Radu Judes Film ist glückliches Fragment, Enzyklopädie unserer Zeit und die gnadenlose Versuchsanordnung einer völlig zersplitterten Gemeinschaft, die nur noch in der Feindseligkeit zusammenfinden kann. Er treibt den Irrwitz auf die Spitze und lässt uns erahnen, zu welch bitterböser Farce unsere Zeit geworden ist, die man den Untergang der Demokratie nennen könnte. Eine filmische Erfahrung zwischen totaler Finsternis und grell erleuchteter Humorzone.
Bad Luck Banging or Loony Porn
Rezension
Die junge Emi, eine allseits geschätzte und geachtete Geschichtslehrerin an einem Gymnasium in Bukarest, hat wahrhaftig Bad Luck: Ein so explizierter wie banaler kleiner Heimporno von ihr und ihrem Mann landet im Netz. Sie wird von der Schulleiterin zu einer Aussprache vorgeladen und muss sich vor versammelter Elternschaft erklären und um ihren Verbleib an der Schule kämpfen. Mit diesem vordergründig simplen Plot bringt der rumänische Regisseur Radu Jude ein wahres Feuerwerk der Denunzierung von Bigotterie, Heuchelei und unterdrücktem wie offenem Alltagssexismus zum Vorschein. Aufgebaut ist der Film wie eine Oper: mit einer Ouvertüre (dem Heimporno) und anschliessenden drei Akten, übertitelt mit «Skizze für einen Heimatfilm», «Ein kompaktes Lexikon mit Anekdoten, Zeichen und Wundern» und «Praxis und Anspielungen (Sitcom)». «Bad Luck Banging or Loony Porn» wurde im Sommer 2020 während der Pandemie grösstenteils in den Strassen Bukarests gedreht und fängt scheinbar nebenbei den ganzen Wahnsinn einer entfesselten Konsumwelt ein – mit dem erklärten Ziel, Obszönität und Anstössigkeit aus einem anderen Blickwinkel zu zeigen. Und er funktioniert darüber hinaus als spannendes Lehrstück über Rumäniens jüngere Vergangenheit. Es geht um die wenig aufgearbeitete Kollaboration mit Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg und den darauf folgenden Stalinismus, der nahtlos in die noch weniger gesellschaftspolitisch behandelte bizarre Despotie der Ceaucescu-Dikatur mündete. Als vor rund 15 Jahren die ‹rumänische Nouvelle Vague› ihren Siegeszug durch die Filmwelt begann, gab es Stimmen, die höhnten, es sei ein Kino, bei dem ein Regisseur an einer städtischen Strassenkreuzung eine Kamera aufstelle und warte, dass etwas passiere. «Bad Luck Banging or Loony Porn» ist der bis anhin wohl gültigste Beweis, dass auf diese Weise nicht nur unendlich viel geschehen, sondern dass man sich dabei auch noch herrlich amüsieren kann.
Geri Krebs, arttv.ch
Zum Film
Lustvoll, zügellos, explizit: Emi und ihr Mann haben grossartigen und ausschweifenden Sex. Leider auch auf Video. Ihr sehr privater Pornofilm gerät irgendwie ins Internet und geht viral. Weil Emi eine Lehrerin an einer renommierten Schule ist, haben darüber sehr viele Leute eine Meinung. Wahrheitsgrad egal, Begründung überflüssig. Von moralisch empört über aggressiv anklagend bis vulgär beleidigend ist alles dabei. Emi muss zu einem Elternabend der besonderen Art antreten. Sie macht sich auf den Weg durch die groteske Alltagsbrutalität auf den Strassen von Bukarest. Über diesen Porno möchte seltsamerweise niemand einen Shitstorm verbreiten. In der Hoffnung auf eine Verbündete stattet Emi der Schuldirektorin einen Besuch ab – doch weit gefehlt. Man muss doch den Eltern die Gelegenheit zur Aussprache geben. Doch die «Debatte» gerät zum Tribunal – über konsensualen Sex, Pornografie, die Nazis, Wahrheit, Bildungstheorie und vieles mehr. Emi verlebt einen wahrlich schrillen Abend zwischen archaischen Affekten und manischem Meinungsfuror. Die Lehrerin wird plötzlich nicht nur für ihr Sexleben verantwortlich gemacht, sondern auch für die rumänische Geschichte des 20. Jahrhunderts, die Psychologie der Kinder im Allgemeinen und für die Emanzipation sowieso natürlich auch. Die Moral der Elternschicht? Man ist sich einig, dass man in Kürze bald wieder anderer Meinung sein wird.
Weitere Stimmen
«Einen ‹Entwurf für einen populären Film‹ nennt Radu Jude selbst diesen räudigen Bastard von einem Film — und trifft damit genau das Lebensgefühl vieler Menschen zu Zeiten einer Pandemie.» – Joachim Kurz, KinoZeit | «Der Siegerfilm der Corona-Berlinale zeigt auf geniale Weise eine Welt voller Hass, in der Sexismus und Nationalismus verschmelzen.» – Philipp Stadelmaier, Süddeutsche Zeitung | «Der Film ist eine verächtliche Ohrfeige für die Langeweile, für die Heuchelei und für alles, was kleinlich und gemein ist.» – Peter Bradshaw. The Guardian