Der vierte Langspielfilm der Regisseurin und Drehbuchautorin Maggie Peren beruht auf einer wahren Begebenheit und der Autobiografie von Samson «Cioma» Schönhaus, der nach seiner Flucht aus Deutschland in Basel die Kunstgewerbeschule absolvierte und danach Germanistik und Psychologie studierte. In den Hauptrollen sind die beiden vielseitigen Nachwuchstalente Louis Hofmann und Luna Wedler zu sehen.
Der Passfälscher
Der Passfälscher | Synopsis
Berlin 1942. Der junge Cioma Schönhaus ist voller Lebensfreude und Tatendrang. Er ist jüdischer Abstammung, doch lässt er sich weder entmutigen noch einschüchtern, schon gar nicht von den Nazis! Also ergreift er die Flucht nach vorne. Zusammen mit seinem Freund Det stürzt er sich ins volle Leben, denn seiner Ansicht nach sind die besten Verstecke dort, wo alle hinsehen. Mit Einfallsreichtum, Charme und Unverfrorenheit perfektioniert er die Kunst der Nachahmung und Täuschung – beflügelt von Gerda, Meisterin der Mimikry und seine grosse Liebe. Sein Talent für das perfekte Fälschen von Pässen hilft vielen bei der Flucht, aber ihn selbst bringt es zunehmend in Gefahr.
Der Passfälscher | Stimmen
«Ein behäbiger, gewöhnlicher Film über ein aufregendes, aussergewöhnliches Leben.» – Michael Meyns, Filmstarts | «[‹Der Passfälscher›] ist eher als Charakterstudie angelegt, von der man sich keine allzu grosse Spannung erwarten darf – man weiss ja, wie Ciomas Geschichte ausging […]. Natürlich ist sein Leben und Überleben ein Schelmenstück und ein Gegenstück zu den Bildern jüdischer Passivität, die wir aus dem Kino
kennen (was sich in den letzten Jahren zu ändern beginnt). Man hätte sich da ein bisschen mehr Zuspitzung gewünscht – freut man sich doch über jeden, dem es gelingt, den Nazis ein Schnippchen zu schlagen.» – Rudolf Worschech, epd-film
Maggie Peren wurde am 17. Mai 1974 in Heidelberg geboren. Sie studierte deutsche und englische Literatur sowie Psychologie an der LMU in München. Seit 1999 ist sie als Drehbuchautorin erfolgreich. Aus ihrer Feder stammen zahlreiche preisgekrönte Filme, darunter ihr erstes, von Vanessa Jopp verfilmtes Drehbuch «Vergiss Amerika» oder der von Dennis Gansel inszenierte RAF Thriller «Das Phantom.» Ihr erstes kommerzielles Drehbuch «Mädchen Mädchen» (2001) lockt fast zwei Millionen Besucher ins Kino. Für das Historiendrama «Napola – Elite für den Führer» (2004) erhält sie zusammen mit den Dennis Gansel den Deutschen Filmpreis für das Beste Drehbuch. Zu ihren weiteren Drehbüchern zählen «Kiss and Run» von Annette Ernst (Grimme Preis 2015), Detlev Bucks «Hände weg von Mississippi» (Deutscher Filmpreis 2007), Marc Rothemunds «Dieses bescheuerte Herz» (2017) oder der von Lennart Ruff verfilmte Thriller «Nocebo» der 2014 mit dem Studenten-Oscar® ausgezeichnet wird. 2004 realisiert Maggie Peren ihren ersten eigenen Kurzfilm «Hypochonder», drei Jahre später gibt sie ihr Spielfilmdebüt als Regisseurin mit der Komödie «Stellungswechsel» (2007). Es folgt 2010 das Flüchtlingsdrama «Die Farbe des Ozeans», das beim Internationalen Filmfestival Toronto uraufgeführt und später mit dem Bayerischen Filmpreis – VGF Nachwuchsproduzentenpreis sowie dem Friedenspreis des Deutschen Films ausgezeichnet wird. 2020 kommt ihre Komödie «Hello Again – Ein Tag für immer» ins Kino.
Rezension
von Rolf Breiner
Wie überlebt man eine menschenverachtende nationalistische Diktatur, ohne Schaden zu nehmen? Kaum denkbar, aber der jüdische Lebenskünstler Samson «Cioma» Schönhaus hat’s geschafft. Er schlug sich in Berlin um 1942 als Passfälscher durch. Maggie Perens Spielfilm «Der Passfälscher» geht unter die Haut, weil er viel sagt, ohne es auszusprechen oder explizit zu zeigen.
