Friedrich Dürrenmatts letzter Roman «Durcheinandertal» erschien 1989, ein Jahr vor seinem Tod. Bruno Moll hat das Buch seither nicht losgelassen. Gerne hätte er dieses abgründige satirische Werk verfilmt, doch der Diogenes Verlag bremste das Spielfilmprojekt. Moll verbündete sich mit der Theatergruppe Valendas im bündnerischen Safiental, die seine Bühnenadaption inszenieren. Der Oltner hat die Theaterarbeit am «Durcheinandertal» und die Alltagswirklichkeit der Beteiligten dokumentiert.
Durcheinandertal
Der Film begleitet den kreativen Prozess einer kleinen Theatergruppe im Safiental, die sich eines grossen Themas annimmt.
Bruno Moll wurde 1948 in Olten geboren. Er absolviert eine Lehre als Maschinenzeichner und im Anschluss von 1972-74 eine Ausbildung zum Fotografen bei Achilles B. Weider in Zürich. Ab 1974 Arbeit als freier Fotograf, Kameraassistent und Kameramann. Seit 1978 ist er als freier Autor und Filmemacher tätig.
Mitwirkende: Thomas Buchli, Landwirt, Gianna Brunner, Kindergärtnerin, Moritz Küng, Architekt, Martin Lieberherr, Förster, Hans-Andrea Buchli, Metallbauer, Leonie Bandli, Sachbearbeiterin, Karin Huwyler, Heilpädagogin, Cathrin Pedrolini, Hausfrau, Hannah Singvogel
Rezension
Von Rolf Breiner
Friedrich Dürrenmatts letzter Roman «Durcheinandertal» von 1989, wurde von der damaligen Kritik zerrissen. Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki kannte so wenig Gnade wie Kollege Hellmuth Karasek. Die Schweizerin Klara Obermüller sprach von einem «heillosen Durcheinander». Dokumentarfilmer Bruno Moll war jedoch fasziniert. «Der Roman», so Moll, «mag masslos und ein erzählerisches Monstrum sein, in seiner Substanz ist er aber eine präzise, dramatisierte Beschreibung weltlicher, aber auch helvetischer Befindlichkeit unserer Zeit.»
Ein Kurhaus für «Arme»
Zu gern führte Friedrich Dürrenmatt die Mächtigen und gut Betuchten vor. Seine «Helden» manipulierten, agierten, kaschierten – von den «Physikern» bis zur «Alten Dame. In seinem aberwitzigen und hinterhältigen Roman «Durcheinandertal» bildet ein Kurhaus für Reiche und zwielichtiges Gesindel den Schauplatz für Abgründe. Wobei ein «Gott ohne Bart», ein «Allmächtiger», Täter und Opfer mitspielen und geopfert werden. «Er sah aus wie der Gott des Alten Testaments ohne Bart. Er sass auf der Mauer der Strasse, die im Durcheinandertal zum Kurhaus hinaufführte, als das Mädchen ihn bemerkte. Es hielt Mani an. Der Hund war grösser als ein Bernhardiner, kurzhaarig, schwarz mit weisser Brust», beginnt Friedrich Dürrenmatts Gesellschaftssatire. Der steinreiche Moses Melker hat eine spleenige Idee: Er will in einem Bergdorf ein Kurhotel für Steinreiche einrichten, die dort im «Haus der Armut» einen «armseligen» Aufenthalt auf Zeit verbringen sollen, um so, vom «schnöden Mammon» befreit, die Gnade Gottes zu erfahren bzw. zu erkaufen. Doch die Stiftung, die hinter dem «Gottesdeal» steckt, hat noch anderes im Sinn. Zu Winterzeiten soll das Kurhaus als Unterschlupf für zwielichtiges Gesindel, sprich Handlanger und Killer eines Mafiasyndikats, dienen. Das Dorf samt Dörfler fühlen sich getäuscht, wittern gleichwohl Profit. Wie kommt nun eine Theatergruppe im abgelegenen Bündnerischen Safiental dazu, einen weitgehend unbekannten Dürrenmatt-Roman auf die Bühne zu bringen? Dokumentarfilmer Bruno Moll fragte die engagierten Theaterleute von Valendas an, ob sie etwas mit Dürrenmatts Roman anfangen könnten.
Abgelegen und abgehängt
Die Theatergruppe erkannte, dass dieses literarische «Durcheinandertal» viel mit ihrer Situation zu tun hat. Arthur Bühler, Bergbauer und Regisseur, beschreibt das Safiental als abgelegen, schön und wild sowie die Nähe zu Dürrenmatts Stoff. «Als wir den Roman in der Gruppe lasen und besprachen, hatten wir das Gefühl, Friedrich Dürrenmatt schaue uns während des Schreibens beim Leben im Tal zu und beschreibe so unsere eigenen Angelegenheiten. Selbstverständlich sind da viele Übertreibungen, aber im Kern trifft der Roman in manchem unsere aktuelle Lebensrealität. Abgehängt, gelegentlich von der Politik im Stich gelassen, als hoffnungsloses Auslaufmodell zum Abschuss freigegeben.»
Zwischen Bühne und Alltag
Bruno Moll adaptierte den Roman, machte ihn bühnenreif, Bühler trug eine Mundartfassung bei. Der Filmer begleitet die Proben, die Arbeiten am Text an der Inszenierung über drei Jahre. Nicht der Inhalt und die bissige Dürrenmattsche Groteske über Armut und Reichtum, Kriminalität und Kungelei stehen im Vordergrund des Films, sondern Bühne und Alltag, Wahn und Wirklichkeit. Moll schneidet zwischen Proben immer wieder Alltagsszenen der Theaterakteure, Landschaften und Stillleben zerfallener Höfe, Gärten oder Schneefelder. So durchdringt die Arbeit auf der Bühne die Lebensrealität des Ensembles – von Bergbauern bis zur Kindergärtnerin, vom Architekten bis zum Förster.
Fazit: Das Thema vom Schattental und abgelegenen, unrentablen Dörfern wird spielerisch vor Augen geführt. Der Dokumentarfilm «Durcheinandertal» ermuntert und mahnt, zeigt auch, wie Theaterarbeit das Gemeinsame, das Miteinander im Durcheinander stärkt. Filmer Moll fand zwar keinen Schweizer Verleih, gleichwohl Wege ins Kino mit seinem Film. Und der Diogenes Verlag hat den Roman «Durcheinandertal» neu aufgelegt.