Eigentlich wollte Shiori Ito Journalistin werden, um von anderen Menschen zu erzählen. Dann wurde sie selbst zu einer Geschichte. In ihrem höchst persönlichen Film BLACK BOX DIARIES dokumentiert die Japanerin die Aufklärung ihres erlebten sexuellen Übergriffs und ihren mutigen Kampf, den Täter vor Gericht zu bringen. Am diesjährigen Zurich Film Festival gewann Shiori Ito mit ihrem Film im Dokumentarfilm-Wettbewerb und wurde mit dem Goldenen Auge ausgezeichnet.
BLACK BOX DIARIES
Über die Frau, die mit ihrem Fall in Japan an die Öffentlichkeit ging und so auch die japanische #MeToo-Bewegung initiierte.
BLACK BOX DIARIES | SYNOPSIS
Als die japanische Journalistin Shiori Ito im Jahr 2015 von einem älteren Kollegen vergewaltigt wird, beschliesst sie, gegen ihn vorzugehen, und prallt am japanischen Justizsystem ab. Sie kann nicht fassen, wie veraltet es ist und wie viele Hürden ihr für eine Anzeige in den Weg gestellt werden. Schliesslich entscheidet sie sich, ihren Fall öffentlich zu machen und ihren Kampf für Gerechtigkeit von nun an filmisch zu dokumentieren. In BLACK BOX DIARIES, der am renommierten Sundance Film Festival Premiere feierte, erhalten wir als Zuschauer:innen über persönliche Videotagebucheinträge, Archivmaterial, geheime Ermittlungsvideos und Interviews mit Expert:innen einen Einblick in die Aufarbeitung des Falls. Die Kamera begleitete sie von ihrem 27. bis zum 33. Lebensjahr und zeigt eindrücklich die verschiedenen Stationen des Prozesses auf. Immer deutlicher wird dabei, dass es sich nicht nur um einen individuellen Fall handelt, sondern auch um den Kampf für eine Erneuerung des Justizsystems und gegen das Schweigen. BLACK BOX DIARIES ist mehr als ein gut gemachter und emotionaler Dokumentarfilm – es ist ein mutiger Aufruf zum Handeln.
BLACK BOX DIARIES | STIMMEN
«Eine Entdeckung! Der Film spiegelt die Träume und Enttäuschungen, Sorgen und Erfolge einer ganzen Generation wider.» – Screen Daily | «Shiori Ito hat die Welt verändert. Und BLACK BOX DIARIES ist ein Denkmal für ihre Entschlossenheit und Aufopferung sowie einer der besten Dokumentarfilme, die Sie das ganze Jahr über sehen werden.» – Rolling Stone | «Ito ist nicht nur eine fesselnde und sympathische Protagonistin, sondern auch eine wirklich kreative und intuitive Filmemacherin, die BLACK BOX DIARIES mit einem ausgeprägten Sinn für Zeitraffungen und Verzerrungen gestaltet – wir fühlen die schweren Tage, wenn sie auf ihrem Tiefpunkt ist, ebenso wie ihre Energie und Motivation, wenn sich das Blatt zu ihren Gunsten wendet. » – Variety
Rezension
Von Doris Senn
Die schummrigen Aufnahmen der Hotelkameras vor dem Eingang und in der Lobby zeigen, was der Taxifahrer von jener Nacht erinnert: Sein Passagier, ein bulliger Mann, schleppt eine zierliche Frau, die sich kaum auf den Füssen halten kann, aus dem Taxi in das Hotel. Wir sehen, was die japanische Journalistin Shiori Ito in ihrem autobiografischen Dokumentarfilm zur Anklage bringt: Von ihrem Chef bei einem als «Sitzung» angekündigten Treffen mit Rauschmitteln betäubt, entführt er die junge Frau in ein Hotel, wo er sie brutal vergewaltigt. Ito gelingt die Flucht, doch die Polizei wird ihre Anzeige zuerst nicht aufnehmen, später abweisen. Als schliesslich doch ein Haftbefehl ausgesprochen wird, wird dieser im Moment des Vollzugs überraschend ausgesetzt. Was passierte da?
Das Einmaleins der Täter-Opfer-Umkehr
BLACK BOX DIARIES schildert in einem rund sechs Jahre umfassenden, einnehmenden «Tagebuchfilm» nicht nur die Geschehnisse, sondern auch die korrumpierte Justiz, die Männerbündlerei und die Verstrickungen, hinter denen sich der Täter, der Politjournalist Yamaguchi, perfekt verstecken kann. Er ist gut vernetzt in die Spitzen von Polizei und Politik. Insbesondere mit Ministerpräsident Shinzo Abe, dessen Biografie er publizierte, ist er eng befreundet. Als Shiori Ito am Justizapparat abprallt und an die Öffentlichkeit gehen will, rät selbst ihre Familie davon ab – aus Angst vor den Konsequenzen. Doch Ito bleibt hartnäckig: Wenn sie die Dinge vor Gericht bringen will, hat sie keine andere Wahl. Ihre erste Pressekonferenz wird von den Medien totgeschwiegen. Die wenigen, die darüber berichten, konzentrieren sich auf spitze Bemerkungen zu ihrem Aussehen. Die Öffentlichkeit ergiesst sich in Häme und persönlichen Anschuldigungen.
Politdrama mit authentischem Bildmaterial
Shiori Ito hat in New York Journalismus und Fotografie studiert, in ihrem Dokumentarfilm findet sie nicht nur kongeniale Bilder für ihre tragische Geschichte, sondern vermag auch, sie bravourös zu komponieren. Ohne Effekthascherei, mit vielen authentischen Bild- und/oder Tonaufnahmen nebst Aussenaufnahmen von Tokios Strassen oder glatten Amtshausfassaden hält Ito den Fortgang der Dinge in ihren persönlichen Aussagen fest. In spannender Art und Weise deckt sie anhand ihrer Erfahrung die Verknüpfung von Macht, Medien und Patriarchat in Japan auf. Auch die ihr Leben prägenden posttraumatischen Krisen sind ein Thema und zeigen, dass es in Traumabewältigung eine Stufe nach der andern zu nehmen gilt, ohne Aussicht darauf, dass Betroffene wirklich oben ankommen können: Das Trauma wird für immer ihr Leben prägen.
Fazit: BLACK BOX DIARIES ist ein brillant erzähltes, hochspannendes dokumentarisches Resümee der Geschehnisse um die Vergewaltigung von Shiori Ito. Die skandalösen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, die bei sexuellen Vergehen die Frauen am liebsten zu schweigenden Opfern machen, noch lieber aber zu schuldigen Täterinnen, treten offen zutage. Die Filmemacherin hat nicht nur als Mensch unglaublichen Mut bewiesen, sie hat ihre Geschichte auch hervorragend im Film umgesetzt.