächst weiter, während es betrachtet wird. Filmstills, Performances, Mode, Fotografien und persönliche Archivstücke verschmelzen zu einem sinnlichen Porträt — und zeigen, wie radikal Swinton Identitäten erfindet, verwirft und neu zusammensetzt. Die Schau ist ein Dialog über Jahrzehnte hinweg — mit filmischen Seelenverwandten wie Derek Jarman, Joanna Hogg, Jim Jarmusch oder Luca Guadagnino. Swintons Beziehungen sind Motor und Ko-Autor ihres Lebenswerks. Erinnerung wird Performance, Kostüm wird Biografie, Kunst wird Gegenwart.
Das Buch: Eine visuelle Offenbarung
Der Katalogband «Tilda Swinton: Ongoing» (Belser Verlag) ist selbst ein Kunstobjekt. Auf rund 296 Seiten entfaltet sich Swintons universelles Schaffen — mit seltenen Fotos, bisher unveröffentlichtem Material und Beiträgen ihrer engsten Mitstreiter:innen wie Pedro Almodóvar und Jim Jarmusch. Gestaltet von der legendären Designerin Irma Boom wird der Band zu einer haptischen, visuellen Biografie. Englische Texte werden durch einen deutschen Beileger ergänzt — und so entsteht ein Buch, das Swinton nicht erklärt, sondern in Szene setzt: poetisch, kompromisslos, atemberaubend in seiner Präsenz.