Nazialltag in Berlin
Nazizeit und Judenverfolgung und Krieg – alles schon da gewesen in Literatur, im Kino und Fernsehen. Aber solche eine Überlebensgeschichte noch nicht! In Maggie Perens Drama geht es um einen jungen jüdischen Mann in Berlin. Man schreibt das Kriegsjahr 1942. Die 6. Armee wurde im Winter 1942/43 Stalingrad eingekesselt und muss kapitulieren. Das Dritte Reich erlitt seine erste grosse Niederlage. Eine Wende im Zweiten Weltkrieg. Der Berliner Alltag ist längst nicht mehr, wie er mal war. Juden wurden denunziert, brutal verfolgt, enteignet und in Konzentrationslager deportiert. Immer häufiger gibt es Bombenalarm. Jüngling Cioma Schönhaus (Louis Hofmann) lebt in einer grosszügigen, grossbürgerlichen Wohnung in Berlin. Allein. Seine jüdischen Eltern und Grossmutter sind von Nazischergen «einkassiert» und in eines der Vernichtungslager im Osten verschleppt worden. Cioma wurde «verschont» und dienstverpflichtet für einen Rüstungsbetrieb. In der elterlichen Wohnung hat er seinen untergetauchten Freund Det (Jonathan Berlin), auch er ein Jude aufgenommen. Frau Peters (Nina Gummich – grandios mit harscher Härte und Herz) ist eine Nervensäge als rigorose Verwalterin, die stur ihre Regeln folgt – auch eine Überlebensstrategie. Sie drangsaliert den jungen Schönhaus, drängt auf Korrektheit, veräussert nebenbei auch Inventar der Schönhaus-Familie, lässt ihn aber nicht hängen. Dazu schnüffelt der nicht ganz sauberer Kriminalbeamte Dietrich (André Jung) herum.
Untergrundkämpfer in der Not
Cioma gibt sich unscheinbar, verhält sich wie ein Deutscher aus dem Arierbuch. Er sieht entsprechend aus, hat ein paar Semester auf einer Kunstschule zugebracht und scheint zeichnerisch sehr begabt. Davon erfährt ein gewisser Widerstandskämpfer namens Franz Kaufmann (Marc Limpach). Der heuert ihn als Ausweisfälscher an und entlohnt ihn mit Essensmarken. Cioma wird zum Untergrundkämpfer und lebt unbehelligt locker ein Leben, als ginge ihn die Judenhatz nichts an. Forsch vergnügt er sich mit Freund Det in einem feinen Tanzlokal – notabene in Marineoffizieruniform. So begegnet er Gerda (Luna Wedler), auch sie eine Jüdin, und verliebt sich.
Innere Freiheit
Der Berliner Samson Cioma Schönhaus, 1922 in Berlin geboren, war kein Luftikus, eher ein Anpasser in der Not und ein Überlebenskünstler, der seine Gefühle extrem kontrollierte und sich seine innere Freiheit bewahrte. Er lässt sich nicht von den grausamen Umständen einschüchtern, lässt sich seine Lebenslust nicht nehmen, auch wenn Freunde und Freundin den Nazis zum Opfer fallen. Als Graphiker ausgebildet, hat er unzählige Ausweise gefälscht. Mit einem gefälschten Wehrpass gelang ihm im September 1943 via Baden-Württemberg die Flucht in die Schweiz. Hier starb 2015. Während des Naziregimes tauchten rund 7000 Juden in Berlin unter. Nur 1700 überlebten.
Wirklichkeit hinter den Bildern
Maggie Perens Spielfilm basiert auf der Autobiografie des «Passfälschers» und konzentriert sich auf diesen tolldreisten Charakter. In Louis Hofmann fand sie den idealen Darsteller, der mit Nonchalance und anmassend unverfroren durchs Dickicht des Naziverfolgungswahns lavierte. Er legt dabei eine Leichtigkeit an den Tag, die erstaunt und fasziniert. Die Aussparungen im Film – keine Jagdszenen und Action, eher beiläufige Festnahmen, keine Gewalt, oder Kriegsszenen mitten im Krieg – verschärfen die Ungeheuerlichkeit dieser Zeit, machen gleichwohl die Angst der Bedrohten spürbar.
Fazit: Das Unausgesprochene, das Nicht-Gezeigte setzt sich im Kopf fest. Das wie auch ein eindrückliches Ensemble sind die Stärke eines Films, der mehr sagt, als er zeigt, der betroffen macht – auch 80 Jahre danach. Die Wirklichkeit hinter den Bildern wirkt weiter.